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Von Geistesgrößen lernen. Die Lithografie aus dem Jahre 1828 von Franz Kugler zeigt Hegel vor seinen Studenten am Katheder. – Die Berliner Universität litt fast von Anfang an unter ihrer schlechten Ausstattung. Noch Jahrzehnte nach der Gründung gab es im Hauptgebäude keine Toiletten. Foto: akg-images

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Uni-Geschichte: Weinparty mit Hegel

Duelle und Trinkgelage waren an der alten Berliner Universität selten, aber sie kamen vor. Ein neues Buch beleuchtet das Leben im alten Berliner Studentenviertel

„Niedrige, unbequeme Sitzreihen füllten die Räume, die jeglicher Lufterneuerungsvorrichtung entbehrten. In einzelnen größeren Hörsälen war namentlich in den Wintersemestern der Aufenthalt unerträglich.“ So beschrieb im Jahr 1909 der Student Isidor Kastan das Lebensgefühl hinter der glanzvollen Fassade der Berliner Universität.

Als König Friedrich Wilhelm III. hundert Jahre zuvor für den Unterhalt dieser Universität einen Jahresbeitrag von 150 000 Talern festgesetzt hatte, war das für die damalige Zeit ein ansehnlicher Betrag. Preußen war von Napoleons Truppen besetzt und hatte einen Teil seines Territoriums verloren. In dieser Notlage hatte Wilhelm von Humboldt angeregt, in Berlin eine neue Universität zu gründen. Damit verband sich die Hoffnung, dass alle, die sich in Deutschland für Bildung und Aufklärung interessierten, wieder nach Preußen blicken würden.

Doch einer hinreichenden Ausstattung konnte sich die Berliner Universität Unter den Linden nach diesem gewagten Start keineswegs sicher sein. Das zentrale Universitätsgebäude, das ehemalige Palais des Prinzen Heinrich, wurde erst im Jahr 1876 an die Kanalisation angeschlossen. Vorher mussten Studenten und Dozenten in einem Abortgebäude im nahe gelegenen Kastanienwäldchen ihre Notdurft verrichten. Toiletten in jedem Geschoss wurden erst 1890 eingebaut.

Solche Einblicke in die Universitätsgeschichte gewährt das kürzlich erschienene Buch „Im alten Berliner Studentenviertel“ von Helmut Zschocke, ein Wirtschaftswissenschaftler, der seit seiner Emeritierung über weniger gut aufgearbeitete Themen der Berliner Geschichte forscht. Am Beispiel der Friedrich-Wilhelms-Universität zeichnet er die Entwicklung der Wissenschaftsstadt Berlin mit ihren Höhen und Tiefen nach.

Bis heute ist die Haltung der Berliner Politiker zu ihren Hochschulen ambivalent. Die viel beklagte Unterfinanzierung der Berliner Universität begann mit ihrer Gründung. So mussten die frühen Dozenten auf eigene Kosten Bücher oder naturwissenschaftliche Apparaturen anschaffen. Erst 1831 erhielt die Universität eine eigene Bibliothek, in der „Kommode“ auf dem heutigen Bebelplatz.

Glaubt man dem Philosophiestudenten Ludwig Feuerbach, der sich nach seiner Einschreibung 1824 von einem Bewunderer des großen Philosophen Hegel zu einem Kritiker wandelte, war es keineswegs ein Spaß, in Berlin zu studieren: „An Trinkgelage, an Duelle, an gemeinschaftliche Fahrten ist hier gar nicht zu denken; auf keiner anderen Universität herrscht wohl solch allgemeiner Fleiß, solches Streben nach Wissenschaft, solche Ruhe und Stille wie hier. Wahre Kneipen sind andere Universitäten gegen das hiesige Arbeitshaus.“ Als Vater dieses asketischen Geistes kann der Philosoph Gottlieb Fichte gelten. In seiner Antrittsrede als Dekan im Oktober 1811 klagte er, die studentischen Verbindungen würden mit dem Zwang des Trinkcomments und des Duellwesens „eine unerhörte Tyrannei über Lehrer und Schüler aufrichten wollen und damit den eigentlichen Beruf des Studierenden, das Studium selbst, zerstören“.

Doch die Studenten, die damals in kleinen Gruppen von 20 Hörern bei Koryphäen der deutschen Geistesgeschichte studierten, lebten in engem Kontakt zu den Geistesgrößen. Und gelegentlich wurde dann doch gefeiert. Im Mai 1819 etwa trafen sich 86 Studenten auf dem Pichelsberg an der Havel mit ihren Dozenten Friedrich Schleiermacher, Wilhelm Martin Leberecht de Wette und Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Sicher wurde auch philosophiert und über Theologie gesprochen. Überliefert ist jedoch, dass die gelehrte Gesellschaft 175 Flaschen Rheinwein konsumierte.

Die große Politik erfasste früh auch die Studentenschaft, trotz der angeblichen Politikferne der studentischen Verbindungen. Schon die erste Generation ließ sich zu den Waffen rufen. Im Gründungsjahr 1810 waren 256 Studenten in Berlin eingeschrieben. Während des Befreiungskrieges gegen Napoleon organisierte Turnvater Ludwig Jahn die körperliche Ertüchtigung der akademischen Jugend für den Kriegseinsatz. Zur Landwehr meldeten sich so viele Studenten, dass 1813/14 nur 28 Studierende am regelmäßigen Universitätsleben teilnahmen. Während der Märzrevolution von 1848 rüsteten sich Studenten mit den Waffen aus, die sie auf dem Fechtboden der Universität fanden und beteiligten sich am Barrikadenbau. Unter Leitung des Rektors der Universität wurde ein 300 Mann starkes Studentenkorps gebildet. Und das Erinnerungsfest für die Märzgefallenen ist ebenfalls von revolutionär-demokratischen Studenten initiiert worden.

Schon 1869 versuchten die Studierenden den ersten Ausschuss der Berliner Studentenschaft zu bilden. Ein Jahr später wurde er vom Akademischen Senat verboten. Es sollte noch bis zum Jahr 1920 dauern, bis durch eine preußische Verordnung Studenten den ersten Allgemeinen Studentenausschuss (Asta) bilden konnten. Leider dominierten in den letzten Jahren der Weimarer Republik nationalsozialistische Studenten und Angehörige der konservativen Verbindungen die Berliner Studentenschaft.

Da die Nationalsozialisten gegen zu viele Intellektuelle in der Gesellschaft waren, gingen auch die Studentenzahlen zurück. Zum Zeitpunkt der Weltwirtschaftskrise waren an der Berliner Alma Mater 12 500 Studenten immatrikuliert, unter ihnen 1950 Ausländer und 2900 Frauen. Aber nach 1933 – nach der Bücherverbrennung durch nationalsozialistische und konservative national denkende Studenten – folgte der Aderlass: Ein Drittel des Lehrpersonals wurde entlassen. In Berlin ging die Zahl der Studierenden auf 8420 zurück, von denen 1450 in nationalsozialistischen Kameradschaften organisiert waren. Das Studium von Frauen war nicht mehr erwünscht.

Zschoke hat viele Details zusammengetragen. Von den Regeln der Mensuren über die Preise für Erbsensuppe und Brot in den Studentenkneipen – bis hin zu einem Ausspruch von Bundespräsident Theodor Heuss, der im Wintersemester 1903/04 Unter den Linden studierte. Über die Berliner Universität sagte er: „Sie hat mir, so glanzvoll sie in ihrem Lehrkörper war, nicht viel gegeben, was nicht an ihr, sondern an mir lag.“

Helmut Zschocke: Im alten Berliner Studentenviertel. Peter Lang Internationaler Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2012. 193 Seiten, 102 Bilder, 4 Tabellen. 19,80 Euro.

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