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Studium: Alis Uni

Nur wenige Migranten in Deutschland trauen sich ein Studium zu – das soll sich ändern. Längst ermuntern Gewerkschaften und Wirtschaft Migranten zur Teilnahme an ihren Förderprogrammen.

Man tut Rudolf Steinberg, dem früheren Präsidenten der Uni Frankfurt am Main, kaum Unrecht, wenn man ihn als Liebling der Mächtigen bezeichnet. Erst vor wenigen Wochen verlieh ihm der hessische Ministerpräsident Roland Koch den Verdienstorden des Landes. Es war darum ein besonderes Signal, als im Januar ein von Steinberg geschaffener Stiftungsfonds den Frankfurter Jurastudenten Hassan Khateeb zu seinem ersten Stipendiaten ernannte. Khateeb gilt nach 18 Jahren in Deutschland als musterhaft integriert, trotzdem droht ihm die Abschiebung nach Jordanien. Seine Eltern sollen bei der Flucht nach Deutschland falsche Angaben gemacht haben – im Jahr 1992. Das Stipendium ist ein Mosaikstein im Bemühen, die Abschiebung des überaus talentierten Jurastudenten zu verhindern.

Der Jurist Steinberg nutzte den Förderbescheid auch zur allgemeinen Mahnung: „Wir brauchen mehr junge Menschen aus Familien mit Migrationshintergrund, die sich für herausgehobene Positionen in allen Bereichen der Gesellschaft qualifizieren.“ Es gelte, jene zu fördern, denen der Weg zum Studium schwerer falle.

Die Sorge, die Hochschulen könnten eine Generation von Migranten verlieren, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dass die Chancen ungleich verteilt sind, zeigen nicht nur aufsehenerregende Einzelfälle. Die jüngste Sozialerhebung des Studentenwerks belegt: Nur acht Prozent der Studierenden haben einen Migrationshintergrund, deutlich weniger, als ihrem Anteil in der Gruppe aller unter 25-Jährigen entsprechen würde. Diejenigen, die es in einen Hörsaal geschafft haben, müssen härter um Erfolge kämpfen als ihre Kommilitonen. Sie haben seltener Eltern aus dem Akademikermilieu, bekommen weniger Geld von Zuhause und müssen häufig jobben. Solche Aussichten schrecken vom Studium ab.

Längst ermuntern Gewerkschaften und Wirtschaft Migranten zur Teilnahme an ihren Förderprogrammen. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung richtet sich mit ihrer „Aktion Bildung“ an Abiturienten ärmerer Eltern – bis zur Hälfte der 500 Geförderten hat einen Migrationshintergrund. Die Stiftung der deutschen Wirtschaft begleitet rund 1000 Abiturienten drei Jahre beim Übergang von Schule zur Uni, ein Drittel stammt aus Zuwandererfamilien. „Die jungen Leute trauen sich das erst gar nicht zu – und sagen: Ich? Ich soll wirklich studieren“, sagt Sprecher Christian Lange.

Auch andere mühen sich. An der Uni Oldenburg sind 30 Studenten als Lotsen für Migranten Gesprächspartner und Coach im Alltag. Die Hertie-Stiftung fördert Lehramtsstudenten mit Migrationshintergrund, damit mehr Vorbilder in die Klassenzimmer kommen. In Baden-Württemberg sind von 185 Studienbotschaftern des Wissenschaftsministeriums 40 Migranten. Sie sollen an Schulen Lust auf ein Studium wecken.

Noch sind alle diese Migrantenprogramme in der Phase von Versuch und Irrtum. Die Bremer Professorin für Interkulturelle Bildung, Yasemin Karakasoglu, sagt: „Wir wissen gar nicht, was funktioniert und was nicht – wir haben dazu keine Studien.“ Klar ist, dass die Sonderförderung auch nötig ist, weil sich Migranten seltener um die üblichen Stipendien bewerben – so wie nach einer jüngsten Studie des Hochschul-Informations-Systems Angehörige bildungsferner Schichten insgesamt bei den Stipendiaten unterrepräsentiert sind. Und auch bei den Migranten gibt es Unterschiede: Wer als Kind eines afghanischen Ingenieurs oder eines bosnischen Arztes aufwächst, findet eher den Weg zur Hochschule als die Sprösslinge eines türkischen Arbeiters. Sicher ist, dass die Probleme nicht erst mit dem Abitur beginnen. Im Gegenteil: Haben Migranten das Abitur in der Tasche, studieren sie eher häufiger als andere Abiturienten.

Eine Bevorzugung bei der Zulassung komme da zu spät, sagt Cort-Denis Hachmeister vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). Zumal sich die Bevorzugung wegen der Herkunft juristisch wohl kaum fassen lasse. Einfacher könne es sein, bestehende Kriterien darauf abzuklopfen, dass sie Migranten nicht benachteiligen, etwa wenn sprachliche Fähigkeiten überprüft werden.

Doch Schüler aus Zuwandererfamilien gehen auf dem Weg in die Hochschule früher verloren: nach der Grundschule oder beim Übergang in die Sekundarstufe II. „Dabei bräuchten Schüler, die nicht Deutsch als Erstsprache haben, oft nur etwas mehr Zeit“, sagt Karakasoglu. Kampagnen, die allein Migranten zum Studium ermunterten, gehen für sie ohnehin ins Leere. Migranten müssten vom Aufstieg mittels Bildung nicht überzeugt werden. Umfragen belegten, dass dies oben auf ihrer Wunschliste stehe. Wichtiger sei die spürbare Offenheit im Unialltag. Professoren dürften nicht stöhnen, wenn Studenten ohne Deutsch als Muttersprache im Seminar noch Schwächen zeigten. Statt des Ausspruchs „Wie hast du Abitur gemacht?“ sei Unterstützung nötig.

Diese Offenheit sollte sich in der Außendarstellung der Hochschule widerspiegeln, sagt Karakasoglu. Namen und Bilder von Menschen anderer Herkunft sollten nicht nur im Faltblatt für Migranten auftauchen, sondern überall. So dass ein türkischer Junge, dem ein normaler Prospekt in die Hand falle, zu sich sage: „Ach Mensch, da ist auch ein Ali, der Ingenieur wird, das ist nicht nur eine Universität der Deutschen.“ Eine andere Botschaft an Migranten könnte lauten: „Du bist mehrsprachig aufgewachsen und darum besonders interessant für uns.“

Eine Hochschule, die sich auf diesen Weg begeben hat, ist die Fachhochschule Gelsenkirchen. Sie gehört zu den ersten Unterzeichnern der „Charta der Vielfalt“, in der sich eigentlich Firmen zur Wertschätzung ihrer Mitarbeiter unabhängig ihrer Herkunft bekennen. In einem Programm beschreibt die FH Ansätze, wie sie Studenten aus Zuwandererfamilien vom Studienstart bis zum Eintritt in den Arbeitsmarkt besser einbeziehen will.

Die Vorreiterrolle der Gelsenkirchener ist kein Zufall. In den Klassenzimmern der Stadt hat jeder zweite Schüler einen Migrationshintergrund. Spätestens beim Rückgang der Studentenzahlen ab 2015 werden sie zu einer umworbenen Zielgruppe. Schon heute bereitet sich die FH darauf vor. Sie baut eine Einstiegs-Akademie auf, die unterschiedliche Qualifikationen beim Start ausgleicht, und beschäftigt Tutoren, die schon während der Schulzeit Kurse in Mathematik, Physik oder Deutsch als Zweitsprache betreuen. Solche Hilfe ist auch sinnvoll, weil Migranten häufiger als andere auf dem zweiten Bildungsweg an die Hochschule kommen oder mit der Fachhochschulreife. Möglich, dass Berlins Hochschulen solche Maßnahmen bald kopieren: Im neuen Preismodell des Berliner Senats sollen Studierende mit Migrationshintergrund den Unis zusätzlich Geld bringen.

Bei ihren dualen Studiengängen möchte die FH Gelsenkirchen Betriebe zur Einstellung von qualifizierten Migranten ermuntern. Für diese wäre diese Form des Studiums wegen der finanziellen Absicherung besonders motivierend, doch offenbar sind gerade die Betriebe ein Nadelöhr. Bei der Ursachensuche könnte die neueste Studie des „Instituts zur Zukunft der Arbeit“ helfen. Sie belegt, dass Bewerber mit türkischem Namen bei gleicher Leistung seltener zum Zug kommen als solche mit deutschen Namen.

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