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Erbe des Faschismus. Die Weltausstellung 1942 fiel aus, gebaut wurde trotzdem; hier der Palazzo della Civiltà del Lavoro.

© picture-alliance / Herve Champol

Städtebau: Mussolinis Moderne

Mit der Baukunst des Duce hatte Italien nie ein Problem. Aus Berlin kommt jetzt eine kritische Würdigung. Architektursoziologe Harald Bodenschatz legt ein Grundlagenwerk zum Städtebau des faschistischen Regimes vor.

Die Diskussion über das Verhältnis von Moderne und Diktatur in der Baukunst kam 1978 in Berlin an – durch die Wanderausstellung „Der Razionalismo und die Architektur während des Faschismus“. Die von der Biennale Venedig erarbeitete Übersicht stellte eine hierzulande bis dahin kaum bekannte Architektur vor, die auf verblüffende Weise mit dem als Wiederentdeckung gefeierten „neuen Bauen“ der Weimarer Republik korrespondierte. Nur dass sie eben unter dem „Duce“ Mussolini entstanden war.

In Italien, schreibt der Berliner Stadtsoziologe Harald Bodenschatz in dem von ihm herausgegebenen Band „Städtebau für Mussolini“, habe „sich inzwischen eine für deutsche Sichtweisen befremdliche Einschätzung auf breiter Front durchgesetzt: (...) Ein großer Teil des faschistischen Städtebaus wird eher gewürdigt als verurteilt.“

Tatsächlich sind die Bauten der Mussolini-Zeit in Italien nie einer vergleichbaren Verdammung anheimgefallen wie hier die der Nazi-Zeit. Selbst bei herausragenden Bauten für die faschistische Partei gab es keine nennenswerten Eingriffe in das Erscheinungsbild. Erst recht der Städtebau der Mussolini-Zeit tritt bis heute unverändert zutage: die aufs Kolosseum zuführende Via dei Fori Imperiali in Rom, als Via dell’Impero durch ein mittelalterliches Wohnquartier gebrochen, die im Süden gelegene und heute von der Metropole quasi aufgesogene Stadt der geplanten Weltausstellung „E 42“, oder nördlich am Tiber das Foro Mussolini, in dessen Zentrum sich unverändert ein Pylon mit dem Namen des Duce erhebt.

Es sei „unübersehbar, dass das faschistische Regime in vielerlei Hinsicht, auch in Architektur, Städtebau beziehungsweise Infrastruktur, Modernisierungsprozesse nicht nur geduldet, sondern aktiv angeschoben hat“, sinniert Bodenschatz über den Unterschied zwischen Faschismus und Nationalsozialismus. Und hält damit den Schlüssel zur positiven Bewertung der Städtebauvorhaben in den zwei Jahrzehnten des faschistischen Regimes in der Hand. Denn erst im Hinblick auf die wirtschaftliche und technische Rückständigkeit Italiens lassen sich die Aktivitäten des Regimes ebenso verstehen wie die breite Zustimmung, die Mussolini in den anni del consenso, den Jahren des Einverständnisses, in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre zuteil wurde.

Der gebürtige Münchner Harald Bodenschatz, der von 1995 bis zu seiner Emeritierung im vergangenen Jahr als Professor für Planungs- und Architektursoziologie an der TU Berlin lehrte, hat sich zuvor in einem DFG-Forschungsprojekt mit dem stalinistischen Städtebau beschäftigt. Nun hat er gemeinsam mit Daniela Spiegel und unter Mitarbeit weiterer Autoren den Städtebau im faschistischen Italien untersucht. Als Ergebnis liegt das 520-seitige Großformat „Städtebau für Mussolini“ vor, „großzügig finanziell unterstützt“ vom Institut für Soziologie der TU. Ein Abschiedsgeschenk, wenn man so will, das mit der Fülle seiner Detailanalysen und seinen beeindruckenden Abbildungen die Kenntnis dieser Seite des Regimes nicht nur erweitert, sondern auf eine neue Stufe hebt.

Das betrifft zuallererst die Hauptstadt Rom. Sie ist so, wie sie sich heute in ihrem Zentrum als Touristenattraktion zeigt, ganz wesentlich das Ergebnis der zielgerichteten Archäologie des Regimes. Die Freilegung der Antike, insbesondere der Kaiserforen und des Augustus-Mausoleums, diente der Legitimation der Machtansprüche Mussolinis und nicht zuletzt der von ihm betriebenen Expansionspolitik. Die breite Via della Conciliazone, die auf den Petersdom hinführende „Straße der Versöhnung“, bezieht sich schon im Namen auf die Lateranverträge von 1929 und damit auf das Bündnis von Faschismus und Kirche. Rabiate Enteignungen schufen den benötigten Platz, 5000 Bewohner des eng bebauten Quartiers wurden vertrieben.

Seite 2: Die Trockenlegung der Pontischen Sümpfe sind das deutlichste Modernisierungsprojekt Mussolinis.

Das umfänglichste Neubauvorhaben betraf das Areal der für 1942 geplanten Weltausstellung. Marcello Piacentini, der Albert Speer Mussolinis, setzte als Projektleiter einen mit Elementen der Moderne versetzten Neoklassizismus durch. So musste der Modernist Alberto Libera seinem Entwurf für den Kongresspalast eine Säulenfront hinzufügen – die bei der endgültigen Fertigstellung des Gebäudes 1954 (!) selbstverständlich beibehalten wurde. Berühmt ist die an die pittura metafisica gemahnende, von zahllosen Öffnungen durchlöcherte Fassade des Palazzo della Civiltà Romana, der am Rande des Areals thront. Erst vor wenigen Jahren wurde das Gebäude aufs Sorgfältigste restauriert.

Am deutlichsten als Modernisierungsprojekt zu bezeichnen ist die Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe im Süden Roms. Fünf neue Städte – eher Städtchen – wurden angelegt, die bis heute eine Art Balance zwischen Verwaltungssitz, Kirche und Kulturzentrum sowie den zugehörigen Platzanlagen zeigen, am klarsten in Sabaudia 1933/34. Dabei sind die Stadtgründungen lediglichTeil der Urbarmachung des malariaverseuchten Gebiets, mit der das Regime landwirtschaftlich nutzbare Flächen zu schaffen suchte.

Insofern es Bodenschatz und seinen Koautoren um Städtebau geht, bleibt eine Gesamtwürdigung der Architektur unter Mussolini aus. Es fehlt der private Sektor, dem sich etwa die großzügigen Wohnanlagen verdanken, wie sie die Wirtschaftsmetropole Mailand bis heute kennzeichnen. Was aber zum Verständnis bislang fehlte, ist das Fundament des Städtebaus, auf dem Architekten wie Giovanni Muzio, Adalberto Libera, Marcello Piacentini und eben auch „Rationalisten“ wie Pietro Lingeri oder der geniale Giuseppe Terragni ihre Entwürfe ausführen konnten.

Diese Grundlage hat Bodenschatz mit seinem Buch gelegt. Womit er sich schwertut, ist die Akzeptanz, die die Bauten der Mussolini-Zeit heutzutage finden oder vielmehr stets besaßen. Dass sich der große Le Corbusier, kaum dass er enttäuscht aus der Sowjetunion abgereist war, 1934 nach Italien aufmachte und um Audienz und Aufträge bei Mussolini bemühte, ist mehr als die Anekdote einer schillernden Persönlichkeit. Es beleuchtet die Anziehungskraft, die diktatorische Regime auf Architekten und Planer ausüben. Und wie man es auch dreht und wendet, Italien verdankt Mussolini zumindest in baulicher Hinsicht den Sprung ins 20. Jahrhundert.

Harald Bodenschatz (Hrsg.): Städtebau für Mussolini. Auf der Suche nach der neuen Stadt im faschistischen Italien. DOM publishers, Berlin 2012. 520 S., 98 €.

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