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Pilz, Alge, Hefepilz. Die Flechte Letharia vulpina.

© Tim Wheeler

Verflochtene Lebensgemeinschaften: In Flechten sind manchmal drei Arten vereint

Von wegen Symbiose aus Pilz und Alge - bei Flechten ist offenbar noch ein Dritter im Spiel. Das zeigen Analysen von Flechten in Nordamerika.

Die Lehrbücher der Biologie müssen wieder einmal umgeschrieben werden. Simon Schwendener, Direktor des Botanischen Gartens in Basel, hatte 1867 entdeckt, dass sich Pilze und Algen seit Urzeiten in allen „Flechten“ genannten Organismen zu einer sehr erfolgreichen und unzertrennlichen Kooperation zusammengetan haben. Seine Kollegen hatten anfangs starke Zweifel, inzwischen ist die Beobachtung anerkannt und hat fast 150 Jahre später den Rang eines Dogmas.

Allerdings übersah man einen weiteren Teilnehmer. Toby Spribille von der Universität Graz und sein Team entdeckten einen Hefepilz aus der Ordnung Cyphobasidiales als dritte, lebenswichtige Komponente in verschiedenen Flechten, wie sie im Fachblatt „Science“ berichten.

Braun - essbar, gelb- giftig

„Wir wollten nur untersuchen, warum eine bestimmte Flechte in den USA gelb gefärbt ist und die für Säugetiere giftige Vulpinsäure produziert, während ein naher Verwandter dunkelbraun und ungiftig ist“, sagt der Mitautor Philipp Resl von der Uni Graz. Beide Flechten wachsen im Nordwesten der USA und die Ureinwohner dieser Region kannten die Unterschiede zwischen ihnen durchaus. Flechten standen häufiger auf dem Speiseplan der Indianer und die braune Flechte Bryoria fremontii sammelten sie gern. Die gelbe Schwesterart Bryoria tortuosa kannten sie dagegen als giftig.

Als die Forscher die Flechten analysierten, fanden sie zunächst keinen Unterschied. Beide bestanden aus dem gleichen Pilz, in dessen Gewebe die gleiche Alge eingebettet ist. In dieser Lebensgemeinschaft stellt die Alge aus Kohlendioxid und Wasser mit Sonnenlicht Zucker her, der wiederum als Energiespeicher und Rohstoff für beide lebensnotwendig ist. Der Pilz stellt die schützende Hülle zur Verfügung und versorgt beide mit Spurenelementen.

Nach dem Muster „Pilz mit eingebetteter Alge“ funktionieren alle Flechten, wissen Biologen seit 1867. Weshalb aber strahlt dann eine der beiden Flechten leuchtend gelb und produziert die giftige Vulpinsäure, während die andere braun und essbar ist? Irgendetwas musste offensichtlich anders sein. Nur was? „Um das herauszubekommen, untersuchten wir die gesamte Boten-RNS, die beide Flechten produzieren“, sagt Resl.

Hefepilz im Spiel

Die Boten-RNS ist eine Abschrift eines Erbgutabschnitts, der eine exakte Anleitung zur Produktion von Proteinen enthält. Da jede Zelle verschiedene Proteine herstellt, erhielten die Forscher einen großen Wust von Boten-RNS. Deren genaue Analyse aber brachte eine Überraschung: Etliche Boten-RNS-Stücke passten weder zum bekannten Pilz noch zur Alge. Sie stammte vielmehr von einem Hefepilz aus der Ordnung Cyphobasidiales, zeigte eine Datenbank-Analyse.

„Zunächst hatten wir erhebliche Zweifel an diesem Ergebnis und tüftelten immer neue Experimente aus, um den Fund zu bestätigen“, erinnert sich Resl. Das Ergebnis aber war immer gleich. In der gelben Flechte Bryoria tortuosa leben nicht nur wie bisher angenommen ein Pilz und eine Alge zusammen, sondern als dritter Partner ein Hefepilz. Noch war der Befund ein Einzelfall. Die Forscher untersuchten daher weitere Flechten aus allen Kontinenten. Und fanden die Hefe als dritten Partner tatsächlich in rund drei Viertel der Parmeliaceae-Flechten-Familie, zu der viele Flechten-Arten gehören.

Das Dogma von einem Pilz und einer Alge, die eine Zweckgemeinschaft namens Flechte bilden, muss daher um einen dritten Partner erweitert werden. Zusätzlich kommen auch noch Hefepilze in Flechten vor, die gemeinsam mit ihren Partnern Phänomene wie die Vulpinsäure erklären.

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