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Zusammen arbeiten. Das Lernklima ist einer jetzt in Berlin vorgestellten Studie zufolge an den freien Schulen oft besser. Foto: dpa

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Studie: Privatschulen: Flucht in die Nische

Vor allem Bildungsbürger mit Abstiegsängsten schicken ihre Kinder an Privatschulen. Doch bessere Leistungen bieten diese kaum - das ergibt zumindest eine neue Studie.

Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, „wünschen sich ein besseres Sozialniveau, eine bessere individuelle Förderung der Kinder, höhere Lernleistungen und bessere Chancen im Beruf“, sagt Bildungsökonom Manfred Weiß. Der Wissenschaftler vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main stellte am Mittwoch in Berlin eine Privatschulstudie vor, die das Netzwerk Bildung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegeben hatte. Weiß warnte davor, dass ein weiterer Ausbau der Privatschulen zu sozialen Verwerfungen führen könne.

Doch erfüllen sich die Erwartungen der Eltern an Privatschulen? Zumindest bei den Schülerleistungen kommt Weiß zu ambivalenten Ergebnissen. Die Gymnasien, die von knapp 40 Prozent aller Privatschüler besucht werden, schneiden schlechter ab als die staatlichen Gymnasien. Nur an privaten Realschulen seien die Leistungen der Schülerinnen etwas besser. Das ergebe ein Vergleich „statistischer Zwillinge“: Weiß rechnet den höheren sozialen Status und den daraus resultierenden Bildungsvorsprung der Privatschüler auch gegenüber Schülern mit Migrationshintergrund heraus. Leistungsvorsprünge verdankten sich also „dem Selektionseffekt einer leistungsfähigeren Schülerschaft“.

Doch die Eltern setzten gerade auf die sozialen Unterschiede: „Bildungsnahe suchen und finden Milieunähe und Distinktion“, sagt Weiß. So verfügen sie zwar nicht über ein signifikant höheres Haushaltseinkommen, wohl aber über höhere Bildungsabschlüsse. Mit vier Prozent sind ausländische Schüler zudem an Privatschulen unterrepräsentiert; an staatlichen Schulen sind es acht Prozent. Für Weiß ist denn auch „die Kehrseite der Medaille“, dass Privatschulen „ein soziales Auseinanderdriften der Gesellschaft und ethnische Segregation“ begünstigten. Für Eltern und Schüler werden eher die Vorteile der Privaten zählen, die Weiß herausarbeitete: Die Kinder fühlen sich durch die Lehrkräfte besser unterstützt, die Eltern sind mit den Leistungsanforderungen zufriedener als an öffentlichen Schulen.

Dass freie Schulen in Vergleichstests wie Pisa nicht generell bessere Ergebnisse als staatliche Schulen erzielten, sei seit längerem bekannt, erklärte der Präsident des Verbands Deutscher Privatschulverbände, Michael Büchler, am Mittwoch. Freie Schulen seien aber besser darin, leistungsschwächere Schüler durch spezifische Förderangebote zu einem Schulabschluss zu führen. Solche Erfolge seien mit Vergleichsuntersuchungen, die nur einzelne Fachkompetenzen abfragten, nicht zu erfassen.

Verglichen hat Weiß die Schülerleistungen aufgrund des Bundesländervergleichs zu Pisa 2000. Neuere Pisa-Daten hätten ihm nicht zur Verfügung gestanden erklärte der Bildungsforscher. Im Kern bezieht er sich auf Daten zu 36 „Ersatzschulen“, also solchen Privatschulen, die sich an staatlichen Lehrplänen orientieren und Finanzhilfen vom Staat erhalten. Waldorfschulen sowie „Ergänzungsschulen“ wie etwa die Internationalen Schulen wurden nicht berücksichtigt. Zusätzlich stützt sich Weiß auf eine Studie des Sozio-ökonomischen Panels am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und auf Daten des Statistischen Bundesamtes.

Von einem Boom der Privatschulen könne man nicht mehr sprechen, betont Weiß. Im Schuljahr 2008/09 besuchten 7,7 Prozent aller Schüler eine Schule in freier Trägerschaft, 2005/06 waren es 7,1 Prozent. Zwar stieg die Zahl der Privatschüler seit 1992 bundesweit um 55 Prozent, den entscheidenden Sprung habe es aber nach der ersten, 2001 veröffentlichten Pisa-Studie gegeben. Das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler im internationalen Vergleich habe zu einer negativen Wahrnehmung von öffentlichen Schulen geführt – und „Abstiegsängste der Mittelschicht“ geschürt. Die größten Zuwachsraten gab es in Ostdeutschland, ein Nachholeffekt, weil in der DDR kaum Privatschulen existierten.

In Berlin stieg die Zahl der Schüler an freien Schulen seit dem Jahr 2000 bis 2010 von 20 400 auf 35 400, die sich auf rund 120 Schulen verteilen. Damit ist rund jeder zehnte Schüler in Berlin nicht mehr an einer öffentlichen Schule. Für das kommende Schuljahr ist laut Bildungsverwaltung die Gründung von drei weiteren Grundschulen, zwei Gemeinschaftsschulen, ein oder zwei Gymnasien und vier oder fünf Sekundarschulen sowie zwei neuen gymnasialen Oberstufen beantragt. (mit sve)

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