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© dpa

Studiengebühren: Wissenschaft im Wahlkampf

Hessen, Hamburg und Niedersachsen haben nach Jahrzehnten wieder Studiengebühren eingeführt. Die SPD will die Gebühren im Falle eines Wahlsieges wieder abschaffen.

Dieses Wahlergebnis war nicht repräsentativ, aber hart: Als der Deutsche Hochschulverband (DHV) im Internet um Noten für die Wissenschaftsminister bat, landeten die Ressortchefs aus Niedersachsen, Hamburg und Hessen auf den letzten Plätzen. Durchgefallen. Nun haben die drei Verlierer die Chance, sich bei einer repräsentativen Abstimmung zu rehabilitieren: In Hessen und Niedersachsen sind die Wähler Sonntag aufgerufen, ihre Stimme für einen neuen Landtag abzugeben. Hamburg bittet einen Monat später, am 24. Februar, an die Urnen.

Das Selbstbild der drei Minister könnte kaum unterschiedlicher sein als das Stimmungsbild des Professorenverbandes DHV. In Hessen jubilierte Udo Corts (CDU), der seinen Abschied angekündigt hat, das Hochschulwesen des Landes werde bis 2020 zum „vermutlich modernsten in Deutschland“. Hamburgs Senator Jörg Dräger (parteilos), beim DHV als Sparer klassifiziert, verkündete stolz: „Hamburg ist die Wissenschaft viel wert.“ In Niedersachsen pries Lutz Stratmann (CDU) seinen Zukunftspakt mit den Hochschulen: „Etwas Vergleichbares gibt es in keinem Bundesland.“

Ein Satz, der den Blick durch die Landesbrille entlarvt, bei dem die eigene Scholle immer am schönsten aussieht. Nicht nur, dass andere Länder wie Baden-Württemberg oder Berlin bereits 1997 einen ersten Solidarpakt mit ihren Universitäten schmiedeten. Dräger und Corts rühmen sich ebenfalls ihrer Hochschulpakte, mit denen Hochschulen und Land auf Jahre Finanzsicherheit geschaffen hätten. Corts bezeichnet seinen gar als „bundesweit ehrgeizigstes Projekt“ dieser Art. Dabei hatte Hessen den Vorläufervertrag nicht eingehalten, weil die Landesregierung 2003 bei ihrem Sparprogramm „Operation Sichere Zukunft“ auch bei den Hochschulen kürzte.

Neuer Trend Studiengebühr

Und so folgte die Hochschulpolitik der drei CDU-geführten Regierungen in den auslaufenden Wahlperioden den bundesweiten Trends: mehr Macht für Rektoren und Präsidenten, mehr Einfluss für Hochschulräte, mehr Wettbewerb, mehr Autonomie vom Ministerium – und vor allem 500 Euro Studiengebühr je Semester und Student.

In Niedersachsen gab es 2005 eine entsprechende Gesetzesnovelle, die unter anderem vollständig extern besetzte Berufungskommissionen erlaubt. Hessen schuf mit der weitgehend autonomen TU Darmstadt 2005 ein Modell, das nun von der Stiftungsuniversität Frankfurt noch einmal übertroffen wird. Die Minister schwärmen von Freiräumen und Wettbewerb. Bei manchem nickt selbst die Opposition. Ebenso erwartungsgemäß aber antwortet der Chor der Empörten: Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) beklagt, Niedersachsen habe mit einer Novellierung des Hochschulgesetzes die Rechte der Gremien beschnitten und statte Präsidien zunehmend mit absoluter Macht aus. In Hessen kritisieren die Jura-Professoren der Uni Frankfurt den Umbau der Hochschulen zu unternehmensähnlichen Gebilden mit Räten ohne universitäre Sachkompetenz: „Der Wissenschaftsbetrieb ist aber kein Befehlsprodukt entscheidungsfroher Präsidien und Dekane, sondern ein dezentraler Suchprozess.“

Der Hamburger Senator Dräger muss sich anhören, er widme sich statt den großen Hochschulen lieber Neugründungen wie der Hafen-City Universität, der Hamburger School of Logistics oder der Media School. „Die Rahmenbedingungen für Spitzenforschung in Hamburg stimmen nicht“, beklagte Uni-Rektorin Monika Auweter-Kurtz noch im vergangenen Sommer öffentlich. Imke Buß vom „Freien Zusammenschluss von StudentInnenschaften (fzs)“ sagt über die drei Bundesländer kurz vor dem Wahltag: „Von einer wirklichen Mitgestaltung der Studenten kann nicht die Rede sein.“

In Hessen hatten die Studenten 2007 aus Protest gegen Studiengebühren Autobahnen blockiert. Im Wahlkampf schafft es mit den Studiengebühren ein Hochschulthema wenigstens auf die Plakate der Opposition. Die SPD will die Gebühren bei einem Wahlsieg sofort abschaffen und aus dem Haushalt ersetzen. „Wir haben die Hoffnung, dass sich etwas ändert“, sagt fzs-Vorstand Buß. In allen drei Ländern hätten die Gebühren die soziale Selektion verschärft. Mit Demonstrationen diesen Freitag in Hannover und am Samstag in Frankfurt wollen die Studenten in die Wahlkämpfe eingreifen. Dort hat das Thema wenig Platz, weil Hochschulpolitik abseits der Campus-Maut längst kaum mehr vermittelbar ist. Wer versteht schon die Kapazitätsverordnung?

Höhere Ausgaben und verschreckte Bewerber

Manchmal klaffen Fakten und gefühlte Wahrheiten auseinander: Nach den letzten verfügbaren Zahlen des Statistischen Bundesamtes (2004) geben Hamburg und Niedersachsen mehr Geld je Student und Jahr aus als alle anderen Länder, 11.120 und 10.840 Euro bei einem Bundesschnitt von 9120 Euro. Hessen dagegen liegt mit 8310 Euro auf dem elften Platz. Als das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) im vergangenen Jahr tausende Studenten nach ihrer Uni-Ausstattung befragte, bestätigten diese zwar mit Platz 15 den schlechten Wert für Hessen. Aber auch Niedersachsen und Hamburg landeten mit den Plätzen 9 und 10 in der unteren Tabellenhälfte. Nicht anders ist es bei der Frage, ob Gebühren Bewerber verschrecken. Der Schattenminister der SPD in Hessen, Gernot Grumbach, räumt ein, die Zahl der Studienanfänger sei im Land nur um 0,4 Prozent Punkte gesunken. Doch dann trennt er nach Geschlechtern und macht bei Frauen ein Minus von 2,3 Prozent aus. Für den Wahlkämpfer ein Beleg, dass die CDU Frauen an den Herd verbannen will.

Kein Wunder, dass sich die Hochschulchefs bei solchen Rechnungen nicht den Mund verbrennen wollen. Wer weiß, wem sie nach dem Wahltag gegenüber sitzen. In Niedersachsen schweigen die Rektoren derzeit. Der Vorsitzende der Konferenz Hessischer Uni-Präsidenten, Professor Stefan Hormuth von der Uni Gießen, wägt seine Worte: „Grundsätzlich begrüße ich, dass unterschiedliche Modelle von Hochschulformen erprobt werden“, lobt er die Freiheiten der TU Darmstadt und der Universität Frankfurt. „Das hätte es verdient, in noch größerem Maße in Deutschland diskutiert zu werden“, sagt er. Auch das hessische Investitionsprogramm zum Hochschulausbau Heureka findet Beifall. Es soll in den nächsten zwölf Jahren drei Milliarden Euro bringen. Aber Hormuth ergänzt: „Das ist nicht so üppig, wie es aussieht. Es entspricht dem, was notwendig ist.“ Zu den Studiengebühren sagt der Uni-Präsident: Das Geld sei nötig. Es mit Gebühren zu beschaffen, habe die Politik entschieden.

Zumindest in Hessen wird darüber aber auch am Wahltag nicht das letzte Wort gesprochen sein. Ab 13. Februar verhandelt der Staatsgerichtshof, ob die Gebühren gegen die in der Landesverfassung garantierte Unterrichtsgeldfreiheit verstoßen. Die größte Niederlage seiner Amtszeit droht dem scheidenden Ministers Corts darum nach seinem Abschied. Seinen letzten Platz bei der DHV-Umfrage hatte er sich damit erklärt, dies sei mit das Werk protestierender Studenten. Nur eine kleine Gruppe, „deren Mitglieder ich bald alle persönlich kenne“. Zumindest hier dürfte er sich verrechnet haben. Die Klage gegen Studiengebühren unterschrieben 71000 Menschen.

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