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Tugenden: Wer besonnen ist, hat mehr Erfolg im Leben

Eine Studie bestätigt die Bedeutung der antiken Tugend in der Jugendzeit für das spätere Glück eines Menschen im Erwachsenenalter. Die jeweiligen Eigenschaften sind fast wichtiger als ein hoher IQ.

Welche Charaktereigenschaften sind es, die Menschen stark machen und ihre Chancen erhöhen, ein glückliches und erfolgreiches Leben zu führen? Schon antike Philosophen interessierten sich für diese Frage. Die Psychologie hingegen war – teilweise aus gutem Grund – lange Zeit eher auf die Störungen und Konflikte im menschlichen Leben konzentriert. Das hat sich mit der „positiven Psychologie“ des US-Forschers Martin Seligman gründlich geändert. Der populäre Psychologe von der Universität von Pennsylvania fragt nach positiven Gefühlen und nach charakterlichen Stärken, die dem Menschen helfen können, sein Glück zu finden. Und er bringt dabei sogar das altmodische Wort „Tugend“ wieder ins Gespräch.

Schon früh, ausgerechnet im wilden Jahr 1968, hat auch die finnische Psychologieprofessorin Lea Pulkkinen begonnen, sich einer der klassischen Tugenden zuzuwenden: Der Besonnenheit, die Platon unter die Kardinaltugenden aufgenommen hatte. In der Psychologie wird sie mit Selbstkontrolle oder Selbstregulierung verbunden.

Welche Rolle spielen diese Fähigkeiten für das Lebensglück von Menschen? Beginnend mit ihrer Doktorarbeit hat Lea Pulkkinen dieser Frage ein ganzes Wissenschaftlerinnenleben gewidmet. An der Universität Jyväskylä in Mittelfinnland begann sie ihre Langzeitstudie zu Persönlichkeit und sozialer Entwicklung mit achtjährigen Grundschülern. Zuletzt wurden sie im Jahr 2001 als 42-Jährige befragt. Im nächsten Jahr werden die Teilnehmer der Studie 50, wie die Psychologin auf dem Welt-Psychologenkongress in Berlin stolz berichtete.

Pulkkinen definiert die Besonnenheit als eine ausgleichende Tugend, die den Menschen befähigt, Aktivitäten und Emotionen zwischen zwei Extremen zu halten. „Es geht weniger darum, Neigungen und Gefühle zu unterdrücken“, präzisiert sie. Besonnene Kinder haben nicht unbedingt weniger Aggressionen, sie können aber besser mit ihnen umgehen. Ruhiger, überlegter, kontrollierter.

Menschen, die schon im Grundschulalter, mit acht Jahren, und später in der Pubertät, mit 14 Jahren, über eine gute Selbstkontrolle verfügen, sind im Erwachsenenalter deutlich seltener kriminell, ergab die Langzeitstudie. Das traf vor allem auf die Männer zu. „Männer, die mit über 20 durch Gesetzesverstöße auffielen, hatten oft schon als Kinder eine geringe Fähigkeit zur Selbstkontrolle, gingen viele Risiken ein und hatten früh mit dem Trinken von Alkohol begonnen“, resümiert Lea Pulkkinen.

Umgekehrt waren die Studienteilnehmer, die von ihrer Umgebung schon in der Kindheit als besonnen eingestuft wurden, als 42-Jährige eher verheiratet, sie wurden von den Ehefrauen als liebevolle Väter eingeschätzt, sie stuften ihre Gesundheit als besser ein, waren seltener übergewichtig und rauchten nicht. Zu allem Überfluss hatten sie auch im Job mehr Erfolg – abzulesen an einer besseren Qualifikation und mehr Gehalt.

Die Annahme, dass die besonnenen Menschen eben einfach die intelligenteren seien, die durch ihren IQ zu mehr Erfolg im Leben kommen, reicht nicht aus. Schon vor zwei Jahren konnte Martin Seligman zeigen, dass Selbstdisziplin – eine von der Besonnenheit nicht weit entfernte Eigenschaft – für den Erfolg an Schule und Uni wichtiger ist als der IQ.

Platon hat also recht: Besonnenheit ist wohl einer der Schlüssel für ein erfolgreiches Leben. Möglicherweise lässt sich das auch für die anderen Tugenden, die der antike Philosoph aufzählte, bald empirisch belegen: Für Weisheit, Tapferkeit und Gerechtigkeitssinn. Fragt sich nur, ob und wie Erziehung zum Erwerb dieser klassischen Tugenden beitragen kann.

Persönlich offenbar in reichem Maß mit der Tugend der Beharrlichkeit ausgestattet, hat Lea Pulkkinen das mit einem groß angelegten Schulprojekt versucht. In vier Kommunen wurde auf ihre Initiative hin im Jahr 2004 an sieben Schulen mit insgesamt 2000 Schülern ein Ganztags-Schulprojekt gestartet, mit dem erklärten Ziel, die soziale Entwicklung der Kinder zu fördern und zu einer gemeinsamen Basis von Werten und Normen zu finden. Die Auswertung des Projekts einer „atmenden“, auf soziale, sportliche und kulturelle Freizeitaktivitäten ausgerichteten Ganztagsschule ergab: Das Mobbing unter den Kindern nahm ebenso ab wie das Schuleschwänzen.

Pulkkinens Perspektive geht über den Lebenserfolg des Kindes hinaus. Sie scheut auch große Worte nicht. „Besonnenheit und andere klassische Tugenden werden gebraucht“, sagte sie auf dem Kongress, „um unseren Globus und seine Bewohner vor zahlreichen Gefahren zu bewahren.“ Platon hätte vermutlich applaudiert. Adelheid Müller-Lissner

Adelheid Müller-Lissner

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