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Auf nach Berlin. Etliche US-Unis haben Filialen in Berlin.

© AP

US-Studenten: Berliner Campus, amerikanische Disziplin

Kreuzberger Nächte, wildes Leben in der WG? Diese Seiten des Großstadtlebens lernen junge Amerikaner, die für ein Semester nach Berlin kommen, kaum kennen. US-Eliteunis behüten ihre Studierenden im Auslandsstudium und schreiben ein straffes Programm vor.

Wenn das keine Erfolgsgeschichte ist: Als Thomas Silvers vor elf Monaten nach Berlin kam, konnte er kaum einen Kaffee bestellen. Im Laufe des Jahres machte er mehrere Deutsch-Intensivkurse, belegte zwei Seminare auf Englisch, besuchte Prag und Weimar, reiste zum jüdischen Chanukkafest heim nach New York und fing im Januar ein sechsmonatiges Praktikum in einer Firma für Zellforschung in Adlershof an. Im Sommersemester studierte er nebenbei Biochemie und Organische Chemie an der Technischen Universität (TU), diesmal auf Deutsch. Soeben hat er den Sprachtest gemacht, der zum Vollstudium in Deutschland befähigt. Jetzt sitzt er im Cafe am Neuen See – Brille, Krawatte, hohe Stirn – und weigert sich, ein Wort Englisch zu sprechen.

Es ist allgemeiner Abschiedsabend beim „Duke in Berlin“-Programm, einer Art ständiger Vertretung der amerikanischen Privatuniversität in Berlin. Wie andere Unis auch (etwa Stanford und die University of California) leistet sich Duke ein Team vor Ort, das sich ganzjährig um den Aufenthalt von Studierenden wie Silvers kümmert. Ziel ist es, sie möglichst stark in den Betrieb der Berliner Universitäten einzubinden und gleichzeitig die Anforderungen der amerikanischen Unis zu erfüllen, die vor allem angehende Germanisten und Ingenieure schicken.

Die Monate in Deutschland werden Silvers voll angerechnet. Weil sich das deutsche so stark vom amerikanischen Universitätssystem unterscheidet, haben die Berliner Vertretungen ein „study abroad“-Programm ausgetüftelt, das Studierenden einen nahtlosen Übergang von dort nach hier und zurück erlaubt. Franziska Fiebrich, die an der Freien Universität gerade 55 Studenten der University of California (UC) betreut, wird in den kommenden Wochen jeden einzelnen Kurs, den ihre Studenten belegen, in die UC-Koordinaten umrechnen. Bei Duke ist aus dem gleichen Grund das Berlin-Studium streng durchgetaktet. Von der Gastfamilie bis zum Theaterbesuch wird hier nichts dem Zufall überlassen.

Thomas Silvers ist 21 Jahre alt. Im Sprachtest erwartet er die Bestnote, wie die meisten hier am Tisch. Die Organisatoren sind stolz darauf, dass ihre Schützlinge oft überdurchschnittlich abschneiden, aber Zufall ist das nicht. Silvers ist ein straffes Arbeitspensum gewöhnt. In Berlin ist er, um zu studieren und zu arbeiten, nicht um ein halbes Jahr lang den Eigenheiten deutscher Bibliotheken ausgesetzt zu sein und ein Kreuzberger WG-Leben zu führen. Um an „Duke in Berlin“ teilnehmen zu können, hat er mehrere Bewerbungsstufen gemeistert, gemeinsam mit Studenten aus Harvard und Cornell, die Duke ebenfalls als Anlaufstelle nutzen.

Dass mehrere Universitäten sich zusammentun, um ihre Studenten nach Berlin zu schicken, hat mit zwei widersprüchlichen Entwicklungen zu tun. Einerseits schrumpft die Attraktivität der deutschen Sprache in den USA. „Wir konkurrieren jetzt mit Spanisch und Chinesisch“, sagt Jochen Wohlfeil, der den Duke-Zweig Ende der 1980er Jahre mit damals sechs Studenten eröffnet hat. Obwohl das Programm familiär bleiben soll, fliegt Wohlfeil im Herbst in die USA, um Werbung für den Standort zu machen.

Ein Semester in Berlin kostet 25 000 Dollar

Exklusive Einblicke. Auch an den Berliner Universitäten besuchen die Gäste aus den USA Kurse, hier an der Humboldt-Uni.
Exklusive Einblicke. Auch an den Berliner Universitäten besuchen die Gäste aus den USA Kurse, hier an der Humboldt-Uni.

© Susanne Cholodnicki

Andererseits arbeiten amerikanische Universitäten daran, ihre Studenten für den internationalen Markt vorzubereiten. Immer wieder fällt das Stichwort „Globalisierungsdruck“. Das Vokabular, mit dem sie hier hantieren, ist ohnehin recht ökonomisch eingefärbt. Obwohl ein Auslandsaufenthalt noch teurer ist als ein Studium auf amerikanischem Boden, heißt es auf der Webseite des American Institute for Foreign Study (AISF), dass man es sich es heute „nicht mehr leisten“ könne, nicht ins Ausland zu gehen. Weil die Planung eines solchen Aufenthalt zeitraubend ist, bieten die Unis ihren Studenten einen Rundum-Service an. Die Berliner New York University (NYU) betreibt für diese Zwecke ein Wohnheim und bietet fast alle Seminare auf Englisch an.

In Deutschland, wo Eigenaufwand und kulturelle Reibungen als Teil der Auslandserfahrung gelten, werden solche „Inselprogramme“, wie die amerikanischen Außenstellen traditionell heißen, gerne belächelt. Das Heer von Betreuern (manchmal fliegen gar die eigenen Professoren mit), diese unbedingte Vereinbarkeit: Keiner versteht so recht, warum jemand derart abgeschirmt ein Jahr im Ausland verbringen möchte. Dass man 25 000 Dollar für ein Universitätssemester zahlt wie in Duke, kann sich hierzulande aber auch niemand vorstellen.

Robin Curtis, die bis zum Frühjahr Filmkurse an der NYU in Berlin gegeben hat, kennt die deutsche Kritik gut. Den amerikanischen Isolationismus in Berlin findet sie nicht unproblematisch, aber sie schätzt auch die Vorteile der Inseln. Die Kanadierin ist 1986 auf eigene Faust nach Berlin gekommen, um Germanistik zu studieren. „Klar, durch das ganze Organisieren habe ich richtig Deutsch gelernt“, sagt sie. Aber weil sie alles selbst besorgen musste – von der Aufenthaltsgenehmigung bis zur Immatrikulation –, hat sie im ersten halben Jahr „praktisch gar nicht studiert“.

NYU, Duke und vor allem die UC haben auf die Kritik reagiert und bieten auch Kurse an den Berliner Unis an. Curtis sagt aber auch, dass die „study abroad“-Programme ein Betreuungsverhältnis böten, „von dem deutsche Unis nur träumen können“. Wenn sie mit ihrem Kurs den Heimatbegriff im deutschen Film besprach, hörten ihr 15 Studenten zu, aufmerksam, diskussionsfreudig. „Oxford-Verhältnisse.“

Betreuung bedeutet auch, dass ein Mathekurs geschaffen wird, wenn ein Student noch ein paar Punkte in Mathe braucht. Curtis weiß von einem Kollegen, der einen einzigen Studenten unterrichtet – eine großartige Erfahrung, auch für den Wissenschaftler. Ähnlich war es bei Thomas Silvers, dem letzten Herbst auffiel, dass er noch ein Praktikum brauchte. Beim Abschiedsessen (Flammkuchen und Kartoffelsuppe) erzählt er, dass Jochen Wohlfeil einen einzigen Anruf brauchte, um ihm die Stelle in Adlershof zu besorgen.

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