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Mehrere Jahrzehnte alte menschliche Knochenreste wurden ganz in der Nähe des einstigen Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie und Eugenik, heute Sitz des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft, gefunden.

© picture alliance / dpa

Umgang mit den Skelettfunden in Dahlem: Einfach eingeäschert

Menschliche Knochen, vermutlich aus der NS-Zeit, wurden im Sommer nahe der Bibliothek der Freien Universität Berlin in Dahlem gefunden. Jetzt wird diskutiert, wie sie bestattet werden sollen.

Was ist mit den menschlichen Überresten geschehen, die Bauarbeiter im Sommer neben der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin (FU) gefunden haben? „Eine würdevolle Bestattung“ wollten sowohl die FU als auch die Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Schließlich ist es durchaus möglich, dass die Skelette zu Opfern von Euthanasieverbrechen im Nationalsozialismus gehören.

Dicht neben dem Fundort in der Harnackstraße lag das „Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik“, in der Ihnestraße 22, wo heute FU-Politologen untergebracht sind. Damals forschten dort Wissenschaftler etwa an Sinti und Roma, bevor sie diese deportieren ließen. Aus Auschwitz schickte der KZ-Arzt Josef Mengele regelmäßig Knochen und Organe bei Versuchen Ermordeter an das Institut, häufig von Zwillingen.

Knochenreste an Krematorium übergeben

Nun teilt die FU auf Anfrage mit, sie habe inzwischen erfahren, dass „die Knochenreste dem Krematorium Ruhleben übergeben wurden, wo sie eingeäschert und würdevoll bestattet werden sollen“. Aber ist eine einfache Bestattung auf dem städtischen Friedhof den möglichen Opfern grausamer Menschenversuche würdig genug? Und haben die FU, die MPG und die zuständigen Berliner Behörden den Vorgang überhaupt nur mit bürokratischer Routine verwaltet? Der Reihe nach.

Im Sommer vergangenen Jahres hoben Bauarbeiter einen Sickerschacht an der Universitätsbibliothek aus. Am 1. Juli entdeckten sie dabei Knochen und verständigten die Polizei. Diese gab ein rechtsmedizinisches Gutachten bei der Charité in Auftrag. Nach FU-Angaben lag dieses mehrere Wochen später vor. Es handle sich um Knochenfragmente von mindestens 15 Personen, von Erwachsenen wie Kindern. „Mehrere Jahrzehnte alt“ seien die Knochen. Mehr ließe sich aufgrund des „Zustands starker Verwitterung“ nicht sagen, zitierte die FU am 19. November aus dem Gutachten.

Markierungen wie für biologische Präparate

Bei den Knochenresten seien allerdings „zehn runde Plastikmarken unterschiedlicher Farben mit handschriftlichen Zahlen darauf gefunden worden“. Die Rechtsmediziner habe dies „an Markierungen für biologische/medizinische Präparate“ erinnert. Eine ebenfalls gefundene Ampulle habe einen Rest Flüssigkeit enthalten, vermutlich das Lokalanästhetikum Procain. Dies sei schon im Ersten Weltkrieg für die Betäubung verwundeter Soldaten eingesetzt worden. „Weitere Details“ seien „aufgrund der langen Liegezeit der aufgefundenen Knochen“ „leider“ nicht zu erfahren gewesen.

Nachdem die Rechtsmedizin der Charité ihre Untersuchung beendet hatte, überstellte sie die Überreste dem Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin. Dazu hieß es im FU-Online-Magazin „Campus Leben“ im November: „Das Präsidium der Freien Universität Berlin betonte, es sei sehr wichtig, dass die Menschenknochen würdig bestattet werden. Das sei mit der Überstellung der Knochen an das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin gewährleistet.“

Einäscherung oder Bestattung neben Euthanasie-Mahnmal

Dies sieht die Max-Planck-Gesellschaft anders. „Wir sind nicht besonders glücklich über den Ablauf“, sagt Christina Beck, die Sprecherin der MPG. Die MPG hat ihren Hauptsitz in München, in ihr gingen die früheren Kaiser-Wilhelm-Institute nach dem Krieg auf. „Würdig ist eine Bestattung, die dem Andenken möglicher Opfer von NS-Verbrechen Rechnung trägt“, sagt Beck.

Die MPG hatte vorgeschlagen, die Überreste auf dem Waldfriedhof in München zu bestatten, wo es ein Mahnmal für die Opfer der Euthanasieverbrechen gibt. Allerdings machte die MPG den Vorschlag erst am 16. Dezember. Vielleicht zu spät. Vom Berliner Landesinstitut erfuhr sie vor einigen Tagen, die Einäscherung habe bereits am 12. Dezember stattgefunden. Ob auch die Bestattung, ist unklar.

Unklar ist noch mehr. Warum wurden die Überreste nicht weiter untersucht? Nach welchem Prozedere wurde die Einäscherung in Ruhleben verfügt? Warum gab es offenbar nur sporadischen Kontakt zwischen der FU, dem MPG und dem Landesinstitut? Und was wurde aus den Plastikmarken und der Ampulle? Kann die Urne noch nach München überführt werden? Das alles lässt sich aktuell nicht ergründen. Die Senatsverwaltung für Gesundheit, der das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin untersteht, hat bislang auf eine Anfrage des Tagesspiegels nicht geantwortet. Aus dem Institut selbst hieß es, Michael Tsokos, der sowohl Leiter des Instituts als auch Leiter der Rechtsmedizin der Charité ist, sei erst am Montag wieder erreichbar.

Gedenkfeier am Dienstag

Weder die FU noch die MPG wollten die Sache offenbar groß publik machen. Die FU meldete den Fund im Juli – lapidar über Twitter. Zusätzlich berichtete sie zweimal in ihrem Online-Magazin unter der Rubrik „Intern“. Dort also, wo nur Uni-Mitglieder Zugriff haben. Auch erwähnte die FU den möglichen Zusammenhang des Funds mit NS-Verbrechen in den beiden mit der MPG abgestimmten Texten merkwürdigerweise nicht.

Eine Gedenkfeier für die möglichen NS-Opfer wird nun in Eigeninitiative von dem Archäologen Reinhard Bernbeck angestoßen. Er lädt am morgigen Dienstag, dem 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, zu einer Gedenkstunde am Fundort ein (15 Uhr). Die Politologin Tanja Börzel hat ein Projekt von Studierenden zu den Spuren der Gräueltaten der Kolonialzeit und der NS-Zeit auf dem Campus angekündigt.

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