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Doch das reicht dem Tierfilmer nicht, es geht weiter: Eine Schneegans filmt Heinz Sielmann samt Küken in der kalten Arktis Mitte der 1960er Jahre.

© Sielmann-Stiftung

Heinz Sielmann: Karriere eines Pioniers

Wie aus einem vogelbegeisterten Jungen der berühmte Tierfilmer und Verhaltensforscher wurde

Angefangen hat es mit seiner Liebe zu den Vögeln, besonders zu den schnepfenartigen Wiesenvögeln wie Kiebitz, Brachvogel und Uferschnepfe, die er als Kind in seiner ostpreußischen Heimat rund um Königsberg beobachtete. Heinz Sielmann, der ganzen Welt bekannt als Zoologe und Tierfilmer, Verhaltensforscher und Naturschützer, war in jungen Jahren in erster Linie begeisterter Ornithologe.

Es sei eine goldene Fügung in seinem Leben gewesen, dass genau zu dieser Zeit die Albertus Universität in Königsberg zur Wiege der neuen Verhaltensforschung wurde, erzählt Sielmann 1999 in einem Fernsehinterview. Die Universität habe im Frühjahr und Frühsommer sonntags vogelkundliche Führungen veranstaltet, und er sei mit seinem Fernglas immer dabei gewesen. Bekannte Verhaltensforscher wie Konrad Lorenz und Otto Köhler hielten an der Universität Vorlesungen und empfahlen, aus einem getarnten Versteck heraus Tiere zu beobachten, um ihr Verhalten zu studieren. Sielmann nahm die Anregung auf und machte nach Anleitung von Köhler, der den 15-Jährigen an die Hand nahm, Planbeobachtungen. „Meine Mutter schenkte mir heimlich – mein Vater durfte nichts mitbekommen – eine Spiegelreflexkamera, neun mal zwölf, einen Plattenapparat, der schwarz-weiß Aufnahmen machte. Ich machte tolle Aufnahmen und durfte schon als Obersekundaner in der ,Gesellschaft der Freunde des zoologischen Museums‘ Vorträge halten und meine Fotos zeigen“, so Sielmann. „Das war meine Rettung, denn meine Leistungen im Gymnasium waren miserabel. Ich war sitzen geblieben, als ich mit meinen vogelkundlichen Beobachtungen anfing. Nun bekam ich in den Tageszeitungen wunderbare Besprechungen.“ Da hätten die Lehrer mit ein bisschen Stolz die Augen zugedrückt und ihn das Abitur machen lassen.

Und obwohl sein Vater dem Berufswunsch Zoologe und Tierfilmer kritisch gegenüberstand, schenkte er seinem Sohn zum bestandenen Abitur 1938 eine Filmkamera. Rasch entstand der erste Film und Sielmann wurde zum Ornithologenkongress nach Berlin eingeladen. „Ich schien Talent zu haben“, resümiert er. „Da war die ‚Crème de la Crème‘ der Wissenschaft – unter anderem Köhler, Lorenz, der Präsident der deutschen Ornithologengesellschaft –, und hier fand ich ein so großes Echo, dass ich von da an gefördert wurde.“

Der Rest ist, wenn man so will, Geschichte: Sielmann wurde zwar 1939 wie alle jungen Männer seiner Generation zum Wehrdienst eingezogen, aber bereits 1941/42 beurlaubt, um an der Reichsuniversität Warthegau in Posen Biologie zu studieren. Im Folgejahr erschien sein erstes Buch „Vögel über Haff und Wiesen“ und 1944/45 wurde er zum Nachfolger eines seiner Vorbilder: Horst Siewert, Verhaltensforscher und Leiter der Forschungsstelle Deutsches Wild in der Schorfheide.

Siewert war 1943 beauftragt worden, einen Film über „die Insel der Glückseligen“ zu drehen, wie Kreta damals gerne genannt wurde. Aber er starb unerwartet an einem Herzinfarkt. Sein letzter Film sollte unbedingt vollendet werden und so kam Heinz Sielmann 1944 nach Kreta. „Statt die Schrecken des Krieges im Osten miterleben zu müssen, war ich auf dieser Insel, um die Tiere zu beobachten und zu dokumentieren“, so Sielmann im 1999 aufgezeichneten TV-Interview. In britische Kriegsgefangenschaft geraten, wurde er erst nach Kairo und später nach London gebracht, wo er sein Filmmaterial für einen späteren Dreiteiler bearbeiten durfte. 1947 kehrte er nach Deutschland zurück und begann seine beispiellose Karriere als Pionier des Tier- und Naturfilms.

Seine Frau Inge, die er beim Norddeutschen Rundfunk kennenlernte und 1951 heiratete, erinnert sich an die technischen Schwierigkeiten dieser frühen Jahre. „Man musste sehr überlegt planen und organisieren“, sagt sie. „Wir hatten das schwere Gepäck, die großen Kameras, sogar einen eigenen Wagen für den Ton.“ Die Technik habe zu Lebzeiten ihres Mannes, der 2006 mit 89 Jahren starb, eine unglaubliche Veränderung durchgemacht. „Damals hatten wir diese schweren Filmkameras, die mit Akkus angetrieben wurden, die zum Teil so schwer waren wie Autobatterien“, ergänzt Sielmanns langjähriger Kameramann Dieter Hoese. „Heute arbeitet man digital und benutzt Mini-DV oder Fingerkameras.“ Auch das Reisen war komplizierter. „Damals gab es längst nicht immer die passenden Flugverbindungen, geschweige denn Hotels“, so Hoese.

Die technischen und organisatorischen Herausforderungen waren für alle Tierfilmpioniere in den frühen Jahren gleich, ob Sielmann, Grzimek oder Schumacher. Aber was Sielmann von seinen Kollegen unterschied und bis heute unterscheidet, ist die Tatsache, dass er seinen Zuschauern nicht Aufnahmen von possierlichen Tieren, sondern deren Verhalten zeigte – das, was im Verborgenen passiert und nur durch geduldige, manchmal trickreiche Beobachtung herausgearbeitet werden kann. So war Sielmann der Erste, der einen Specht behutsam daran gewöhnte, dass neben seiner Höhle eine zweite war, durch die das Verhalten des Vogels in seinem Nest gefilmt wurde. Und gemeinsam mit Konrad Lorenz baute er im Labor ein Hamsternest hinter einer Glasscheibe nach, um die Nager bei ihrem angeborenen Verhalten zu beobachten.

Egal ob im heimischen Wald oder in der afrikanischen Savanne: Was Sielmann die einmaligen Aufnahmen ermöglichte, war sein Fachwissen. „Ein guter Tierfilmer braucht Geduld und Kenntnisse“, sagt Inge Sielmann. „Wenn junge Menschen zu uns kamen, um sich von meinem Mann beraten zu lassen, weil sie Naturfilmer werden wollten, sagte er ihnen zwei Dinge. Erstens: „Studieren Sie Ökologie, sammeln Sie Kenntnisse. Zweitens: Kaufen Sie sich von Ihrem Taschengeld eine Kamera und machen Sie einen Film über ein Thema, das Sie wirklich interessiert. Dann haben Sie eine Referenz, die Sie vorzeigen können.“

Wenn Heinz Sielmann beim Filmen war, vergaß er Zeit, Essen und Trinken, so seine Frau. „Da konnte im Hintergrund ein hungriges Team sein, aber mein Mann war durch nichts abzulenken. Er war unendlich konzentriert und ausdauernd. Er konnte aber auch streng sein, wenn man Dinge nicht einhielt.“ Die Zusammenarbeit sei immer sehr konstruktiv gewesen, bestätigt Dieter Hoese. „Sielmann wusste immer genau, was er haben wollte, und wenn etwas nicht klappte, war auch schon mal eine Anspannung zu spüren.“

Aber das gehörte dazu, genauso wie die Myriaden von Mücken oder Blutegeln im Dschungel, die man ertrug. Dafür gab es auf der Expedition zum Film „Herrscher des Urwaldes“ einen Sternenhimmel, der in die Erde hineinfiel, erinnert sich Inge Sielmann. Oder am Eduardsee einen Garten Eden mit Elefanten, Hippos, Gazellen, Antilopen und Giraffen. „Das mit den eigenen Augen zu sehen, war wundervoll.“

Der NDR zeigt am 22. September um 20.15 Uhr „50 Jahre Expeditionen ins Tierreich – Pannen, Preise und Premieren“ und am 23. September um 21 Uhr „Das Beste aus Expeditionen ins Tierreich“.

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