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© Ulrich Dahl/Technische Universit

Studium: Kassandras Bachelor

Die Reform ist gescheitert, heißt es oft. Tatsächlich war sie dringend nötig

Wenn im Oktober die Vorlesungen an den Universitäten beginnen, wird auch das Thema Bachelor wieder auf den Tisch kommen. Nach dem Bildungsstreik vom Sommer haben die Hochschulen Nachbesserungen versprochen, die Kultusminister diskutieren gerade, was sie dazu beitragen können. Wahrscheinlich werden die Fundamentalkritiker die Gelegenheit nutzen, um den Bachelor ein weiteres Mal für gescheitert zu erklären.

Bis heute unterscheiden sich die Argumente wenig von den Kassandrarufen zu Beginn der Reform. Den Anfang machte 1999 die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Fakultätentage. Sie äußerte in einer extremen Polemik die Befürchtung, „dass die Diplomstudiengänge, die sich in den deutschsprachigen Ländern in einem hohen Maße bewährt haben, kannibalisiert werden“.

Der Deutsche Hochschulverband, die Standes- oder Gewerkschaftsvertretung, gehört ebenfalls zu den Widersachern der Reform. In den vergangenen Jahren hat er geschickt eine Mixtur aus berechtigten Bedenken mit unerfüllbaren Forderungen zusammengebraut. Der Hochschulverband hat recht, wenn er die Spezialisierung vieler Bachelorstudiengänge kritisiert. Sie seien so auf Einmaligkeit konzipiert worden, „dass bereits ein innerdeutscher Studienortswechsel während des Bachelorstudiums nahezu unmöglich ist“. Der Hochschulverband übertreibt aber, wenn er die Bologna-Reform „als weitgehend misslungen“ ansieht und vor weiteren Schritten erst den Nachweis verlangt, dass die neuen Studiengänge besser als die alten seien.

Was soll als Kriterium für „besser“ gelten? Die Illusion, dass in den alten Studiengängen mehr Humboldt steckt? Ein Zurück zu den alten Diplom- und Magisterstudiengängen mit ihren wie bei einem alten Gummiband überdehnten Studienzeiten? Ein Zurück zu Regelstudienzeiten, die als Papiertiger mit neun Semestern in den Gesetzen und Studienordnungen verkündet wurden, aber deren Missachtung folgenlos blieb?

Der Wissenschaftsrat vermerkte vor der Einführung der Bologna-Reform über die Studienzeiten von 1990 bis 1998: Das typische Alter der Absolventen der deutschen Universitäten lag beim Erstabschluss bei 24 bis 25 Jahren. In Großbritannien und den USA, wo die zweistufigen Studiengänge mit dem Bachelor und Master schon seit langem die Regel waren, wird der erste Abschluss von Studenten im Alter von 21 Jahren erreicht. Und den Master machten dort die Studenten mit 24 oder 25 Jahren. Die Politiker folgerten daraus: Deutschland sei im internationalen Vergleich mit seinen Studienzeiten auf dem globalen Arbeitsmarkt nicht gut aufgestellt. In der Shell-Jugendstudie 2006 schrieb der Jugendforscher Klaus Hurrelmann deshalb auch: „Auf Dauer wird sich diese künstliche Ausdehnung der Jugendphase auch bei uns nicht halten lassen.“

International waren die überlangen Studienzeiten in Deutschland schon der OECD im Jahre 1971 aufgefallen. OECD-Experten zogen nach einem Deutschlandbesuch das Resümee: „Heute, da die Vergrößerung der Universitäten mit der Nachfrage nach Studienplätzen nicht Schritt halten kann, erscheint es ungerecht, dass einige Studierende ihr Studium auf Kosten derjenigen, die nicht zugelassen werden oder die nicht angemessen betreut werden können, fast unbegrenzt ausdehnen.“

Im Wissenschaftsrat formulierte Wilhelm Kewenig, der später Wissenschaftssenator in Berlin werden sollte, wenige Jahre später: „Im Zeitalter der großen Studentenzahlen, die nicht an den Universitäten vorbeizulenken sind, haben die Universitäten drei Aufgaben: 1. Forschung und Eliteausbildung, 2. Spezialistenausbildung, 3. Breitenausbildung. Stattdessen werden jedenfalls an den Universitäten alle Studenten wie Spitzenbegabungen behandelt und über Jahre angeblich nach Humboldt’schen Rezepten ausgebildet. Konsequenzen dieser realitätsfernen Praxis sind angebliche Überqualifizierung und tatsächliche Unter- oder Fehlqualifizierung, falsche Lebens- und Einkommenserwartung, vergeudete Jahre.“

Auch volkswirtschaftlich wurde die Situation unerträglich. Langzeitstudenten leisteten keine Beiträge zum Solidarsystem. Auch die Krankenkassenbeiträge sind für Studenten ermäßigt. Immer länger studieren und immer früher in die Rente gehen – diese jahrelange Entwicklung der realen Verhältnisse in der Bundesrepublik wollten die Regierungen in Bund und Ländern nicht mehr länger dulden. Darum warnen die Bildungspolitiker nach den Protesten vom Sommer vor einer erneuten Ausdehnung der Studienzeiten. Auch nach den Studentenprotesten soll die Kombination von Bachelor- und Masterstudium nicht länger als fünf Jahre dauern. Innerhalb dieser fünf Jahre sind viele Varianten denkbar: sechssemestrige, siebensemestrige, achtsemestrige Bachelorstudiengänge.

Die Politiker haben nicht vergessen, dass die europaweit im Jahr 1999 verabredete Bologna-Reform einen lang ersehnten Ausweg aus dem Dilemma geboten hatte. Unter Berufung auf Europa konnten die deutschen Bildungspolitiker gegen die Kritiker einwenden: Wir können gar nicht anders, sonst geraten wir in Europa ins Abseits.

Ein großer Mangel bleibt: Das mit Modulen und Prüfungen überlastete Bachelorstudium erfordert einen sehr viel höheren Betreuungsaufwand als die herkömmlichen Studiengänge. Der Wissenschaftsrat spricht von 15 bis 20 Prozent Mehraufwand für zusätzliches Personal. Dieser Mehraufwand kostet nach den Berechnungen des Wissenschaftsrats pro Jahr 1,1 Milliarden Euro. Das wollen die Politiker in Bund und Ländern bisher nicht bezahlen. Ihr Argument lautet: Der Hochschulpakt II enthalte eine Steigerung von 22 000 Euro auf 26 000 Euro pro Studienplatz. In dieser Steigerung sei bereits Geld für eine bessere Betreuung enthalten. Das ist eindeutig zu wenig.

Im Herbst will Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten Bilanz über den Bildungsgipfel ziehen. Im Abschlussdokument von 2008 wurde ein Mehraufwand für eine bessere Lehre anerkannt. Ob deswegen Milliarden fließen werden, erscheint in Zeiten der Wirtschaftskrise unwahrscheinlich. Uwe Schlicht

Uwe Schlicht

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