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Im Wettbewerb. Viele Landeskinder (hier Abiturienten der Bertha-von-Suttner-Schule) finden in Berlin keinen Studienplatz.

© M. Wolff

Studium: Berlin ist zu eng für Berliner

Viele Berliner finden keinen Studienplatz: Über die Hälfte der Studierenden an Berlins Hochschulen haben ihr Abitur nicht in der Hauptstadt gemacht. Und daran wird sich auch künftig kaum etwas ändern.

Berlins Abiturienten spielen „Reise nach Jerusalem“. Jeder Studienplatz wird im Schnitt von fünf Mitbewerbern umtanzt. Platz nehmen darf, wer das beste Abitur hat – das kann durchaus auch eine Schwäbin oder ein Bayer sein. „Wer einen schlechteren Schnitt als 2,0 hat, kann sich in den beliebten Fächern ein Studium in Berlin abschminken“, sagte Karin Gavin-Kramer, Mitarbeiterin des Koordinationsbüros „Studieren in Berlin und Brandenburg“ am Mittwoch bei einer Anhörung im Abgeordnetenhaus.

Das Internetportal des Büros weist den jeweiligen Numerus clausus (NC) für die Berliner Studiengänge in diesem Wintersemester aus (www.studieren-in-bb.de/NC; Stand Ende September). An der FU brauchte man für den Bachelorstudiengang Politikwissenschaft demnach einen Abischnitt von 1,5. In einem beliebten Fach wie BWL wurde eine 1,7 verlangt, in Deutscher Philologie 1,5 und in Chemie 1,7. Nur weniger im Fokus der Massen stehende Studiengänge haben niedrigere Hürden: Islamwissenschaften verlangen eine 2,8, Koreastudien nur eine 3,1.

An der Humboldt-Universität sieht es ähnlich aus. Nach Abschluss aller Nachrückverfahren mussten Bewerber für BWL und Germanistik vor einem Jahr einen Schnitt von 1,7 mitbringen. Die Wartezeit beträgt zehn Semester. Ein Massenfach wie Jura hatte einen NC von 1,8 und vier Semester Wartezeit. In Grundschulpädagogik liegt der NC bei 1,6, die Wartezeit beträgt 16 Semester.

Für viele Berliner Abiturienten bedeutet das, dass sie der Konkurrenz aus anderen Bundesländern unterliegen. Die Durchschnittsabinote in Berlin liegt bei 2,4. Die Abiturnote ist bei der Zulassung aber das entscheidende Kriterium. Über die Hälfte der Studierenden an Berlins Hochschulen (53 Prozent) haben ihr Abitur nicht in Berlin gemacht.

Gavin-Kramer hält die Lage für dramatisch. Denn gerade Kinder aus hochschulfernen Familien würden so vom Studium abgeschreckt. Sie seien finanziell oft schlechter in der Lage, auswärts zu studieren, oder würden die Hürde schon mental nicht nehmen. Schlechte Chancen hätten zumal die hiesigen Abiturienten mit Migrationshintergrund. Von den 736 türkischstämmigen Abiturienten des Jahrgangs 2010 haben nur 45 ein Abitur über einem Schnitt von 2,0 erzielt: „Sie machen sich was vor, wenn Sie unter diesen Umständen bildungsferne Schichten an die Hochschulen bringen wollen“, erklärte Gavin-Kramer den Abgeordneten im Wissenschaftsausschuss.

Über die Hälfte der Studierenden kommt von außerhalb

Diese hatten sich jedoch gar nicht vorgenommen, über fehlende Studienplätze zu diskutieren. Vielmehr wollten sie herausfinden, wie der Übergang in die Hochschule besser gestaltet werden kann, zumal für Kinder aus Familien ohne Hochschulerfahrung. Darum waren Expertinnen von Organisationen wie „Arbeiterkind.de“ und dem „Studienkompass“ eingeladen, die sich um diese Klientel bemühen.

Während die Linken und die Grünen Problembewusstsein signalisierten, waren die SPD-Abgeordneten über Gavin-Kramers Darstellung verärgert. Berlin biete schließlich 27 000 Plätze für Studienanfänger an, während es überhaupt nur 22 000 Abiturienten habe, sagte Lars Oberg. Annette Fugmann-Heesing, die Vorsitzende des Ausschusses, sagte: „Wer in der Berliner Hochschullandschaft ein Versorgungssystem für Berliner Abiturienten sieht, hat eine problematische Sicht.“ Die große auswärtige Nachfrage sei ein erfreulicher Hinweis auf die Attraktivität der Berliner Hochschulen und eine Chance, „exzellente Studierende anzuziehen“. Es sei Aufgabe der Studienberatungen, Bewerber darauf hinzuweisen, dass es auch noch außerhalb von Berlin Studienplätze gibt.

Sind Berliner Abiturienten vielleicht einfach besonders unflexibel? Dass die Lage für sie tatsächlich besonders angespannt ist, zeigen Zahlen vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE). In den westdeutschen Flächenländern Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, NRW und Rheinland-Pfalz besteht die Studierendenschaft nicht nur zu 47 Prozent aus Landeskindern wie in Berlin, sondern im Schnitt aus 67 Prozent. Niedersachsen und Schleswig-Holstein bilden eine Ausnahme, weil ihre Abiturienten auch in Bremen oder Hamburg studieren.

Im Abgeordnetenhaus kam auch nicht zur Sprache, dass die Lage für die Berliner Landeskinder erst dermaßen schwierig ist, seit die Berliner Hochschulen im Jahr 2004 einen flächendeckenden NC verhängen mussten. Nachdem der Senat noch eine weitere große Sparrunde umsetzte, entfielen noch einmal 230 Professuren und mehrere tausend Studienplätze. In anderthalb Jahrzehnten verlor Berlin durch Sparvorgaben der Politik fast die Hälfte seiner Studienplätze – und fiel deutlich unter die vom Wissenschaftsrat genannte Untergrenze von 85000 ausfinanzierten Plätzen. Waren an der FU im Jahr 1991 noch 62 000 Studierende eingeschrieben, sind es heute noch 32 000.

Inzwischen baut der Senat zwar wieder mit Hilfe von Bundesmitteln Studienplätze auf. Doch das alte Niveau wird nie wieder erreicht werden. Riesen-Unis sind von qualitätsorientierten Politikern und Wissenschaftlern auch gar nicht erwünscht. Die Landeskinder bei der Vergabe der Studienplätze zu bevorzugen, schließt der Gleichheitsgrundsatz der Verfassung jedoch aus.

Gavin-Kramer schlug darum vor, den Anteil der Studienplätze, die nach Wartezeit vergeben werden von jetzt üblicherweise 20 Prozent auf 50 Prozent zu erhöhen – nach Vorbild der TU Berlin. Das könne die Wartezeit „auf ein erträgliches Maß reduzieren“, auf zwei bis vier Semester. Ob die Politiker junge Leute wirklich zum Warten ermuntern wollen, muss sich allerdings erst noch zeigen. Auch könnte diese Waffe dann stumpf wenden, wenn zunehmend mehr abgewiesene Bewerber versuchen, auf diesem Wege doch noch einen Platz zu bekommen.

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