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Ein Mann setzt einen Hobel an einem Stück Holz an.

© picture alliance / dpa

Studienabbrecher wechseln in Ausbildungsberufe: Mehr Handwerk, weniger Theorie

Zu wenig Auszubildende, zu wenig Studierende? Sie setzen sich an die Spitze der Bewegung: Studienabbrecher erzählen, warum sie in eine Ausbildung wechseln - und wie sie dennoch von der Uni profitieren.

Eine Medizinstudentin, die ihr Studium abbricht, könnte bald im Blitzdurchgang Hörgeräte-Akustikerin werden. Denn ab Januar nächsten Jahres sollen Studienabbrecher verkürzte Ausbildungen absolvieren können. Das will Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung und Forschung (CDU), in bundesweiten Pilotprojekten durchsetzen, um Abbrechern den Einstieg in die berufliche Bildung zu erleichtern. Gefördert werden sollen nicht nur Abbrecher, deren Studiengänge fachlich etwas mit dem jeweiligen Handwerk zu tun haben – auch Fachfremde sollen die Ausbildung verkürzen können. Ein ehemaliger Philosophiestudent könnte so zum Beispiel deutlich schneller zum Konditor ausgebildet werden.

Ist das sinnvoll? Welche Qualifikationen bringen Studienabbrecher für das handwerkliche Arbeiten mit? Und warum beendet noch immer ein Drittel der Studierenden das Studium ohne Abschluss? Wir haben vier Studienabbrecher nach ihren Erfahrungen gefragt.

Felix Funke, 24: Erst Theatertechnik und Physik, bald KFZ-Mechatroniker

Auf dem Gymnasium wird implizit erwartet, dass man nach dem Abi studiert. Unbewusst passt man sich dieser Erwartung an – eine Ausbildung hatte ich deswegen nie in Betracht gezogen. Ich habe mich nach dem Abi also für Theatertechnik an der Berliner Beuth-Hochschule eingeschrieben. Ich dachte, der Studiengang sei der richtige für mich, weil ich schon in der Schule bei Theateraufführungen immer mit Licht und Sound geholfen habe. Aber nach einem Jahr habe ich gemerkt, dass ich das nicht beruflich machen will, schon gar nicht mein ganzes Leben lang. Außerdem wollte ich mehr technische Grundlagen lernen, der Studiengang war sehr anwendungsorientiert. Also habe ich nach einem Jahr abgebrochen und es noch einmal zwei Jahre lang mit Physik an der TU probiert. Doch das war mir wiederum zu theoretisch.

Felix Funke.
Felix Funke.

© Luisa Hommerich

Endlich kam mir die Idee: Warum eigentlich keine Ausbildung? Ich habe zu Hause immer schon gerne an meinem Moped gebastelt, also habe ich mich als KFZ-Mechatroniker bei den BMW Motorradwerken in Spandau beworben. Und siehe da: Die Ausbildung schlägt genau den Bogen zwischen Theorie und Praxis, den ich mir gewünscht habe. In der Zeit im Betrieb konnte ich viel lernen, diese sollte meiner Meinung nach nicht verkürzt werden. Aber in der Berufsschule hätte ich ruhig ein paar Einheiten überspringen können. Eine Verkürzung der Ausbildungszeit könnte da ansetzen. Wer schon einmal studiert hat, dem fällt das schulische Lernen einfach leichter.

Am Ende des Tages ein eigenes Produkt in der Hand

Lily Weiß, 28: Erst Wirtschaftspsychologie, bald Tischlerin

Ich habe das Studium nicht freiwillig abgebrochen, sondern bin kurz vor dem Abschluss gescheitert. Den Bachelor der Wirtschaftspsychologie von der Fresenius-Hochschule in Köln hatte ich schon so gut wie in der Tasche, da fiel dem Prüfungsamt auf, dass noch eine Prüfungsleistung fehlte. Es war mein dritter Versuch der Englischprüfung, mündlich. Ich bin durchgefallen. Es folgte die Zwangsexmatrikulation. Und das, obwohl ich meine Bachelorarbeit schon abgegeben hatte. In Deutschland bin ich nun für diesen Studiengang gesperrt. Ich war zunächst einmal total geschockt, ging zwei Jahre auf Reisen, um den Kopf klarzubekommen. Weil die Fresenius-Fachhochschule eine private Hochschule ist, hatte ich für das Studium 18 000 Euro Schulden gemacht; ohne Abschluss gibt es wenig Chancen, dieses Geld zurückzuzahlen.

Lily Weiß.
Lily Weiß.

© Luisa Hommerich

Aber dann zog ich nach Berlin und beschloss, eine Ausbildung anzufangen. Einem befreundeten Tischler half ich ab und zu bei seiner Arbeit, so kam mir die Idee, Tischlerin zu werden. Im September geht es los. An der handwerklichen Arbeit gefällt mir, dass man am Ende des Tages das Produkt der eigenen Arbeit klar vor Augen hat und in der Hand hält. Ich glaube, dass ich als Studienabbrecherin gute Voraussetzungen für die Ausbildung mitbringe, selbst wenn mein Studium nicht direkt etwas mit meiner Ausbildungs-Sparte zu tun hat. Im Studium habe ich sehr gute Lerntechniken entwickelt, wurde im Transfer- und Mitdenken geschult. Durch die vergangene Zeit bringe ich auch eine gewisse Selbstständigkeit und Lebenserfahrung mit. Ich werde anders in der Werkstatt stehen als eine 16-jährige Realschulabsolventin.

Von der Aushilfe beim Frühstücksservice ins Hotelfach

Jannes Wolters, 23: Erst Mikrosystemtechnik, bald Hotel-Fachmann

Nach der Schule war ich erst einmal ein wenig orientierungslos. Am liebsten hätte ich Psychologie studiert, aber mein Abi-Schnitt hat dafür nicht gereicht. Etwas anderes als ein Studium ist mir aber zunächst gar nicht in den Sinn gekommen – auch, weil Ausbildungen gesellschaftlich nicht das gleiche Ansehen wie ein Uni-Abschluss haben. Schließlich habe ich mich für Mikrosystemtechnik an der HTW Berlin eingeschrieben. Das erste Semester war okay, aber dann hat mein Interesse komplett nachgelassen. Vor allem Elektrotechnik war einfach nicht mein Ding. Ich habe abgebrochen und bin ein halbes Jahr gereist, habe dann als Aushilfe im Frühstücksservice in einem Hotel angefangen. Da habe ich gemerkt: Ich gehe jeden Tag mit einem Lächeln im Gesicht nach Hause, warum mache ich nicht einfach eine Ausbildung in diesem Bereich?

Jannes Wolters.
Jannes Wolters.

© Luisa Hommerich

Seit einem Jahr bin ich nun Azubi in einem Hotel an der Friedrichstraße und konnte im praktischen Teil der Ausbildung schon viel lernen. Die Berufsschule aber finde ich zu leicht. Es ist ermüdend, nach einem Semester höherer Mathematik im Mikrosystemtechnik-Studium noch einmal Dreisatz und Prozentrechnung durchzukauen. Deswegen hätte ich es toll gefunden, wenn ich den schulischen Teil hätte abkürzen können. Mich stört auch, dass die Ausbildungsgehälter nicht an die persönlichen Lebensbedingungen der Azubis angepasst sind. Für einen 16-Jährigen mögen 500 Euro im Monat reichen, nicht aber für einen 23-jährigen Studienabbrecher mit eigener Wohnung.

Auch der Fachwechsel zur Zoologie brachte es nicht

Jil R., 23: Erst International Development & NGO Management und Zoologie, bald Konditorin

Schon nach dem Abi wusste ich eigentlich ganz genau, dass ich Konditorin werden will. Ich hatte sogar schon eine Ausbildungsstelle. Die habe ich aber wieder abgesagt, weil ich mich von dem hohen Prestige, das eine akademische Ausbildung verspricht, habe blenden lassen. Ich dachte mir: Wer Abi gemacht hat, sollte auch studieren. Deswegen habe ich International Development & NGO Management an der University of East London angefangen, mit der Hoffnung, damit einmal in der Entwicklungszusammenarbeit arbeiten zu können.

Jil R.
Jil R.

© Luisa Hommerich.

Aber nach zwei Semestern war ich bereits desillusioniert. Das Studium hat mir nur wenig gebracht. Die Uni war auf Qualitäts-Rankings ganz unten, und das hat man auch gemerkt. Auch mein ideales Bild von der Entwicklungszusammenarbeit ist immer mehr zerfallen. Ich habe es dann in London noch mal ein Jahr lang mit einem Studium der Zoologie versucht, aber da wusste ich eigentlich schon, dass ich glücklicher bin, wenn ich Torten verziere.

Mein Traum vom Backen hat dann gesiegt. Jetzt bin ich wieder in Berlin und fange im September die Ausbildung als Konditorin bei einer Bio-Konditorei in Neukölln an. Wenn ich diese verkürzen könnte, fände ich das fantastisch – ich könnte dann schneller wieder ins Ausland gehen und dort in Bäckereien arbeiten. Eines Tages will ich dann in London meinen eigenen veganen Tortenladen aufmachen.

Die Berichte der Studierenden hat Luisa Hommerich protokolliert.

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