zum Hauptinhalt
Schwarze und asiatische Studierende, die teilweise ihre geballten Fäuste erhoben haben, marschieren über den Campus einer Universität.

© Polaris/laif/Stephen Shames

Streit um "Black Studies": Black Power auch für deutsche Unis?

Die „Black Studies“ erforschen schwarze Geschichte und kämpfen gegen Rassismus. Jetzt suchen sie ihren Platz auch an deutschen Universitäten - und fordern Professuren für schwarze Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.

Wie verändert man die Welt? Die Werkzeuge des Herrschenden werden niemals sein eigenes Haus niederreißen, befand die schwarze Aktivistin Audre Lorde 1979. In New York hatten sich auf einer Konferenz zu Ehren Simone de Beauvoirs hunderte Feministinnen versammelt. Die Konferenz sei Ausdruck „akademischer Arroganz“, warf Lorde den weißen Sprecherinnen vor: So lange schwarze Frauen vom intellektuellen Diskurs ausgeschlossen blieben, sei an eine Veränderung der Welt nicht zu denken.

Lorde ist heute eine Ikone. Hiesige Universitäten können sich von ihrer Rede allerdings immer noch adressiert fühlen. Die akademische Welt in Deutschland ist auffallend homogen. Es gibt fast keine schwarzen Professorinnen oder Lehrstuhlinhaber, die aus nicht-europäischen Ländern stammen. Die Black Studies, die sich der Erforschung schwarzer Geschichte und Kunst widmen, sind kaum institutionalisiert. Kritiker sagen: In Deutschlands Scientific Community gibt es strukturellen Rassismus.

Ein Vorwurf: Rassistische Gewalt wird reproduziert

Dazu zwei Vorfälle. Vergangenes Jahr hatte das „Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterforschung“ (ZtG) der Humboldt-Universität eine Konferenz veranstaltet, auf der es um rassistische Gewalt gehen sollte. Es kam zu einem Eklat, als die Bremer Amerikanistin Sabine Broeck mehrfach das N-Wort verwendete – in kritischer Absicht, wie sie selbst meinte. Studierende warfen Broeck und dem ZtG jedoch vor, jene rassistische Gewalt reproduziert zu haben, die weiße Wissenschaftlerinnen zu analysieren vorgaben.

Kein Einzelfall, sagt die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ (ISD) – und kritisiert Vorgänge in Bremen. An der dortigen Universität hatte sich – unter Broecks Federführung – eine Forschungsgruppe „Black Knowledges“ (Schwarzes Wissen) gegründet, die sich jedoch nur aus Weißen zusammensetzte. Das in Anlehnung an Immanuel Kant als „Kritik der weißen Vernunft“ bezeichnete Vorhaben, eurozentristische Wissensproduktion in Frage zu stellen, wurde so gleichsam ad absurdum geführt. Wer die westliche Moderne kritisieren wolle, müsse „Privilegien abgeben und mit Dominanzverhältnissen brechen“, sagt Tahir Della vom Vorstand der ISD. Ein entsprechendes Statement der Initiative haben namhafte Professorinnen und Aktivisten unterzeichnet. Die Forschungsgruppe hat sich inzwischen aufgelöst.

Afroamerikanische Geschichte sollte systematisch erforscht werden

Seit jeher ging es den Black Studies um die Verbindung von Akademischem und Politischem. Ende der sechziger Jahre begannen Studierende in San Francisco dafür zu streiten, die afroamerikanische Geschichte systematisch zu erforschen und sie an den Hochschulen als Disziplin zu etablieren. Dabei ging es nicht nur um die Aufarbeitung der Sklaverei, Apartheid oder Kolonialgeschichte. Viel umfassender sollte reflektiert werden, dass unser gesamtes Wissen „weiß“ ist: Weiß die Vordenker der Aufklärung. Weiß die Autoren der Weltliteratur. Weiß die Forscher, die definiert haben, was als wissenschaftlich gilt. Die schwarzen Denkerinnen, Autoren, Historiker – unbekannt, oft nichtmal in Lexika verzeichnet.

Aus dem imperialistisch geprägten Wissen strukturell verdrängt

Ist es nicht egal, ob diese Forschung von weißen oder schwarzen Wissenschaftlern betrieben wird? Diese Frage löst immer wieder Kontroversen aus. Bei der Bremer Forschungsgruppe etwa wurden die Studien schwarzer Forscherinnen zwar erwähnt, doch kamen die universitären Gelder für Mitarbeiterstellen nur Weißen zugute. Als „epistemische Gewalt“ bezeichnen Kritikerinnen diesen schwarzweißen Wissenstransfer. Die indische Theoretikerin und Aktivistin Gayatri Chakravorty Spivak hat diesen Ausdruck geprägt: Schwarze Menschen sind nicht nur von körperlicher Gewalt betroffen. Sie werden aus unserem imperialistisch geprägten Wissen strukturell verdrängt und intellektuell enteignet. Ein weiteres Beispiel: Die ethnologischen Exponate, die ins Humboldt-Forum kommen sollen, gelten hierzulande als „Preußischer Kulturbesitz“. Sie gehören aber nicht Deutschland, sagen Kritiker – in Wahrheit handele es sich um Beutekunst.

Juniorprofessorin gründet Forschungszentrum - und muss dann gehen

Vordenkerinnen postkolonialer Theorie verlassen allzu oft die deutsche Unilandschaft. Die Politologin Nikita Dhawan etwa. 2008 kam sie, nach einem Master in Mumbai und einer Promotion in Bochum, als Juniorprofessorin nach Frankfurt am Main. Dhawan gründete ein Forschungszentrum für Postcolonial Studies, ihre Einführung in das Thema ist ein Standardwerk. Nun hat die Universität Innsbruck sie wegberufen, nachdem Frankfurt ihr kein angemessenes Bleibeangebot gemacht hatte. Die Anerkennung postkolonialer Themen verlaufe nur schleichend, sagt Dhawan: „Es wird noch zu wenig über die Institutionalisierung postkolonialer Studien nachgedacht, die ein wichtigen Bestandteil der Dekolonisierungsstrategien Europas darstellt.“

Sie selbst hat über die Verbindung von Kolonialgeschichte und Holocaust geforscht. Der Arzt Eugen Fischer etwa führte Anfang des 20. Jahrhunderts medizinische Experimente an schwarzen Gefangenen durch, die auf der Haifischinsel vor Namibia in einem Lager interniert waren. Er zeichnete später wesentlich für die NS-Rassegesetze verantwortlich. Sein anthropologisches Lehrbuch kursierte noch in den sechziger Jahren an deutschen Universitäten. „Jedes Land hat eine Narration über die Entstehung der eigenen Identität“, sagt Dhawan. „Postkoloniales Denken hinterfragt diese Narration. Die Black Studies erinnern uns, dass die Deutschen ihre eigene schwarze Geschichte systematisch vergessen.“

Ein rein weißes Team für Black Studies? Das wirkt verletzend

Gerade weil die Bremer Forschungsgruppe all das wisse, sei ein rein weißes Team so verletzend gewesen, erklärt Dhawan: „Diese Institution hätte unsere Verbündete sein müssen.“ Die Stellenpolitik an den Unis findet sie „absolut skandalös. Es gibt hier eine Menge hochqualifizierter migrantischer und schwarzer Wissenschaftlerinnen, die exzellente Publikationen haben und dennoch nicht berufen werden. Internationalisierung und Diversität sind in Deutschland hohle Schlagworte“.

Ein scharfer Angriff kommt auch von der Initiative „Gegen epistemische Gewalt“, einer von der ISD unterstützten Gruppe HU-Studierender. Sie wollen anonym bleiben, weil sie in den Seminaren jener Lehrenden sitzen, denen sie „Lippenbekenntnisse“ vorwerfen. Mit dem ZtG habe es in den letzten Monaten „konfliktreiche Gespräche“ darüber gegeben, dass es in der Berliner Geschlechterforschung ein ernsthaftes rassistisches Problem gebe. „Alle Professorinnen sind weiß, People of Color bekommen höchstens prekäre Lehraufträge oder befristete Gastprofessuren“, sagen sie. „Es ist absurd, im Hörsaal von Weißen über Rassismuserfahrungen belehrt zu werden, die sie gar nicht gemacht haben.“ Ihre Forderung: eine dauerhafte „schwarze Professur“.

Das ZtG reagiert verhalten auf die Vorwürfe. Man teile die Kritik, wolle aber die Konflikte nicht zu sehr nach außen tragen. Eine spezielle „Professur, die sich mit Rassismus befasst“, sei wünschenswert, sagt die Geschäftsführerin Gabriele Jähnert. Doch sei das ZtG nicht befugt, darüber zu entscheiden – „die Strukturen, die Berufungsverfahren betreffen, reichen hoch bis zum Senat“.

"Es geht um die Frage, wer zu Deutschland gehört"

Maisha Eggers, Erziehungswissenschaftlerin und Geschlechterforscherin in Magdeburg-Stendal, ist derzeit Gastprofessorin an der HU und sagt: So schmerzhaft und langwierig die Auseinandersetzungen, so hilfreich seien sie auch. „Wenn soziale Kämpfe auftreten, ist das ein Zeichen, dass Menschen tatsächlich strukturell ausgeschlossen werden. Die Universitäten müssen endlich anerkennen, dass sie die Karrierewege des akademischen Raums systematisch homogen halten, obwohl sich unsere Gesellschaft stetig pluralisiert.“ Helfen könnten, wie in der Frauenförderung, nur langfristige Maßnahmen: „Es muss endlich eine deutlich messbare Zahl rassismuserfahrener Fakultätsmitglieder geben.“ Auch universitär finanzierte Antidiskriminierungsstellen, die sich bislang in studentischer Selbstverwaltung befinden, wären ein wichtiger Schritt.

„Es geht nicht um Theorie im Elfenbeinturm“, sagt Dhawan: „Es geht um die Frage, wer heute und in Zukunft zu Deutschland gehören darf: Wer hat das Recht, an der Wissensproduktion und intellektuellen Arbeit teilzunehmen?“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false