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Studierende betreten ein Universitätsgebäude, einige sitzen auf der Treppe.

© dpa/Marius Becker

Studienabbrecher: Tschüss, Uni!

Deutschlandweit bricht mehr als jeder vierte Studierende sein Studium ab. Warum? Eine Spurensuche.

Studienabbrecher sind eine wenig erforschte Spezies. Als anonyme Nummern tauchen sie in den Matrikeln der Hauptstadt-Unis auf, nach wenigen Semestern verschwinden sie lautlos aus den Uni-Annalen. Warum sie scheitern und wohin sie gehen, wissen die Hochschulen oft selbst nicht so genau. Ob Motivationsprobleme, Leistungsdruck oder Perspektivlosigkeit – bei der Suche nach den Gründen tappen die Hochschulen oft im Dunkeln.

Einer, der das wundersame Verschwinden der Studierenden seit Jahren untersucht, ist Ulrich Heublein. Für das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DHZW) verpackt er Deutschlands Studienabbrecher regelmäßig in Tabellen und farbenfrohe Balkendiagramme. Von 100 Studienanfängern erreichen derzeit 28 keinen Bachelor-Abschluss, geht aus seiner aktuellen Studie hervor. An den Unis bricht jeder Dritte ab, an den Fachhochschulen jeder Vierte. Master-Studenten halten eher durch als ihre Bachelor-Kollegen – soweit Heubleins Erkenntnisse. Wie die Situation speziell in Berlin aussieht, kann selbst Experte Heublein nicht sagen. „Da wir nicht über die notwendigen statistischen Angaben zum Wechsel der Studierenden zwischen den Bundesländern verfügen, können wir auch keine regionalen Studienabbruchquoten berechnen“, sagt Heublein.

Gut die Hälfte der Bauingenieur-Studierenden an der Uni bricht ab

Blickt man auf die Fächer, sind die Unterschiede bei den Abbruchquoten markant. Bundesweit sieht es in den Ingenieurwissenschaften am dramatischsten aus: Mehr als jeder zweite Bauingenieur-Student bricht sein Universitätsstudium ab; unter den Maschinenbau-Studenten führen 36 Prozent ihr Bachelor-Studium nicht zu Ende. Besser ist die Quote abseits der MINT-Fächer: In Psychologie bricht nur jeder zehnte Bachelor-Student ab, in den Wirtschaftswissenschaften sind es 26 Prozent.

Karin Schulz ist eine der Berliner Studentinnen, die durchgehalten hat – zwischen vielen Abbrechern. Die 25-jährige Master-Studentin studiert Bauingenieurswesen an der TU Berlin. „Die ersten drei Bachelor-Semester waren hart“, gibt sie zu. Statt Kreativität und architektonischem Ideenreichtum waren Statik und Mathematik gefragt. Anfangs habe auch sie ans Abbrechen gedacht. „Mich hat aber die Hoffnung gestützt, dass das Studium besser werden würde, wenn die Grundlagen durch sind.“

Appell an Studienanfänger: "Informiert euch besser!"

Karin Schulz engagiert sich mittlerweile in der studentischen Fachberatung der Bauingenieure. Sie hilft anderen Studierenden, die mit ihrer Studienwahl hadern. Häufig klagen sie über den Prüfungsmarathon in den ersten Semestern. Die damit einhergehenden Misserfolge würden ungemein demotivieren. „Schließlich ist der gesamte Studienverlauf davon abhängig“, sagt Schulz.

Dietmar Stephan kennt solche Klagen. Er leitet das Institut für Bauingenieurwesen an der TU Berlin. Über 50 Prozent der Bachelor-Studenten würden an seinem Institut das Handtuch schmeißen. Diese Schwundquote schließt, anders als die Statistik des DHZW, auch Studienfachwechsler und Hochschulwechsler mit ein. Seiner Einschätzung nach seien die allermeisten Abbrecher schlecht informiert gewesen: „Sie erwarten Architektur, bekommen dann aber Mathegrundlagen vorgesetzt“, sagt Stephan. Zwar habe die TU genügend Beratungsangebote, diese würden aber nicht in Anspruch genommen. Sein Appell an die Abiturienten lautet deshalb: „Informiert euch besser!“

"Von Null auf hundert" - das wirkt sehr selektiv

Doch auch die, die über Talent und Interesse verfügen, scheitern oft an den harten und vor allem dicht getakteten Prüfungen in den ersten Semestern. Eine Studienreform am Institut soll ihnen nun helfen. Der Prüfungsdruck in den ersten Semestern soll entzerrt werden, ohne jedoch die Anforderungen zu senken. Solche Maßnahmen empfiehlt auch Experte Heublein: „Von null auf hundert – diese Lehrkultur hat eine sehr selektive Wirkung.“ Strecke man den Studienanfang hingegen auf mehrere Semester, verteilen sich auch die Leistungsanforderungen über eine längere Zeit.

Eine HU-Dekanin fordert "permanente Unterstützung" durch die Uni

Julia von Blumenthal ist Dekanin an der Fakultät für Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaften der Humboldt-Universität. Der Umgang mit Studienabbrechern ist auch an ihrer Fakultät ein Thema, wenngleich die Zahlen nicht so alarmierend sind wie bei Kollegen an Elektrotechnik- oder Maschinenbau-Lehrstühlen. Mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten im Studium habe sie gute Erfahrungen gesammelt. Studierende mit Leistungsschwierigkeiten oder persönlichen Problemen würden von einem gut ausgebauten Netz aus Servicestellen aufgefangen. Die Liste der Ansprechpartner auf der Homepage der HU ist lang: Studienfachberatung, psychologische Beratung, Beratung zur Vereinbarkeit von Studium und Leben. „Die Universitäten müssen dafür Sorge tragen, dass permanente Unterstützung gegeben ist“, sagt Julia von Blumenthal.

Potenzielle Abbruch-Kandidaten sollten frühzeitig identifiziert werden

Auch die Politik nimmt sich mittlerweile der Studienabbrecher an. Zehn Prozent des Geldes aus dem Hochschulpakt sollen Hochschulen künftig dazu verwenden, um die Zahl der Abbrecher zu verringern, beschlossen Bund und Länder in der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz (GWK). Heublein rät den Hochschulen zu Maßnahmen, mit denen potenzielle Abbruch-Kandidaten möglichst früh identifiziert werden – etwa Mentorenprogramme oder verpflichtende Self-Assessment-Center. Hierbei sollen junge Menschen schon vor Studienbeginn mithilfe eines Online-Tools die Studieninhalte erleben und so testen, ob sie überhaupt für das Studium geeignet sind.

Die FU fragt ihre abtrünnigen Studierenden nach Gründen

An der Freien Universität Berlin geht man den umgekehrten Weg: Mithilfe eines Online-Fragebogens will die Hochschulleitung der Motivation ihrer abtrünnigen Studierenden auf die Schliche kommen. Die Ergebnisse aus der laufenden Befragung der exmatrikulierten Studenten sollen voraussichtlich im kommenden Sommersemester vorliegen, heißt es aus der Pressestelle. Aus der Befragung von 2007 ging hervor, dass bei 40 Prozent der Befragten die Studienbedingungen, mangelnde Studienmotivation oder eine berufliche Neuorientierung Abbruchgründe waren. Rund ein Viertel gab außerdem persönliche oder finanzielle Probleme als Motiv an. Die FU hat auf diese Erkenntnisse bereits reagiert: Ein Mentoring-Programm richtet sich seit 2012 speziell an Bachelor-Studenten. Sie sollen bessere Unterstützung und Motivation in der Studieneingangsphase erhalten.

Ortswechsel nach Berlin-Wedding, an die Beuth Hochschule für Technik. Norbert Kalus leitet hier den Master-Studiengang Computional Engineering. Die Abbruchquote an dem FH-Studiengang ist geringer als an vergleichbaren Mathematik-Studiengängen an den Unis. An der staatlichen Fachhochschule gibt es keine Massenvorlesungen – kleine Gruppen schaffen eine persönliche Atmosphäre. Trotzdem: 25 Prozent seiner Studenten verlassen den Studiengang ohne Abschluss, erzählt Kalus. Über die Gründe könne er nur spekulieren. „Obwohl wir viele Beratungs- und Unterstützungsangebote haben, wenden sich die Studenten nicht frühzeitig an uns.“

Auch Joachim Frisius lehrte einst an der Beuth Hochschule. Heute ist der Professor für Mathematik über achtzig, das Thema Studienabbrecher verfolgt ihn aber bis in den Ruhestand. In Leserbriefen schrieb er sich die Finger wund, seine über die Jahre gesammelten Zeitungsartikel und Notizen über Abbruchquoten füllen ganze Ordner. Für Frisius ist die ungenügende Betreuungssituation an den universitären MINT-Studiengängen die Wurzel allen Übels. „Die didaktische Qualität der Lehre an den Unis ist in vielen Fällen katastrophal“, sagt Frisius. Habilitierte Universitätsprofessoren seien viel zu sehr auf die Forschung fokussiert. Eine bessere Betreuungsqualität würde auch die Zahl der Studienabbrecher senken.

Das Studium abzubrechen, heißt nicht, zu scheitern

Studienabbrecher – Frisius’ Kollege Kalus verwendet dieses Wort nicht besonders gern, weil es die betroffenen Studierenden stigmatisiere. Viel lieber will er von „Neuorientierung“ sprechen. Denn ein Studienwechsel oder der Schritt ins Berufsleben sei nicht immer automatisch mit einem Scheitern verbunden. „Man kann von jungen Leuten schließlich nicht erwarten, dass sie immer sofort die richtige Entscheidung treffen.“ Die Abbruchquote zu senken, sei zwar ein Ziel der Beuth Hochschule, sie auf null zu reduzieren jedoch utopisch. Schlussendlich seien die Universitäten auch keine Industriebtriebe, bei denen es nur um Input-Output gehe.

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