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Im siebten Taubenhimmel. In vielen deutschen Städten sind Tauben und ihr Kot ein Problem, das Millionen Euro Kosten verursacht. Anstatt sie zu jagen, werden sie jetzt zum Nisten in exklusive Behausungen gelockt, um die Eier gegen taube Attrappen zu ersetzen.

© picture alliance / dpa

Umstrittene Maßnahme gegen Vögel in der Metropole: Ein Loft für Tauben

Mit Taubenhäusern wollen Städte die Plage eindämmen. In Berlin steht ein besonders teures Exemplar. Doch ob das Prinzip funktioniert, ist unbewiesen.

Als Ines Steinkamp die Tür zum Taubenloft öffnet, flattern Dutzende Vögel durch die Einfluglöcher nach draußen. Auf dem Boden des Aluminiumhäuschens stehen Plastikkassetten mit Mais, Erbsen und Getreide – frisches Futter für die Tauben der Hauptstadt. In den Wänden des Taubenlofts am Potsdamer Platz sind 68 Nistplätze untergebracht. Drei Mal pro Woche reinigt Tierpflegerin Steinkamp ehrenamtlich die Unterkunft und bringt frisches Futter: „Hier werden die Stadttauben artgerecht ernährt.“ Wenn die Vögel krank sind, verarztet Steinkamp sie und päppelt sie wieder auf, wenn nötig sogar mit Antibiotika.

Die Eier der Tauben werden ausgetauscht

Was nach reiner Tierliebe aussieht, ist der Versuch, den Bestand der Stadttauben zu begrenzen. Steinkamp tauscht die Eier gegen Plastikattrappen aus, die genauso groß und mit 18 Gramm auch genauso schwer wie echte Taubeneier sind. Die Tiere bemerken den Schwindel nicht. Der Eierklau soll die Zahl der Vögel in der Großstadt senken.

Von Augsburg und Aachen aus verbreitete sich die Idee, den fliegenden Stadtbewohnern Kost und Logis in eigens eingerichteten Taubenschlägen anzubieten und ihnen dann die Eier wegzunehmen. Beide Städte haben mittlerweile rund ein Dutzend solcher Unterkünfte. Mehr als 30 weitere Metropolen, wie München, Bonn, Dortmund, Frankfurt und Hamburg, sind dem Modell gefolgt.

Edelabsteige: Der Schlag am Potsdamer Platz kostet 100 000 Euro

Das Berliner Taubenloft ist die vorläufige Krönung der Taubenliebe. Es ist das exquisiteste Objekt in der ganzen Republik – auf dem Renzo-Piano-Gebäude am Potsdamer Platz. Das Architekturbüro Simon Baumgarten hat das Mehrfamilienhaus fürs Federvieh eigens einer sitzenden Taube nachempfunden. Mit rund 100 000 Euro war das Loft zehnmal so teuer wie die Sparversion eines Taubenschlags in einem bestehenden Dachstuhl. Hinzu kommen jährliche Unterhaltskosten von bis zu 35 000 Euro.

Bisher konnten Metalldrähte und -nadeln an Altbauten die Tauben immer nur lokal vertreiben, nie aber ihre Population verringern. Die Verhütungspille im Taubenfutter, mittlerweile nicht mehr im Einsatz, ließ sich nicht exakt genug dosieren. Auch künstlich ausgesetzte Falken und Bussarde brachten keinen Erfolg.

Tierschützer sind begeistert

Die Kommunen zählen nun auf die neue Methode: Nachdem die Tiere in die Häuser umgesiedelt sind, soll ihre Zahl sinken, da ihnen Plastikeier untergeschoben werden. Und weil die Tauben im Neubau bleiben, besudelt ihr Kot nicht mehr fingerdick Skulpturen und Fenstersimse.

Designer-Schlag. Brutstätte fürs Federvieh vom Spitzenarchitekten. Der Taubenloft befindet sich auf dem Renzo-Piano-Gebäude am Potsdamer Platz.
Designer-Schlag. Brutstätte fürs Federvieh vom Spitzenarchitekten. Der Taubenloft befindet sich auf dem Renzo-Piano-Gebäude am Potsdamer Platz.

© S. Baumgarten

So weit die Theorie. Tierschutzverbände verbreiten sie mit Begeisterung. Die Taubenhäuser sind für sie die einzig tierschutzgerechte Maßnahme im Umgang mit den fliegenden Großstädtern. „Ein kleinerer, gesunder und vitaler Stadttaubenbestand, der unter der Fürsorge des Menschen sein freies Leben in den Städten führen kann“, ist Ziel des Deutschen Tierschutzbunds. „Langfristig erreicht man nur etwas, wenn man mit den Tieren zusammenarbeitet und auf ihre Bedürfnisse eingeht“, sagte Ines Krüger, erste Vorsitzende des Berliner Tierschutzvereins.

Weniger Taubendreck, sagt der Betreiber

Für Ines Steinkamp sind die Tauben so etwas wie ihre Familie. Als sie 18 Jahre alt war und in einem Landwirtschaftsbetrieb in der DDR arbeitete, fiel ihr eine junge Taube vor die Füße, die wahrscheinlich ein Greifvogel abgeworfen hatte. Steinkamp päppelte das Tier zu Hause auf. Der Findling wurde elf Jahre alt, steinalt für eine Taube, die es gewöhnlich auf nicht mehr als acht Jahre bringt. Es ist ein Schlüsselerlebnis: „Wenn ich heute durch die Stadt laufe, gucke ich nicht in die Schaufenster, ich schaue auf den Boden.“ Verletzte Vögel liegen meistens in Nischen auf dem Asphalt.

Der Betreiber des Lofts, die Potsdamer Platz Management Gesellschaft, zog im März eine positive Zwischenbilanz: Der Taubendreck auf und um den Platz habe deutlich abgenommen. Tierschützer sehen in den Taubenunterkünften einen deutlichen Fortschritt zu den barbarischen Methoden der Vergangenheit, als noch Fallen aufgestellt und Taubenjäger engagiert wurden, die allein in Basel zwischen 1961 bis 1985 über 100 000 Tauben abgeschossen haben.

Sterben mehr Vögel, legen die übrigen mehr Eier

Wissenschaftler wie Daniel Haag-Wackernagel, Biologe an der Universität Basel und ausgewiesener Taubenexperte, sehen die neue Fürsorge dagegen kritisch: „Das ist ein Schildbürgerstreich“, sagt er. „Es füttert doch auch niemand Ratten.“ Haag-Wackernagel ist für Tierschützer ein rotes Tuch. „Den nehmen wir nicht mehr ernst, der hat auch Tiere getötet“, schimpft Taubenpflegerin Steinkamp. Kistenweise sammeln sich Drohbriefe und Schmähschriften im Büro des Basler Forschers. Der Biologe beteuert dagegen, dass er nie selbst zur Flinte gegriffen habe. Er untersuchte seinerzeit am Schreibtisch, ob sich die Tiere per Abschuss dezimieren lassen. Sein Ergebnis: Sterben einige, legen die übrigen noch mehr Eier. Der Bestand blieb auch in Basel trotz der Jagd unverändert. „Kompensatorische Natalität“ nennen Populationsbiologen dieses Phänomen.

Was in Basel passierte, wiederholte sich in Barcelona, München und vielen anderen Städten. Es wiederholte sich mit Raubvögeln, mit der Taubenpille und allen anderen Methoden, mit denen man den fliegenden Städtern zu Leibe rückte. Sie blieben. „Bei den Taubenhäusern ist es nicht anders“, ist sich Haag-Wackernagel sicher.

Auch andere Forscher bezweifeln die Wirksamkeit

Viel Geld für nichts? Auch andere Wissenschaftler bezweifeln die Wirksamkeit der Taubenhäuser. Richard Köhler von der Biologischen Station östliches Ruhrgebiet in Herne ist Vogelliebhaber und selbst Mitglied einer Tierschutzorganisation und sagt dennoch: „Es gibt keine wissenschaftlichen Belege, dass Taubenhäuser wirken.“ Keines wurde je wissenschaftlich evaluiert. Weder zu Beginn noch zu einem späteren Zeitpunkt wurden Tauben gezählt. „Die Betreiber spielen oft nicht mit offenen Karten“, moniert Köhler. „Sie müssten die Zahl der Brutpaare bekannt geben. Bei diesem tollen Futterangebot sind die Tiere in den Häusern geradezu im Paradies: Ein einziges Paar legt dort vielleicht sogar 12 bis 15 Eier.“ Viele Tauben nutzen das Loft auch als Wirtshaus. Sie kommen zum Fressen, aber ihre Jungen ziehen sie andernorts auf. Tatsächlich gurrt es neben dem Taubenloft auf dem Renzo-Piano-Gebäude hinter den Schlitzen der Gebäudewand.

Nur drei Paare brüten im Loft

„Nach allem, was wir über die Biologie wissen, gibt es keinen Grund, warum das funktionieren sollte“, wird Köhler deutlicher. Nur ein verschwindend kleiner Teil der Stadttauben brütet in Taubenhäusern. Im Berliner Loft drei Paare – bei zehntausend Tauben in der Stadt. Der Anteil der Brutpaare unter menschlicher Obhut müsste zwischen 10 und 30 Prozent liegen, damit sich der Taubenbestand kontrollieren ließe. Dem stehen nicht nur die hohen Kosten entgegen, sondern auch der Umstand, dass Tauben bewährten Nistgelegenheiten treu bleiben und ihre Umsiedlung in Neubauten sehr schwer ist.

Die Empfehlung des Biologen: Fangen, kein Futter, ordentliche Nistplätze

Es ist eine Ironie der Geschichte, dass sich die Betreiber ausgerechnet auf ihren ärgsten Kritiker, Daniel Haag-Wackernagel, stützen. Er habe die Idee der Taubenhäuser begründet, schreiben sie gerne. Und weil er Biologieprofessor ist, hat so ein Satz die Weihen der Unfehlbarkeit. Tatsächlich hat Haag-Wackernagel Taubenhäuser erfunden, aber solche, in denen nie gefüttert wird. Diese Einrichtung von Nistplätzen wurde noch dazu begleitet vom Fang und der anschließenden Tötung der Tiere und von Kampagnen gegen die Fütterung. So schrumpfte das Nahrungsangebot in Basel und die Zahl der Tauben von 12 000 auf 8000. Auch die Stadt Luzern hat mit diesem Konzept – Fangen, kein Futter, aber zum Ausgleich ordentliche Nistplätze – laut Haag-Wackernagel ihren Vogelbestand reduziert.

Ines Steinkamp packt die blanke Wut, wenn sie davon nur hört. „Die deutsche Bevölkerung wird sich das Töten der Tiere nicht gefallen lassen.“

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