zum Hauptinhalt

TURNERS Thesen: Das Abitur ist entwertet

Alle Bildungsabschlüsse, die es in den Ländern der Europäischen Union gibt, sollen auf acht Stufen verteilt werden. Eins: kein Schulabschluss – bis acht: Promotion.

Alle Bildungsabschlüsse, die es in den Ländern der Europäischen Union gibt, sollen auf acht Stufen verteilt werden. Eins: kein Schulabschluss – bis acht: Promotion. Abschlüsse sollen so europaweit vergleichbar werden. Aus Sicht von Handwerk und Gewerkschaften ist das Abitur auf Stufe vier einzugliedern und damit den allermeisten Berufsabschlüssen gleichzustellen. Die Kultusminister hoben das Abitur auf die fünfte Stufe. Seither herrscht „dicke Luft“ zwischen den Verbänden der Wirtschaft und der KMK.

Für die Anhänger eines klassischen Bildungsideals ist es zweifelsfrei: Das Abitur ist die Krone der Ausbildung. Deshalb sei es höher einzustufen als die Abschlüsse beruflicher Bildung. Das mag ja gelten, wenn man den Abschluss eines grundständigen, altsprachlichen Gymnasiums zum Maßstab nimmt. Aber der Abschluss nach der Orientierungsstufe und den anschließenden Klassen 7 bis 12? Zweifel sind angebracht. Die Möglichkeiten der Fächerwahl beziehungsweise -abwahl lassen die Reifeprüfung nicht mehr als das erscheinen, was sie einmal war, nämlich als Ausweis von Kenntnissen in einer gewissen Fächerbreite.

In beiden konkurrierenden Fällen also Spezialisierung, einmal auf ein Berufsfeld, zum anderen auf wenige Schulfächer. Erfolgreiche berufliche Ausbildung setzt in aller Regel den Realschulabschluss voraus. Eine dreijährige Berufsausbildung dauert länger als der Weg zum Abitur bei gleichem Starttermin. Also auch beim zeitlichen Aufwand nicht unbedingt ein Plus für das Abitur.

Vor allem aber muss man bedenken, wie das Abitur durch die Öffnung der Hochschulen systematisch entwertet worden ist. Die Zulassung zum Studium ist auch nach abgeschlossener Lehre möglich, in einigen Ländern sogar nicht fachgebunden. Inhaber von Gesellenbriefen für Kfz-Mechanik könnten (theoretisch) Medizin studieren. Wer die Schleusen derart weit öffnet, wie die KMK es seinerzeit getan hat, darf sich nicht wundern, wenn jetzt die Quittung der Gleichwertigkeit präsentiert wird. Die schrankenlose Öffnung der Hochschulen hat Probleme mit sich gebracht hinsichtlich der Studierfähigkeit der Bewerber. Die Hochschulen sind mit dem Problem alleingelassen worden. Das hat die KMK in Kauf genommen. Wer A sagt, muss jetzt auch B gelten lassen.

Wer mit dem Autor diskutieren möchte, kann ihm eine E-Mail schicken: g.turner@tagesspiegel.de

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false