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© AFP

US-Wahl:: Wissenschaft an die Macht

Vor allem Barack Obama verspricht der Forschung viel - und bekommt von ihr Applaus.

Wer soll die USA führen? Zu dieser Frage haben viele Wissenschaftler des Landes eine eindeutige Meinung. Kurz vor der ersten Fernsehdebatte zwischen den US-Präsidentschaftskandidaten Barack Obama und John McCain veröffentlichten 61 amerikanische Nobelpreisträger einen offenen Brief. „Das Land braucht dringend einen visionären Führer, der die Zukunft unserer traditionellen Stärken in Naturwissenschaft und Technik sicherstellen kann“, heißt es darin. Physik-Nobelpreisträger Philip Anderson, einer der Unterzeichner, stellt klar: „Wir wählen Obama, ist doch logisch.“

Das Plädoyer der Nobelpreisträger für den Demokraten Obama ist vor allem das Verdienst des Republikaners George W. Bush. Nie zuvor in der amerikanischen Geschichte hat ein Präsident die Wissenschaftler so sehr gegen sich aufgebracht wie er. Viele Forscher glauben, dass Bush und die seinen einen regelrechten Krieg gegen die Wissenschaft geführt haben und strafen ihn dafür mit Verachtung.

Stiegen in den ersten Jahren der Ära Bush noch die Forschungsbudgets, ist seit etlichen Jahren eine Stagnation oder sogar ein Rückgang zu verzeichnen. Bush zögerte die Bekämpfung des Klimawandels heraus und versuchte Klimaforscher zu zensieren, er blockierte die Forschung an embryonalen Stammzellen nach Kräften, unterstützte Vertreter des „Intelligent Designs“, die die Evolutionstheorie ablehnen, und schränkte die Gesundheitsforschung ein. Sein wissenschaftlicher Berater, der Physiker John Marburger, durfte nur noch am Katzentisch des Kabinetts Platz nehmen. Für manche Gelehrte roch das alles nach Sabotage der Wissenschaft.

Forschung, Wissenschaft und Technik sind in den USA kein großes Wahlkampfthema, erst recht nicht angesichts der globalen Finanzkrise. Aber unwichtig sind sie deshalb nicht. Die USA sind immer noch die mit Abstand führende Wissenschafts- und Technologienation. Amerika ist noch immer der Ort des Neuen. Doch viele treibt die Befürchtung um, dass China und Indien Amerika ein- und überholen könnten.

Das Selbstbewusstsein der US-Forscher hat Risse bekommen. Aus ihrer Sicht geht es nun vor allem um zwei Dinge: Das Wiederherstellen einer glaubwürdigen Wissenschaftspolitik und kräftige Investitionen, um den Spitzenplatz Amerikas als Labor und Denkfabrik der Welt sicherzustellen.

Das größte Herz für die Wissenschaft hatte Hillary Clinton, die sich bei den Vorwahlen gegen Obama geschlagen geben musste. Clinton versprach ein goldenes Zeitalter von Bildung und Wissenschaft mit stark steigenden Etats und einen Schwerpunkt in der Energieforschung. Nach Clintons Niederlage wechselten viele ihrer Berater zu Obama, der bis dahin in der Forschungspolitik wenig hervorgetreten war.

Profiliertester Kopf im Obama-Wissenschaftsteam ist der Medizin-Nobelpreisträger Harold Varmus (68), der als Chef der Nationalen Gesundheitsinstitute der USA hervorragende Arbeit leistete und sich für Wissenschaft in Entwicklungsländern und den freien Zugang zu Wissen („open access“) einsetzt. Varmus leitet heute das New Yorker Memorial Sloan-Kettering-Krebszentrum, er könnte unter Obama als Wissenschaftsberater ins Weiße Haus einziehen.

Das Wissenschaftsmilieu ist überwiegend linksliberal geprägt – und so ist es nicht überraschend, dass die Berater des Konservativen John McCain eher aus Unternehmen und der Politik als aus der akademischen Welt kommen. Vor allem die Bedeutung des Klimawandels hat McCain aber früh betont und sich darin deutlich von seinem Parteifreund Bush abgesetzt. Mit seinem Versuch, ein Gesetz zur Senkung des Kohlendioxidausstoßes durchzusetzen, scheiterte er jedoch drei Mal im Senat.

McCain werde die „Glaubwürdigkeit und Transparenz“ der Regierung wiederherstellen, sagt sein Sprecher Douglas Holtz-Eakin. Die Wissenschaft soll wieder Gehör finden. Aber mit der Ernennung von Sarah Palin zur Kandidatin für das Amt des Vizepräsidenten dürfte sich McCain viele Sympathien unter den Forschern verspielt haben. Palin möchte, dass Kreationismus in der Schule unterrichtet wird, sie lehnt Forschung an embryonalen Stammzellen ab und will in Alaska nach Öl bohren lassen.

„Obama hat Tausende von Beratern, McCain zwei Typen und einen Hund“, zitiert das Wissenschaftsmagazin „Science“ einen anonymen Forschungslobbyisten. Der unterschiedliche Stil der Kandidaten wird auch in den Antworten deutlich, die sie „Science Debate 2008“ gegeben haben, einer Koalition wissenschaftlicher Organisationen (www.sciencedebate2008.org):

Innovation: Das Budget der Grundlagenforschung soll in den nächsten zehn Jahren verdoppelt werden, fordert Obama. Schon in der Schule will er das Interesse an Technik, Naturwissenschaft und Mathematik fördern und 30 000 neue Lehrer in diesen Fächern an bedürftige Schulen schicken. McCain setzt eher auf privaten Unternehmergeist und Steuersenkungen.

Klimawandel: Beide Politiker betonen, dass rasch gehandelt werden muss und befürworten einen marktwirtschaftlichen Emissionshandel mit Treibhausgasen. Obama möchte die Klimagase bis 2050 um 80 Prozent senken, gemessen am Level von 1990, McCain um 60 Prozent.

Energie: Obama will die Energieforschung in den nächsten zehn Jahren mit 150 Milliarden Dollar unterstützen, McCain bis 2030 45 neue Kernkraftwerke bauen. Eine Technik, die Obama nicht ablehnt, doch stellt er die regenerative Energie in den Vordergrund. Vor der Küste nach Öl bohren wollen beide.

Stammzellen: Die von Bush verfügte Blockade der Fördermittel für die Forschung an embryonalen Stammzellen möchte Obama aufheben. McCains Ankündigungen sind vage.

Raumfahrt: Obama betont die Bedeutung der Raumfahrt für das Leben auf der Erde und die Umwelt. McCain sieht in der Raumfahrt eine seiner klaren Prioritäten. Astronauten im Weltraum sind für ihn eine Frage „nationaler Macht und nationalen Stolzes“. Die von Zukunftssorgen geplagte Weltraumbehörde NASA sitzt in Florida, einem jener Bundesstaaten, die als wankelmütige „swing states“ bei der Wahl entscheidend sein können.

Forschungsförderung: Barack Obama verspricht den großen Wissenschaftsorganisationen viel Geld. Nicht nur will er den Etat für Natur- und Ingenieurwissenschaften in den nächsten zehn Jahren verdoppeln. Er will zudem die Mittel für die Nationalen Gesundheitsinstitute in fünf Jahren verdoppeln – diese betragen zur Zeit rund 30 Milliarden Dollar jährlich. Die Nationale Wissenschaftsstiftung (Jahresbudget sechs Milliarden Dollar) und das Wissenschaftsprogramm des Energieministeriums sollen binnen sieben Jahren das Doppelte bekommen.

Auch McCain gelobt, die Forschung zu unterstützen, bleibt aber deutlich zurückhaltender und nennt keine harten Zahlen. Wer weniger verspricht, muss, wenn es am Ende hart auf hart kommt, auch weniger zurücknehmen.

Unwägbarkeiten wie die wirtschaftliche und finanzielle Lage können die Zukunft der US-Forschung beeinträchtigen. Beim Kampf um Geld und Prioritäten kommt es deshalb nach Meinung vieler Beobachter umso mehr darauf an, dass der künftige Wissenschaftsberater des Präsidenten stark genug ist, um die Fahne der Forschung hochzuhalten. Bushs „Krieg gegen die Wissenschaft“ ist dann in jedem Fall Vergangenheit.

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