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Blitze - wie hier über Berlin - erzeugen aus Stickstoffatomen radioaktive Kohlenstoffvarianten.

© Matthias Balk/dpa

Strahlende Gewitter: Blitze erzeugen radioaktive Substanzen

Japanische Forscher haben entdeckt, dass Blitze strahlende Kohlenstoffvarianten produzieren können. Doch es gibt Widerspruch.

Während Wintergewitter in Mitteleuropa nur selten aufziehen, erschrecken die Menschen an der Ostküste der japanischen Hauptinsel Honshu in der kalten Jahreszeit recht häufig vor Blitzen und gewaltigem Donner. Für Teruaki Enoto von der Universität in Kyoto und seine Kollegen bieten die häufigen Gewitter daher eine gute Gelegenheit, mit sehr viel Energie verbundene Prozesse in der Atmosphäre zu beobachten. Und am 6. Februar 2017 registrierten die Sensoren an der Küste des Japanischen Meeres auffällige Werte. In der Fachzeitschrift „Nature“ beschreiben die Forscher nun das spektakuläre Ergebnis ihrer Messungen: Die Blitze sollen aus normalen Stickstoff-Atomen der Luft das radioaktive Element C-14 erzeugt haben.

Elektrische Felder in Gewitterwolken erzeugen Gammastrahlung

In der Regel entsteht C-14 in der Atmosphäre durch Strahlung aus dem Weltraum. Die japanischen Forscher interpretieren ihre Daten nun aber so, dass nicht nur kosmische Strahlung, sondern auch Blitze C-14 erzeugen. Der Argumentation nach werden in den starken elektrischen Feldern der Gewitterwolken Elektronen auf extrem hohe Geschwindigkeiten beschleunigt. Diese superschnellen Elektronen wiederum erzeugen sogenannte "Bremsstrahlung" mit sehr kurzen Wellenlängen. Solche Gammastrahlen lassen sich in den Winterstürmen an der japanischen Küste gut nachweisen, weil die Gewitterwolken dann mit 200 bis 800 Meter über der Erdoberfläche sehr tief über den Himmel jagen und die Strahlung diese relativ kurze Entfernung gut überwindet. Diese Gammastrahlen wiederum schlagen aus den in der Luft reichlich vorhandenen Stickstoff-Atomen Neutronen heraus, die zunächst mit sehr hoher Geschwindigkeit davonfliegen. Die von den Gammastrahlen getroffen Atomkerne wiederum stabilisieren sich, indem sie noch kleinere atomare Bestandteile, Neutrinos und Positronen, ausstoßen. Letztere konnten die Messgeräte der Forscher nachweisen. Aus den Stickstoff-Atomkernen entsteht dabei zunächst das Isotop C-13, das ohnehin bereits in der Atmosphäre vorhanden ist. Die von den Gammastrahlen aus den Stickstoff-Atomen herausgeschlagenen, schnellen Neutronen stoßen immer wieder mit den Atomen der Gase in der Luft zusammen und verlieren dabei viel Geschwindigkeit. Rund 96 Prozent dieser langsameren Neutronen bleiben im Kern eines weiteren Stickstoff-Atoms stecken und katapultieren dabei ein positiv geladenes Proton aus diesem Kern heraus. Dieser Prozess wandelt den Stickstoff-Atomkern schließlich in das radioaktive C-14-Isotop um. Genau das Isotop also, das auch durch die Strahlung aus dem Weltraum hergestellt wird. Die restlichen vier Prozent der Neutronen werden von Stickstoff-Atomkernen in der Luft oder von Atomkernen im Erdboden eingefangen, die daraufhin Gamma-Strahlung aussenden, die von den Messgeräten der Forscher ebenfalls registriert wurden.

Widerspruch von Forscherkollegen

Doch der inzwischen pensionierte Physiker Dieter Heck vom Karlsruher Institut für Technologie möchte sich den Schlussfolgerungen des japanischen Kollegen Enoto nicht anschließen - aus einem naheliegenden Grund: Trifft die Weltraumstrahlung auf die Atmosphäre, erzeugt sie einen Schauer geladener Teilchen, von denen jedes einen sogenannten „Ionisationskanal“ in der Luft bildet, der elektrischen Strom leitet. Diese Kanäle wiederum können in einer Gewitterfront Blitze auslösen. Die hohe Energie der geladenen Teilchen im kosmischen Schauer erzeugt gleichzeitig viel energiereichere Gammastrahlen als die von einer Gewitterfront erzeugten. Die Gammastrahlen der kosmischen Schauer können daher viel leichter Kernreaktionen auslösen, bei denen C-14 entsteht, deren Spuren die Forscher in Japan dann registriert haben. Die wenigen von den Blitzen über Gammastrahlen erzeugten radioaktiven C-14-Isotope sollten demnach kaum eine Rolle spielen.

Wieviel C-14 nun bei Gewittern entsteht und ob dabei ein nennenswerter Beitrag zur C-14-Menge in der Atmosphäre entsteht, kann nicht zuletzt für Archäologen von Bedeutung sein. Sie nutzen das Element für die Altersbestimmung ihrer Funde, denn C-14 wird von lebenden Organismen wie nicht-radioaktive Kohlenstoffatome auch im Körper eingebaut. Stirbt die Pflanze oder das Tier, dann stoppt die Aufnahme von C-14 und die Uhr beginnt zu ticken: Je weniger C-14 beispielsweise in einem Holzsplitter eines Wikingerbootes enthalten ist, umso älter ist der Fund. Nach genau 5730 Jahren ist die Hälfte des C-14 zerfallen. Doch dazu ist es nötig zu wissen, wieviel C-14 ursprünglich in der Atmosphäre war. Wenn diese Menge aufgrund von Gewittern schwankt, dann müsste die "Uhr" der Archäologen womöglich nachjustiert werden.

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