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Siegmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, verwarf seine frühe Traumatheorie. Doch inzwischen erlebt sie eine Renaissance.

© Mike Wolff

Traumatherapie: „In diese Hölle will ich nicht“

Die Hölle der Kindheit begleitet Betroffene ein Leben lang. Eine Psychoanalyse im Erwachsenenalter kann Traumatisierten helfen. Die Berliner Analytikerin Franziska Henningsen beschreibt ihren Therapieansatz jetzt in einem Buch.

Von Caroline Fetscher

Während der Vater im Krieg war, bemächtigte sich die Mutter des kleinen Sohnes. Mit ihr schlief er in einem Bett, ihr „gehörte“ sein Körper. Sie verbrannte sein Lieblingsstofftier, sie missbrauchte den Jungen oral, sie terrorisierte ihn mit Suiziddrohungen. Nur ihre Bedürfnisse zählen. Erst als Erwachsener, erst in Begleitung seiner Therapeutin, wagt Herr E. den Blick in die Hölle seiner Kindheit. Inzwischen ist er ein außergewöhnlich einfühlsamer Seelsorger und Pastor. Sich auf die Bedürfnisse des anderen einzustellen, hat er gelernt. Doch dann bricht sich der Zwang zur Wiederholung Bahn: Herr E. läuft Gefahr, sich selber an Kindern zu vergreifen. Er sucht Hilfe. „In diese Hölle will ich nicht“, verkündet er zunächst.

Wie es diesem Patienten gelingt, in einer jahrelangen Psychoanalyse die Schmerzen und Verdrehungen der frühen Jahre zu verarbeiten und selber nicht zum Täter zu werden, das ist eine der Fallgeschichten, die Franziska Henningsen, Lehr- und Kontrollanalytikerin am Berliner Karl-Abraham-Institut, in ihrem eben erschienen Buch „Psychoanalysen mit traumatisierten Patienten“ eindrucksvoll darstellt.

Kaum ein „Tatort“ im Fernsehen, kaum ein Bericht über Krieg und Krisen kommt noch ohne den Begriff „Trauma“ aus. Meist reduziert sich „Trauma“ dabei auf ein unheimliches bis faszinierendes Schlagwort. Was aber Traumata erzeugt, wie sich ihre Symptome äußern und vor allem wie sie behandelt werden können, das bleibt genauso oft im Diffusen.

Auch darum ist Henningsens Kompendium, Ernte jahrzehntelanger Arbeit, so ertragreich. Konkret und mit einer Fülle von Anschauungsmaterial wie Theorie, unterbreitet sie ein weites Spektrum an Fallberichten. Es reicht von der Arbeit mit Kindern, die im Krankenhaus mit Todesängsten kämpfen, über Traumata durch Trennungen bis zur Behandlung von Frauen und Männern, die unter traumatischen Kriegsfolgeschäden leiden. Jedes Individuum und jede Altersgruppe erfordert dabei einen eigenen Zugang, gemeinsam lernen Patient und Therapeut, die Türen zu öffnen, die Licht und Wirklichkeit in eine bedrohliche symbolische Innenwelt hereinlassen.

Hatte die deutsche – anders als die angelsächsische – Psychoanalyse Traumata lange bagatellisiert und traumabedingte Symptome unter Neurosen oder Persönlichkeitsstörungen subsumiert, zeigt Henningsen auf, wie gerade die Psychoanalyse, erweitert um klarere Prämissen, die Schlüssel dafür liefern kann, traumatisierte Menschen individuell zu verstehen und erfolgreich zu behandeln. Wenn Kinder Bilder malen, Erwachsene Träume berichten, kann die richtige Deutung, im Zusammenspiel von Intuition und Erkenntnis, Patienten aus dem Gefängnis traumatischer Zyklen befreien. Dabei sind die Anforderungen an Integrität und Resilienz des Behandelnden oft enorm, und umso einleuchtender wird es, warum Krankenkassen und Gesellschaft sich in der Abwehr der bedrohlichen Inhalte lieber mechanischen, medikamentösen Methoden zuwenden.

Damit jedoch werden nicht selten Traumata erneut zugeschüttet und tabuisiert. „In diese Hölle will ich nicht“ – das gilt stellvertretend noch immer häufig für das Ambiente, dem Traumatisierte begegnen. Henningsens Befunde, Berichte und Folgerungen für Theorie und Praxis bieten eine Tiefe und Präzision, von der sich alle am Thema Interessierten inspirieren lassen können.

- Franziska Henningsen: Psychoanalysen mit traumatisierten Patienten. Trennung, Krankheit, Gewalt. Klett-Cotta Verlag, 2012. 279 Seiten, € 37,95. - Die Autorin stellt ihr Buch am 11. Oktober im Literaturhaus Berlin vor, Fasanenstraße 23, 19 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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