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Anregung. Während einer Operation werden Elektroden eingeführt, über die das Hirn stimuliert werden soll.

© REUTERS

Tiefe Hirnstimulation: Fenster zum Gehirn

Die tiefe Hirnstimulation könnte dabei helfen, Depressionen besser zu verstehen und die Symptome zu lindern. Berliner Wissenschaftlern ist nun ein wichtiger Schritt gelungen.

Drähte, die in den Schädel eingepflanzt werden und auf elektrischem Weg das Gehirn beeinflussen? Für viele Menschen ist das eine gruselige Vorstellung. Doch es ist längst Realität. Bei der tiefen Hirnstimulation wird dem Patienten eine dünne Elektrode operativ ins Gehirn eingesetzt. Über einen Stimulator können dann elektrische Impulse direkt in die Zielregion geleitet werden – vergleichbar mit einem Herzschrittmacher. Bei der Behandlung schwerer neurologischer Störungen wie Parkinson leistet die Methode gute Dienste; die Patienten können ihre Bewegungen wieder besser steuern.

Auch bei chronischen Depressionen könnte die elektrische Reizung bestimmter Hirnzentren helfen. Allerdings steht die Forschung dazu noch am Anfang, über die neuronalen Wirkmechanismen weiß man bislang nur wenig. Forschern der Berliner Charité ist nun ein erster wichtiger Schritt geglückt. Gemeinsam mit Kollegen aus Leuven und Oxford wiesen sie ein auffälliges Aktivitätsmuster nach, das bei depressiven Erkrankungen eine Schlüsselrolle spielen könnte. Ihre Ergebnisse haben sie im Fachblatt „Molecular Psychiatry“ veröffentlicht.

Erhöhte Aktivität im limbischen System

Unter normalen Umständen ist es schlicht unmöglich, die Hirnaktivität eines Menschen direkt zu messen. Die Wissenschaftler bedienten sich deswegen eines Tricks: Für ihre Studie untersuchten sie eine Gruppe von Patienten, denen Elektroden für die tiefe Hirnstimulation eingesetzt wurden. In den Tagen nach der Operation lässt sich der dünne Draht auch in umgekehrter Richtung nutzen. So können Forscher elektrische Signale direkt aus dem Inneren des Gehirns ableiten. „Für uns ist das eine einzigartige Gelegenheit, neuronale Vorgänge präzise zu beobachten“, sagt die Neurologin Andrea Kühn von der Berliner Charité.

Das ungewöhnliche Vorgehen der Charité-Wissenschaftler zahlte sich aus. Bei den chronisch depressiven Patienten fanden sie eine stark erhöhte Aktivität im limbischen System, einem Zusammenschluss aus verschiedenen Hirnregionen, die mit der Verarbeitung von Emotionen in Verbindung gebracht werden. Interessanter noch: Sie konnten besondere rhythmische Aktivitätsmuster nachweisen. Diese sogenannte Alpha-Aktivität – also Hirnstromwellen in einer Frequenz von 8 bis 14 Hertz – ist in den Gefühlszentren depressiver Patienten deutlich erhöht. Je stärker die depressiven Symptome erlebt werden, desto intensiver ist anscheinend auch die Alpha-Aktivität. In einer Vergleichsgruppe von Patienten mit schweren Zwangsstörungen trat dieses Phänomen nicht auf.

Die besonderen Aktivitätsmuster konnten Kühn und ihre Kollegen an verschiedenen Orten des limbischen Systems beobachten. Das passt ins Bild. Die alte Vorstellung, nach der Depressionen durch Fehlfunktionen in einzelnen Hirnzentren verursacht werden, gilt heute als überholt. „Es ist eher eine Netzwerk-Erkrankung“, sagt Kühn. „Wir gehen davon aus, dass bei einer Depression die Verschaltung zwischen verschiedenen Teilen des Gehirns nicht mehr richtig funktioniert.“

Bisher ist die Therapie für Patienten eher Glückssache

Der Psychiater Thomas Schläpfer forscht am Universitätsklinikum Bonn ebenfalls zur tiefen Hirnstimulation bei Depressionen. Die Ergebnisse der Studie von Andrea Kühn und Kollegen findet er äußerst vielversprechend: „Die tiefe Hirnstimulation ist teuer, invasiv und aufwendig. Insofern ist alles, was einen Hinweis auf die genaueren Wirkmechanismen geben kann, sehr interessant für uns“, sagt Schläpfer. „Die in der Studie untersuchte Patientengruppe war allerdings eher klein. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Befunde bestätigen lassen.“

Trotz dieser Einschränkung liefert die Studie wertvolle Hinweise über die neuronalen Grundlagen der Depression und für die Weiterentwicklung der tiefen Hirnstimulation. Denn bisher ist die Therapie für den Patienten eher Glücksache – manchmal wirkt sie, manchmal auch nicht. Je nach Studie erlebt etwa die Hälfte der Teilnehmer eine deutliche Besserung der Beschwerden. Ein Teil der Patienten spricht hingegen überhaupt nicht auf die elektrischen Impulse an.

Forscher hoffen auf maßgeschneiderte Impulse

Dass die erhoffte Wirkung oft ausbleibt, liegt auch daran, dass die Stimulatoren bislang noch recht starr und primitiv arbeiten. Ein großes Ziel ist es deshalb, „Closed-Loop-Systeme“ zu entwickeln. Die Idee dahinter: Ein Sensor misst kontinuierlich die Hirnaktivität. Das Signal wird dann in Echtzeit an den Stimulator weitergeleitet, der dann passgenaue Impulse in die betroffenen Hirnzentren sendet. Bei vielen Herzschrittmachern ist ein vergleichbarer Mechanismus schon heute gang und gäbe. Eine maßgeschneiderte Stimulation von erkrankten Hirnzentren ist dagegen noch Zukunftsmusik.

Zum Wunderheilmittel taugt die tiefe Hirnstimulation nicht – schon allein deswegen, weil ein chirurgischer Eingriff nötig ist, der zu Blutungen oder Infektionen führen kann. Depressive Störungen werden nach wie vor mit einer Psychotherapie oder Medikamenten wie Antidepressiva behandelt. Wenn herkömmliche Therapien keine Wirkung zeigen, sind viele Ärzte und Psychologen allerdings mit ihrem Latein am Ende. Etwa ein Drittel der Betroffenen hat auch nach vielen erfolglosen Behandlungsversuchen immer noch mit den Symptomen der Erkrankung zu kämpfen. In besonders schweren Fällen könnte die tiefe Hirnstimulation dann die Symptome der Depression lindern.

Theodor Schaarschmidt

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