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Stammzellforschung: Selbstloses Geschenk

Viele Paare in den USA würden „überzählige“ Embryonen freiwillig für die Stammzellforschung spenden.

Vor nahezu dreißig Jahren kam in Großbritannien das erste Baby zur Welt, das mittels künstlicher Befruchtung „in der Retorte“ gezeugt wurde. Seitdem nehmen weltweit immer mehr Paare solche Therapien in Anspruch. Anders als in Deutschland werden dabei in den USA meist mehr Eizellen befruchtet als benötigt. Die „überzähligen“ Embryonen werden eingefroren und für weitere Therapien aufbewahrt.

Doch was soll mit diesen Embryonen geschehen, wenn das Paar auf weitere Behandlungen verzichtet? Darf man sie vernichten, sollte man sie zur „Adoption“ an andere Paare freigeben oder dürfen sie zur Gewinnung von embryonalen Stammzellen verwendet werden? Forscher der Duke Universität in Durham (US-Bundesstaat North Carolina) und der Johns Hopkins Universität (Baltimore) haben dazu Paare befragt, von denen befruchtete Eizellen in fortpflanzungsmedizinischen Zentren lagern. Über die Ergebnisse berichten sie online im Journal „Science“.

Demnach ist die Mehrheit der befragten Paare einverstanden, die tief gefroren gelagerten „Reserve“-Embryonen für wissenschaftliche Forschung zu spenden, falls sie selbst nicht noch einen Behandlungszyklus machen wollen.

Von den 1020 Ex-Patienten, die sich schließlich an der Umfrage beteiligten, waren spontan 49 Prozent bereit, die gelagerten befruchteten Eizellen für die Forschung freizugeben. Jeweils etwa ein Fünftel der Befragten konnte sich vorstellen, sie einem anderen Paar mit Kinderwunsch zu überlassen oder ihrer Vernichtung zuzustimmen. Auf die präzisere Frage, ob sie die Embryonen für Stammzellforschung zur Verfügung stellen würden, mit der nach Behandlungen für Krankheiten oder von Unfruchtbarkeit gesucht werde, antworteten sogar über 60 Prozent der virtuellen Eltern mit Ja.

Die Autorinnen der Studie, Anne Drapkin Lyerly und Ruth Faden, rechneten aus, dass sich 2000 bis 3000 neue Stammzelllinien entwickeln ließen, wenn nur ein Viertel aller Paare nach einer In-vitro-Befruchtung (IVF) mit anschließender Lagerung nicht eingepflanzter Embryonen im Ernstfall zu ihrem Jawort stünden – und wenn man die biologischen Probleme bei deren Weiterentwicklung einkalkuliere. „Das wäre das Hundertfache der heute für öffentlich geförderte Forschung zur Verfügung stehenden Zahl.“

In den USA wird derzeit mit Regierungsgeldern nur an 20 embryonalen Stammzelllinien geforscht, die alle vor dem August 2001 gewonnen wurden. Auch in Deutschland gibt es einen Stichtag, den 1.1. 2002. Diese – inzwischen politisch neu diskutierte – Einschränkung soll verhindern, dass Embryonen in „Export-Ländern“ eigens für „verbrauchende“ Forschung erzeugt werden.

In Deutschland selbst ist das aufgrund des Embryonenschutzgesetzes ohnehin nicht möglich. Rein rechtlich dürften hier aber auch keine „überzähligen“ Embryonen nach einer künstlichen Befruchtung übrig bleiben. Der Münchner Fortpflanzungsmediziner Wolfgang Würfel, sagte dem Tagesspiegel, es würden in Deutschland im Rahmen der IVF für zukünftige Behandlungszyklen statt dessen Eizellen im „Vorkernstadium“ eingefroren. Das sind Eizellen, die schon Kontakt mit Spermien hatten, aber noch nicht mit ihnen verschmolzen sind. In den USA habe man dagegen eine andere Strategie, „es werden sehr viel mehr Embryonen auf einmal erzeugt“, sagt Würfel

Wie denken nun deutsche Paare mit IVF-Erfahrung grundsätzlich über die Verwendung von befruchteten Eizellen zu Forschungszwecken? „Gerade Kinderwunsch-Paare gehen mit dem Gedanken des werdenden Lebens sehr skrupulös um“, weiß Würfel aus unzähligen Gesprächen. Andererseits ist durchaus denkbar, dass viele der Paare, die sich selbst von der modernen Medizin die Erfüllung eines sehnlichen Wunsches erhoffen, der Forschung mit embryonalen Stammzellen aufgeschlossener gegenüberstehen als der Durchschnitt der Bevölkerung.

Wie mit „überzähligen“ Embryonen verfahren werden soll und darf, bleibt aber ohnehin eine Frage, der sich die gesamte Gesellschaft zu stellen hat. Das Max-Delbrück-Centrum (MDC) für Molekulare Medizin in Berlin-Buch hielt in den Jahren 2003/04 eine Bürgerkonferenz zu ethischen Fragen der Stammzellforschung ab. Dabei lehnte insgesamt nur eine Minderheit der Teilnehmer eine Verwendung von Embryonen zu Forschungszwecken, die der Heilung anderer Menschen dienen sollen, strikt ab.

Selbst die Mehrheit aus der Gruppe derjenigen Teilnehmer, für die das Leben schon vor der Einnistung des Embryos in der Gebärmutter beginnt, hatte gegen eine solche Forschung unter gewissen Einschränkungen keine Einwände. Einig war man sich allerdings darin, dass Embryonen keinesfalls zu Forschungszwecken hergestellt werden sollten.

Die Erfahrungen aus den Bürgerkonferenzen lassen den MDC-Soziologen Horst Dietrich Elvers zu dem Schluss kommen, es sei aus bioethischer Sicht gerechtfertigt, „in Deutschland über eine Lockerung des Embryonenschutzes in bestimmten Grenzen nachzudenken“.

Adelheid Müller-Lissner

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