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Dinos

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Ubekannte Arten: Fantastische Jagd

Auch heute noch entdecken Forscher in entlegenen Regionen unzählige neue Tier- und Pflanzenarten. Millionen dieser unbekannten Lebewesen warten in den entlegenen Regionen unserer Erde.

„Es waren fünf Tiere. Ihr Umfang war gewaltig. Sogar die Jungen waren so groß wie Elefanten. Die beiden Alten übertrafen alles, was mir je vor Augen gekommen war. Sie hatten eine schieferfarbene Haut, geschuppt wie bei Eidechsen und schimmernd, wenn Sonne drauffiel. Alle fünf saßen aufrecht und hielten sich auf ihren dicken, kräftigen Schwänzen und den ungeheuren dreizehigen Hinterfüßen im Gleichgewicht, während sie mit den kleinen fünffingrigen Vorderfüßen Zweige herunterrissen und sich damit vollstopften. Sie sahen aus wie überdimensionale Känguruhs, sieben Meter lang, die Körperoberfläche wie schwarze Krokodile.“

Was sich wie die Beobachtung von noch lebenden Tieren liest, ist die fantasievolle Schilderung von Iguanodons. Während die Wissenschaft diese Dinosaurier für seit 65 Millionen Jahren ausgestorben hält, ließ der englische Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle sie in seinem 1912 erschienenen Abenteuerklassiker „Lost World“ – Vergessene Welt – wieder aufleben. In dem Roman macht sich der ewig mürrische Professor Challenger auf die fantastische Jagd nach den letzten überlebenden Riesenechsen des Erdmittelalters. In einer abgelegenen Regenwaldregion werden er und seine Begleiter fündig. Sie entdecken „eine ganze Reihe der schrecklichsten Vertreter des Tierreichs, schrecklicher noch als all die andern Ungeheuer, die je die Erde heimgesucht haben oder das Schmuckstück eines Museums geworden sind“.

Von „Lost World“ waren Doyles Zeitgenossen so begeistert, dass 1925 der gleichnamige Stummfilm entstand, berühmt geworden durch seine für die damalige Zeit durchaus gelungenen Dinosaurier-Animationen. Der Roman wurde zum Ur- und Vorbild für den Dinoschocker unserer Zeit.

Unentdeckte Arten auf den "Häusern der Götter"

Doyle war durch seriöse wissenschaftliche Berichte seiner Zeit angeregt worden, sehr wahrscheinlich durch die Schilderungen von Robert Hermann Schomburgk, der 1840 erstmals vor der geografischen Gesellschaft in London von seiner abenteuerlichen Reise nach Südamerika berichtete. Schomburgk bereiste zwischen 1831 und 1844 das damalige Britisch-Guyana. Er überquerte das Hochland von Guayana. Im Norden Südamerikas entdeckte Schomburgk von der Welt abgelegene Tafelberge, Tepuis genannt. Er verzeichnete die exotische Flora und Fauna dieser Tepuis, die sich von der in den sie umgebenden Waldregionen deutlich unterschied.

Während der Mythos von fantastischen Entdeckungen in entlegenen Winkeln der Erde weiterlebte, gerieten die Tafelberge und ihre Tier- und Pflanzenwelt selbst lange Zeit in Vergessenheit. Bei den Einheimischen waren die Tepuis die „Häuser der Götter“, die sie nie bestiegen. Erst Hubschrauber ermöglichten am Ende des 20. Jahrhunderts ausgedehnte Expeditionen zu diesen Inseln in der Zeit.

Tatsächlich erwiesen sich die Tepuis als eine wahrhaft vergessene Welt, freilich ganz ohne Dinosaurier. Denn auf den knapp 3000 Meter hohen und isoliert aus dem feuchten Regenwald aufragenden Tafelbergen entdeckten Zoologen und Botaniker eine ganz eigentümliche und nur dort vorkommende Ansammlung von Arten, darunter unbekannte Gras- und Blütenpflanzen, Sonnenamphoren und Flechten, Frösche und andere Amphibien, Insekten und immer wieder Käfer und Ameisen. Bis heute sind sie dabei, diese Lost World der südamerikanischen Wälder zu beschreiben.

200.000 Neuentdeckungen pro Jahr

Doch die südamerikanischen Tepuis sind kein Einzelfall. Überall auf der Erde gibt es offenbar noch solche vergessenen Welten. Obgleich wir spätestens seit Google Earth meinen, unseren Heimatplaneten komplett kartiert und vermessen zu haben und der Mensch in sämtliche Regionen der Erde vorgedrungen ist, sorgen Expeditionen in abgelegene Regionen von Südamerika bis Neuguinea und den Südpazifik immer wieder für verblüffende Neuentdeckungen.

Nachdem Biologen die Vielfalt der Arten, die Biodiversität, lange verkannt haben, ergaben erste Hochrechnungen vor Jahren, dass wir mit schätzungsweise 30 Millionen Tierarten auf der Erde rechnen müssen. Mittlerweile wurden diese Schätzungen zwar mehrfach korrigiert, doch noch immer stehen vor allem Zoologen selbst mit möglicherweise nur fünf bis sechs Millionen Arten wahren Heerscharen an neuen und bislang unbekannten Lebensformen gegenüber. Bis zu 200.000 neue Arten müssten pro Jahr beschrieben werden, um in den kommenden 25 Jahren diese gewaltige Fülle zu erfassen. Denn bislang haben Biosystematiker gerade einmal etwa 1,8 Millionen Tier- und Pflanzenarten wissenschaftlich beschrieben.

Mehr neue Arten als je zuvor

Dabei spüren sie allerorten unbekannte Tiere und Pflanzen auf. Zum einen werden sie in jenen biologischen Schatzkammern fündig, wohin bis heute nur wenige Forscher gelangten, wie etwa in die lange abgeschotteten und abgelegenen Regionen Indochinas und auf Neuguinea. Zum anderen helfen molekulargenetische Methoden neuerdings auch dabei, kryptische Arten im Labor zu enttarnen; denn mittlerweile gehen Biologen nicht mehr wie einst Professor Challenger in der „Lost World“ nur in unzugänglichen Urwäldern auf die Suche nach mysteriösen Geschöpfen. Die Arbeit dieser Artendetektive in den Sammlungen der großen Naturkundemuseen der Welt mit ihren zahllosen Funden früherer Expeditionen, aber auch in den biologischen Laboratorien, gleicht vielmehr der Fahndung eines Sherlock Holmes, um das Rätsel um die biologische Vielfalt zu lüften.

Heute werden mehr neue Arten entdeckt als jemals zuvor, und ein Ende ist nicht abzusehen. Das goldene Zeitalter zoologischer Entdeckungen hat also gerade erst begonnen, die neuartige Jagd nach unbekannten und geheimnisvollen Tieren ist gerade erst eröffnet. Conan Doyle würde sich freuen.

Unter dem Titel „The Lost World – Sehnsucht nach einer verräumlichten Naturgeschichte“ laden am Mittwoch um 19 Uhr die Biologen Matthias Glaubrecht und Michael Ohl gemeinsam mit dem Schauspieler Hanns Zischler zu einer filmisch-literarischen Expedition in untergegangene Welten in das Museum für Naturkunde, Invalidenstraße 43, ein. Im Anschluss an die Lesung ist der Stummfilm „The Lost World“ (USA, 1925) zu sehen; am Klavier begleitet von Eunice Martins. Eintritt: 6 Euro.

Matthias Glaubrecht

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