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Umfrage: „Der Streik ist berechtigt“

Was Studierende und Professoren von den Aktionen des Bildungsstreik und den neuen Bachelor- und Masterstudiengängen halten.

Meral Güc, 28, studiert im 8. Semester an der TU Berlin im Bachelor of Economics

Für mich ist es kein Problem, wegen des Streiks ein paar Vorlesungen sausen zu lassen, immerhin geht es um eine sehr wichtige Sache. Verschiedene Dozenten haben auch Ersatztermine festgesetzt. Für mich ist die Studienfinanzierung das größte Problem. Die Rückmeldegebühren kosten mich gemeinsam mit dem Semesterticket 293 Euro. Bafög bekomme ich nicht, ich will es auch nicht. Denn dann habe ich nach dem Studium Schulden. Da jobbe ich lieber. Ansonsten finde ich die Studienbedingungen hier gut, sieht man mal von dem Informationswirrwarr durch ständig wechselnde Prüfungsordnungen ab. Die Gruppengrößen sind okay. Gut finde ich auch, dass Leute, die vom VWL-Diplomstudium in unseren Bachelor gewechselt sind, sich viel anrechnen lassen konnten. Für einen Platz im Master rechne ich mir gute Chancen aus, denn das Studium ist noch neu, viele trauen sich noch gar nicht rein. Dabei muss Neues nicht schlecht sein.

Evelyn Adov, 28, studiert im 8. Semester an der TU Berlin Wirtschaftsingenieurwesen mit Schwerpunkt Bauwesen im Diplomstudiengang

Ich kann nicht wirklich sehen, warum ich streiken sollte. Die Ausstattung in meinem Studium ist in Ordnung. Und wenn es in manchen Vorlesungen voll ist, dann weil das an einer großen Uni nun mal nicht anders geht. Ich habe im Diplomstudiengang vielleicht mehr Freiheiten als die Bachelor. Aber viele meiner Kommilitonen brauchen 14 oder 16 Semester bis zum Abschluss. Das will ich nicht. Ich habe bereits eine Ausbildung hinter mir und das Abitur nachgeholt. Es ist gut, wenn die Bachelor jetzt etwas angetrieben werden. Ich kenne viele Leute in Russland, die sind schon mit 23 fertig mit dem Studium. Dort herrscht einfach mehr Kontrolle. Es macht schon Sinn, nicht so lange zu studieren.

Dieter Lenzen, 61, FU-Präsident

Der Bildungsstreik ist berechtigt. Die Politik muss finanzielle Prioritäten in der Bildung und nicht bei der Abwrackprämie setzen. Auch die Ablehnung von Studiengebühren teile ich. Denn natürlich führen sie zu einer sozialen Selektion. Das andere ist das Überlastungsgefühl, das vom Personal der Universitäten sehr zu Recht empfunden wird. Wegen des langen Innovationsstaus kumulieren sich seit einiger Zeit Reformen, ich nenne nur die Einführung von Bachelor und Master und den Exzellenzwettbewerb. Jetzt muss mehr Geld ins System, neues Personal muss Entlastung bringen. Was den Bachelor betrifft, so hat sich das frühere FU-Präsidium damals dafür entschieden, die Reform zeitnah umzusetzen. Denn dass sie unumkehrbar war, stand ja fest. Einzelne Fächer haben es aber mit der Verdichtung des Stoffs übertrieben. Es herrscht immer noch die Phantasie, dass ein guter Professor nur einer ist, dessen Gebiet auch im Curriculum vorkommt. Wenn das Personal heute so mit Prüfungen belastet ist, kann es beispielsweise auch an den von unseren Entscheidungsgremien unbedingt gewollten großzügigen Handhabung von Wiederholungsprüfungen liegen. So müssen sich die Dozenten ständig für Nachholtermine immer neue Aufgaben ausdenken. Das kostet sie unendlich viel Zeit. Für die Studierenden wären die neuen Studiengänge leichter zu bewältigen, wenn sie nicht jobben müssten. Es müsste Leistungsstipendien geben. Bei den Doktoranden in den Graduiertenschulen läuft das wie geschmiert.

Bei allem Verständnis für die Streikziele: Es ist völlig inakzeptabel, wie einige wenige Demonstranten das Präsidialamt der FU verwüstet haben. Vor allem ist es völlig inakzeptabel, wenn Mitarbeiter sich bedroht fühlen.

Christoph Diehn, 23, studiert im 6. Semester VWL an der HU und ist stellvertretender Landesvorsitzender des RCDS Nordost

Die Aktionen des Bildungsstreiks sind unsäglich. Prinzipiell sind wir vom RCDS mit den Organisatoren des Bildungsstreiks zwar einig, dass es Missstände im Bildungssystem gibt. Bei den Hochschulen sind das die Unterfinanzierung und die Ausgestaltung der neuen Bachelor- und Master-Studiengänge. Mich stört, dass es bei den Protesten auch um ideologisch geprägte Gesellschaftskritik geht. Es ist empörend, dass die Organisatoren Krawall und Gewalt nicht ausdrücklich ablehnen. Viele Kommilitonen werden davon abgehalten, Vorlesungen zu besuchen. Wir setzen darauf, uns in den universitären Gremien für die Sacharbeit einzusetzen.

Peter-Michael Hahn, Professor für Geschichte an der Universität Potsdam

In den letzten beiden Tagen sind deutlich weniger Studierende als sonst zu den Veranstaltungen gekommen. Ich nehme an, dass sich viele an den studentischen Aktionen in der Potsdamer Innenstadt beteiligen. Hier an der Uni geht es gesittet zu. Aus meinem Fenster sehe ich, dass Studierende ein Zelt aufgeschlagen haben und einige Barrikaden aufgestellt sind. Aber jeder kommt ins Gebäude. Ein Gutteil der Professoren steht hinter den Studierenden. Überfüllte Seminare und eine fehlende Infrastruktur sind unhaltbare Zustände. In den neuen Studiengängen bleibt die intellektuelle Entfaltung auf der Strecke. Allerdings haben viele Professoren womöglich aus Begeisterung für ihr Fach so viele Inhalte für unverzichtbar gehalten, dass die Studierenden sich nun überlastet fühlen. Wir überarbeiten unsere Studiengänge gerade. Sachgerechtes Lernen und die Verbesserung der Urteilsfähigkeit sollten im Mittelpunkt stehen.

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