zum Hauptinhalt
Im Hörsaal angekommen. Die Unis sind auf mehr Bewerber vorbereitet, rechnen aber nicht damit, überrannt zu werden.

© dpa

Studienplätze für den Doppeljahrgang: „Eine gute Note ist wichtig“

In Berlin drängt ein doppelter Abijahrgang an die Unis, das Land hat vorsorglich mehr Studienplätze aufgebaut. Doch mehr denn je gilt für Studienbewerber: Chancen auf einen Platz hat man in den allermeisten Fächern nur mit einer (sehr) guten Durchschnittsnote.

Werde ich mit meinen Noten eine Chance haben, in Berlin zu studieren? Diese Frage stellen sich viele Abiturientinnen und Abiturienten während ihrer letzten Schultage. Die Senatsverwaltung für Bildung rechnet jedoch trotz des doppelten Abiturjahrgangs in Berlin und Brandenburg mit höchstens 16 000 Abiturienten, einem Viertel mehr als im Vorjahr, in dem 12 018 Schüler das Abitur bestanden. Bereits vor Ende des vierten Semesters ließen sich rund 1400 Schüler noch einmal zurückstellen, so viele wie nie zuvor. Viele wollen im zweiten Anlauf bessere Noten erreichen – und dem befürchteten Ansturm an den Berliner Hochschulen ausweichen. Dort allerdings ist die Stimmung gelassen, für Panik gebe es keinen Anlass, sagt HU-Vizepräsident Michael Kämper-van den Boogaart: „Eine gute Note ist wichtig, aber die jungen Leute sollten sich auch nicht zu sehr unter Druck setzen.“

Was für Landeskinder gilt

„Die Berliner haben die gleichen Chancen wie alle anderen auch“, sagt Michael Bongardt, Vizepräsident der Freien Universität. Eine bevorzugte Behandlung von Landeskindern ist verfassungswidrig. Für Berliner Abiturienten ist das deswegen besonders hart, da die Hauptstadt als Studienort äußerst beliebt ist. Nicht nur der gute Ruf der Universitäten, auch die hohe Lebensqualität der Stadt bei vergleichsweise günstigen Lebenshaltungskosten erhöht die Attraktivität. Nirgendwo sonst in Deutschland ist die Studienplatznachfrage so groß wie in Berlin. Das verschärft den Numerus clausus, nach dem eine vorher festgelegte Anzahl von Studienplätzen nach Durchschnittsnoten vergeben wird. Die Berliner Abiturienten hatten mit ihrer durchschnittlichen Abinote von 2,4 im Jahr 2010 in vielen Fächern keine Chance. Nur 35 Prozent der Berliner Studienanfänger hatte das Abitur in Berlin gemacht. Die aktuellen Zahlen liegen der Senatsverwaltung noch nicht vor.

Der damalige Bildungssenator Jürgen Zöllner wollte die Chancen der Berliner gegen die auswärtige Konkurrenz mit einem Bonuspunkteverfahren steigern. Jugendliche sollten an der Schule berufsvorbereitende Kurse besuchen können. Dabei sollten sie Bonuspunkte sammeln, die in eine Bewerbung an einer Hochschule einfließen. Doch von den Kursen ist noch nichts zu sehen. Außerdem ist man in Unikreisen skeptisch, ob eine solche Regelung einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht standhalten würde.

Die Bevorzugung von Landeskindern ist nur ausnahmsweise möglich: bei Jugendlichen, die zum Zeitpunkt der Bewerbung noch minderjährig sind. „Damit wird vermieden, dass noch nicht volljährige Studienanfängerinnen und Studienanfänger gezwungen werden, ihr Elternhaus zur Aufnahme eines Studiums zu verlassen“, sagt Mathias Gille, Sprecher der Senatsverwaltung für Wissenschaft. Wie viele Abiturienten das betreffen wird, könne man noch nicht sagen, gerechnet wird mit einer sehr kleinen Zahl.

Mehr Studienplätze an Berliner Unis geschaffen

In Vorbereitung auf die doppelten Jahrgänge haben alle Berliner Hochschulen ihre Plätze für Studienanfänger erhöht. Die 2009 in den Hochschulverträgen vereinbarte Steigerung um 6000 Plätze ist bereits erreicht worden: Im Jahr 2011 nahmen 30 699 Anfänger das Studium auf. 2008 waren es erst 23 967. Die Fachhochschulen richteten 1000 neue Plätze für Anfänger ein, die Universitäten jeweils etwas mehr. Eine erneute Steigerung zum nächsten Wintersemester ist vorgesehen, die konkreten Zahlen werden im Mai beschlossen.

Am meisten profitieren davon die Geisteswissenschaften, da es in den Naturwissenschaften an Räumlichkeiten mangelt. „Im sehr beliebten Fach Psychologie konnten wir beispielsweise keine zusätzlichen Plätze schaffen“, sagt HU-Vizepräsident Michael Kämper-van den Boogaart. Das gelte vor allem für die Laborplätze, aber auch für Hörsaalkapazitäten in Adlershof. Ähnlich äußert sich Patrick Thurian, Leiter für Qualitätsmanagement und Studienreform an der TU: „In den verfahrenstechnischen Studiengängen, in denen Chemie Pflicht- oder Wahlpflichtfach ist, haben wir keine zusätzlichen Kapazitäten.“ In den Laborpraktika sei es schon jetzt sehr eng.

Neuer Ansturm auf Berlin möglich

Im Jahr 2011 gab es in Deutschland so viele Studenten wie nie zuvor, rund 2,5 Millionen. Für Berlin hat sich dadurch noch nichts verändert: „An der FU war der Ansturm schon immer groß“, sagt ihr Vizepräsident Michael Bongardt. Die Bewerberzahlen hätten 2011 trotz Aussetzen der Wehrpflicht und doppelter Jahrgänge in Bayern und Niedersachsen im Bereich der Vorjahre gelegen. Jeweils rund 30 000 Bewerbungen erhielten die FU und die HU auf 4000 beziehungsweise 3200 Plätze für Studienanfänger. 18 000 Bewerber wollten an der Technischen Universität studieren, etwa 1000 mehr als im Vorjahr. „Das ist das normale Maß in den vergangenen Jahren“, sagt Patrick Thurian von der TU. Allerdings muss das kein Indikator für das laufende Jahr sein: Auch im Vorjahr stiegen die Studentenzahlen vor allem in jenen Ländern, in denen die doppelten Jahrgänge die Schule verließen.

Mehr Hilfe beim Einstieg

Alle Universitäten setzen vor allem auf den Ausbau der Beratung. Die FU hat das Informationsangebot verstärkt, um Fehlentscheidungen bei der Fachwahl zu verhindern. „Viele können sich unter den Fächern nichts vorstellen und sind überrascht, dass Psychologie einen hohen Anteil an Mathe hat“, sagt FU-Vize Bongardt. An der HU läuft die wöchentliche Veranstaltungsreihe „Don’t Panic“. Die TU bietet die Reihe „Alles doppelt?“ an, die schon seit Dezember auch Lehrern und Eltern die Angst vor den doppelten Jahrgängen nehmen soll.

Überall wurden zusätzliche Stellen für Tutoren und wissenschaftliche Mitarbeiter geschaffen. Die HU hat versucht, den zusätzlichen Bedarf eher nicht über Lehraufträge, sondern mit befristeten Mitarbeiterverträgen oder früheren Berufungen zu decken. Die TU führt zum Wintersemester voraussichtlich ein Orientierungsstudium „TU mintgrün“ ein. Etwa 100 Studenten soll so der Einstieg an die Uni erleichtert werden. Die in den zwei Semestern erbrachten Teilleistungen in Umwelttechnik oder Mathe können die Studenten später in anderen Studiengängen einbringen und so die Studienzeit verkürzen. „Das ist eine zusätzliche Einflugschneise“, sagt Thurian. „Die Studierenden aus dem Orientierungsstudium können im höheren Fachsemester einsteigen. Das relativiert die Schwierigkeit, einen Studienplatz zu bekommen.“ Über das Thema Umweltschutz sollen außerdem Frauen für die technikorientierte Uni gewonnen werden. (www.mintgruen.tu- berlin.de)

Langfristig wird es eng

Wie gut sich die Berliner Hochschulen auch vorbereitet haben: Eine gewisse Unsicherheit bleibt. Niemand weiß, wie hoch die Zahl der Bewerber tatsächlich sein wird: „Es ist schwierig einzuschätzen, was uns tatsächlich erwartet“, sagt FU-Vize Michael Bongardt. Auch Kämper-van den Boogaart spielt schon mal die Möglichkeit von 10 000 Mehrbewerbungen an der HU durch. Für diesen Fall plane man bereits, die Zulassungsstelle kurzfristig mit Mitarbeitern aus anderen Bereichen zu verstärken.

„Die Studierenden müssen Kompromisse machen, bekommen nicht gleich ihre Wunschveranstaltung und verlieren etwas Zeit, wenn sie durchfallen“, sagt Thurian. Die Auslastung sei mit 322 Professoren für 30 000 Studenten bereits erreicht und: „Die Situation wird sich eher noch verschärfen.“

Dem HU-Vizepräsident Kämper van- den Boogaart bereitet die mittelfristige Zukunft größere Sorgen als das Herbstsemester: Berlins Regierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf festgelegt, dass das hohe Niveau der Studierendenzahlen nach 2012 erhalten bleiben soll. Dazu bräuchte Berlin aber auch in Zukunft Mittel aus dem Hochschulpakt des Bundes. Darüber hat die Politik aber noch nicht entschieden, so dass die Berliner Unis schwer planen können. Und außerdem: Wenn die vielen Bachelorstudenten in Berlin in drei Jahren einen Master machen möchten, könnte es zu ganz anderen Engpässen kommen.

Zur Startseite