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Schwächelt der Feminismus? Jedenfalls kann man an der Uni Kurse in Gender Studies besuchen, ohne dort je einen Text von einer Frau zu lesen, wird kritisiert.

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Streit über Geschlechterforschung: Weniger Gender, mehr Feminismus

Die Frauenforschung an den Unis ist unter die Räder der Gender-Wende gekommen, kritisieren Wissenschaftlerinnen. Denn die Kategorie „Gender“ habe das Subjekt des Feminismus, die Frau, aufgelöst und damit der Dominanz des Mannes ungewollt zugearbeitet.

Damals, in den achtziger Jahren, war Feminismus noch ein kämpferisches Geschäft. Es an der Hochschule zu betreiben hieß, an einer der frisch gegründeten Frauenforschungseinrichtungen zu arbeiten. Hier wurde der vernachlässigte weibliche Teil der Geschichte erforscht: Feministische Historikerinnen beschrieben Krieg und Handel aus Sicht der Frauen. Feministische Literaturwissenschaftlerinnen gruben nach Biografien unbekannter Autorinnen. Es war klar, was Feministinnen wollten – Gleichberechtigung! – und für wen sie das wollten – für die Frauen!

Wo sind die Frauen geblieben?

Und heute? Frauenbuchläden gibt es kaum mehr, nicht einmal Frauenbuchecken in Buchläden. Verlage haben ihre Autorinnen-Reihen längst eingestellt. Und in literaturwissenschaftlichen Seminaren fragt selten noch jemand nach „weiblicher Autorschaft“. Dabei dominieren Männer weiter den Literaturbetrieb und beherrschen den literarischen Kanon wie ehedem. „Wo sind die Frauen geblieben?“, fragt also Anne Fleig, Professorin für Neuere deutsche Literatur an der FU Berlin, in dem von ihr herausgegebenen Sammelband „Die Zukunft von Gender“. Ihre Antwort: Die Frauen sind unter die Räder der Gender-Wende geraten.

So sehen es auch die meisten der in dem Band versammelten Wissenschaftlerinnen. Denn die Kategorie „Gender“ habe das Subjekt des Feminismus, die Frau, aufgelöst und damit der Dominanz des Mannes ungewollt zugearbeitet. So könne jemand heute ein Studium der Gender Studies absolvieren, ohne einen einzigen Text von einer Autorin gelesen zu haben, schreibt etwa die Germanistin Sigrid Nieberle (Nürnberg-Erlangen).

Die Kritik schließt an die der US-amerikanischen Historikerin Joan W. Scott an. Scott gilt als Vordenkerin der Gender-Forschung. Aber schon vor anderthalb Jahrzehnten hat sie die Frage aufgeworfen, ob die Kategorie Gender wirklich immer noch die politisch „nützliche Kategorie“ ist, die sie einmal war.

Die "Frau" ist ein Konstrukt - das wurde unter dem Einfluss des Poststrukturalismus klar

Eigentlich ist „Gender“ nur das englische Wort für „Geschlecht“. Anfang der 90er Jahre rollte es aber als wissenschaftliches Konzept aus den USA heran. Das Kollektiv „Frau“, für das die feministische Wissenschaft bislang gesprochen hatte, wurde dabei radikal infrage gestellt. Dass Frauen sozial sehr unterschiedlich dastehen, war den Feministinnen schon im 19. Jahrhundert bewusst gewesen. Nun aber ging es nicht mehr nur darum, die verschiedenen Lebenslagen der Frauen im feministischen Streit zu berücksichtigen. Vielmehr wurde die „Frau“ unter dem Einfluss des Poststrukturalismus generell als ein Konstrukt erkannt, das durch die Gesellschaft, nämlich durch ihre (Sprach-)Handlungen, erst hervorgebracht und dabei normiert und naturalisiert wird.

Nicht einmal der weibliche Körper blieb als fester Bezugspunkt erhalten. Schließlich existiert er nicht einfach als natürliches Faktum, sondern im sozialen Raum. Darum materialisiert er sich überhaupt erst über die (kulturell geprägte) Wahrnehmung und die ihm so zugeschriebenen Bedeutungen, wie die Philosophin Judith Butler in ihrem berühmten Buch „Gender Trouble“ vor inzwischen 25 Jahren erklärte. Von „der Frau“ ist im Zuge der umfassenden poststrukturalistischen Kritik nichts mehr übrig geblieben, stellen die in dem Band versammelten Autorinnen denn auch fest. Anstatt wie früher mehr oder minder stabile „Subjekte“ zu untersuchen, scheine sich der forschende Blick jetzt nur noch darauf zu richten, wie kulturelle Praktiken die reichlich instabilen und inkohärenten „Identitäten“ hervorbringen.

Strategien zur Veruneindeutigung gelten als subversiv

Die Frau ist aber nicht nur versehentlich unter die Räder geraten, sondern sie gilt geradezu als störend, wie die Philosophin Tove Soiland kritisiert. Denn die „Artikulation eines weiblichen Kollektivs“ Frau sei für Genderpolitik à la Judith Butler ja gerade nicht „wünschenswert“. Dies liege an Butlers feministischem Anliegen, das in ihrer Kritik an der „heterosexuellen Matrix“ kulminiere. Demnach ist es die Norm der Heterosexualität, die die Konstruktion strikter Zweigeschlechtlichkeit überhaupt erst verlangt und damit Machtstrukturen produziert. „Macht wirkt normativ, und sie zielt auf die Herstellung von Kohärenz und Eindeutigkeit“, schreibt Soiland. Darum würden aus dieser Butler-Lesart heraus „Strategien zur Veruneindeutigung geschlechtlicher Positionen, und allgemeiner zur Pluraliserung von Identitäten, als subversiv erscheinen“. Wer hingegen einfach weiter von „Frauen“ und „Männern“ spricht, reproduziert diesem Verständnis nach bloß die herrschenden Verhältnisse.

Eingeweihte führen Eiertänze auf

Die meisten der in dem Band versammelten feministischen Wissenschaftlerinnen halten es für politisch aber kaum erfolgversprechend, der Männermacht durch Auflösung der Geschlechterkategorien beizukommen. So mokiert sich die Philosophin Cornelia Klinger (Wien/Tübingen) über „Eiertänze um Worte, die eine immer kleiner und selbstbezüglicher werdende in-group mit wachsender Verbissenheit aufführt“. Gemeint sind linke gender-akademisch gebildete Kreise. Der Singular sei dort verpönt, nur noch der Plural könne „die gebührende Anerkennung von Differenz (Verzeihung! Differenzen!!) und den gebotenen Pluralismus der Standpunkte verbürgen“. Dies seien aber Symptome „der Schwächung und Selbstschwächung“ der sozialen Bewegung für die Sache der Frau.

Tove Soiland kommt aus psychoanalytischer Perspektive zu einem ähnlichen Schluss. Kohärente Geschlechtergrenzen zu dekonstruieren sei ja durchaus sinnvoll. Doch psychoanalytisch gesehen habe die weibliche Position überhaupt nie eine „Subjektposition“ erlangt, erklärt Soiland in ihrer Lacan-Interpretation, weshalb es hier auch nichts zu dekonstruieren gebe. Judith Butler stelle das Kollektiv „Frau“ infrage, weil es ihm so schwer falle, seine „kolektive Betroffenheitslage“ zu artikulieren. Politisch weit wirksamer sei es aber, „diese Tendenz zur Desartikulation“ als Effekt der „patriarchalen Strukturen“ kritisch zu hinterfragen.

In der Literaturwissenschaft erschien es im Zuge des poststrukturalistisch proklamierten „Tod des Autors“ und der „Hegemonialisierung des Konstruktionsparadigmas“ als unwissenschaftlich, nach der Autorin zu fragen. Dabei verberge sich hinter dem „Tod des schöpferischen, männlichen Autors“ „letztlich nur eine weitere Figur universeller und hegemonialer Männlichkeit“, stellt die Germanistin Fleig fest.

"Unter dem Schutt liegt die Autorin begraben"

Die Entwicklungen hätten sich leider auch deutlich auf zeitgenössische junge Autorinnen ausgewirkt, denen es in Gender-Zeiten hochproblematisch erscheine, sich als Autorin zu artikulieren, geschweige denn in kämpferischer Absicht für ein weibliches Kollektiv zu sprechen. Wegen der poststrukturalistischen Kritik an Autoritäten, an Kollektiven und an großen kohärenten Erzählungen bevorzugten sie die Short Story, statt einer auktorialen Erzählerin ließen sie standpunktlos „viele kleine Ichs“ zu Wort kommen. Fleigs Urteil ist niederschmetternd: „Unter dem Schutt liegt die Autorin begraben, und mit ihr literarische Entwürfe von Emanzipation und Kritik (…), politische Intentionen sind nur noch etwas für übrig gebliebene ,Feministinnen‘.“

Die in dem Band versammelten Wissenschaftlerinnen stellen zentrale Erkenntnisse der Gender-Forschung nicht infrage – wie etwa die Einsicht, dass Geschlecht ein soziales Konstrukt ist. Sie loben die erheblichen Impulse, die Gender der Theoriebildung gegeben habe. Doch inzwischen halten sie Gender für unwirksam oder sogar kontraproduktiv, weil es auf Kosten der Frauen gehe.

Kaum ein Begriff erregt die Gemüter mehr als "Gender"

Man staunt ob des so einhelligen Urteils. Schließlich erregt derzeit kaum ein Begriff die Gemüter in Deutschland stärker als „Gender“: Von „Genderwahn“ spricht die AfD, Frank Plasberg bezeichnete Geschlechterforschung unlängst als „Alltagswahnsinn“, in bürgerlichen Zeitungen und im Netz wird gehetzt. Gender scheint noch viel aggressiver bekämpft zu werden als der Feminismus, rütteln die Theorien doch auch an der Naturalisierung des „Mannes“ und damit an seiner Macht. Dass die Wissenschaftlerinnen in ihrer umfassenden Bilanz darauf nicht eingehen, hängt sicher damit zusammen, dass sie sich auf die Wirkung von Gender in der Wissenschaft fokussieren. Allerdings würdigt auch kein Beitrag, dass Gender die Forschung zu sexuellen Minderheiten vorangetrieben und damit auch im Alltag zur Befreiung von Menschen aus den Zwängen der binären Geschlechternorm beigetragen hat. Der Band bringt sich damit um eine Vielstimmigkeit, die eigentlich ein Markenzeichen feministischen Denkens ist.

Nur ein Aufsatz sieht Gender nicht als Bedrohung für den Feminismus: der von Sabine Hark, Professorin für Interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung an der TU Berlin. Der Feminismus blühe im Netz und auf der Straße. Gender sei dabei das „kritische Werkzeug“ des Feminismus, in dem es „Zusammenhänge zwischen vorgeblich Unzusammenhängendem aufschließt“. Gender gebe zwar keine eindeutige Antwort, sondern könne nur „vorübergehend“ sein. Dies eröffne aber gerade die Chance, die Welt mit Gender immer neu zu hinterfragen, folgert Hark: „Gender ist immer noch in der Lage, trouble zu verursachen.“

Anne Fleig (Hrsg.). Die Zukunft von Gender: Begriff und Zeitdiagnose. Campus-Verlag. 243 Seiten. 29,90 Euro.

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