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Stammzellen: Jungbrunnen für jedermann

In einigen Jahren könnte sich altes Körpergewebe durch neues ersetzen lassen – mit einem Stück Haut.

Wir schreiben das Jahr 2021. Sie haben einen Herzinfarkt erlitten – sind aber noch einmal glimpflich davongekommen. Immerhin: Ein Teil Ihres Herzmuskels ist abgestorben. Das Herz ist ein ganz besonderer Muskel. Das Gewebe wächst nicht nach. Trotzdem kann Ihnen Ihr Arzt helfen. Dazu muss er zunächst nur ein Stückchen Ihrer Haut entfernen.

Einige Tage später kehren Sie in die Klinik zurück. Man hat Ihre Hautzellen in eine Nährlösung gelegt und in ihren embryonalen Ursprungszustand zurückversetzt. Alle unsere Körperzellen sind letztlich embryonalen Zellen entsprungen. Diese Zellen waren noch unspezialisiert, es waren „Stammzellen“, die sich nach und nach vermehrt und in die verschiedenen Zelltypen, die Ihren Körper ausmachen, verzweigt haben: in Haut-, Herz-, Hirnzellen und dergleichen.

Nachdem sich Ihre Hautzellen in universelle Stammzellen zurückverwandelt haben, leitet Ihr Arzt den zweiten Schritt ein: Er legt Ihre Stammzellen in eine andere Lösung, die sie zu Herzmuskelzellen heranreifen lässt. Damit steht Ihnen nun frisches Herzmuskelgewebe zur Verfügung. Und der Bonus ist: Dieses Gewebe ist Ihr eigenes – Ihr Körper wird es nicht abstoßen.

Das ist es, wovon Stammzellforscher träumen. Und mit den Studien, die am Dienstag von den Teams um den Japaner Shinya Yamanaka und dem Amerikaner James Thomson vorgelegt wurden, sind sie der Verwirklichung dieses Traums ein Stück näher gekommen.

Die größte Hürde besteht dabei darin, die erwachsene Hautzelle in die Urzelle zurückzuverwandeln, die sie im Embryonalstadium gewesen ist: Die Zelle muss „reprogrammiert“ werden. Im Laufe unserer Entwicklung spezialisieren sich die Stammzellen zunehmend. Aus den Alleskönnern werden Spezialisten, einige werden Herzzellen, die rhythmisch zucken, andere werden zu Hirnzellen. Diese Verwandlung gleicht einem biologischen Kunststück. Jede unserer Zellen verfügt nämlich über genau die gleichen Gene, das heißt über genau die gleichen Instruktionen, was aus ihr werden soll und was sie zu tun hat. Wenn aber jede Zelle über die exakt gleichen Gene verfügt, wieso wird dann aus manchen Zellen eine Haut- und aus anderen eine Hirnzelle?

Die Antwort führt in das Gebiet der „Epigenetik“: Im Laufe der Embryonalentwicklung werden die Gene chemisch markiert. Diese Markierung sorgt dafür, dass beispielsweise in einer Herzmuskelzelle nur „herztypische“ Gene aktiviert werden. Wie bei ein und demselben Text, der mit einem Leuchtstift unterschiedlich markiert wird, erhält auch der in allen Zellen identische genetische Text – sprich: unser Erbgut – je nach chemischer Markierung eine unterschiedliche Bedeutung. Das Resultat sind verschiedene Zelltypen.

Den Stammzellforschern ist es nun gelungen, diese chemischen Markierungen zu löschen und die Hautzellen in Stammzellen zurückzuversetzen. Anschließend haben sie die Stammzellen sogar in Herzmuskelzellen verwandeln können. Allerdings mussten die Forscher für die Verjüngungskur Viren und Extra-Gene in die Hautzellen einschleusen, was unter Umständen gefährlich ist. Deshalb ist die Methode noch nicht praxisreif. Aber das „Ersatzteillager“ für jedermann ist in greifbare Nähe gerückt. 

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