zum Hauptinhalt

Wissen: Vergesst die Nationale Akademie

Forscher diskutierten in Berlin, wie gut sich die Politik beraten lässt – die Leopoldina wurde ignoriert

Wie soll die Wissenschaft die Politik beraten? Über dieses Thema streiten sich die Experten in Deutschland seit Jahrzehnten. Aber eigentlich ist alles entschieden: Die Ministerien holen sich die Experten aus der Wissenschaft, der Bund finanziert in großem Maßstab Ressortforschung und hat gemeinsam mit den Ländern Gremien wie den Wissenschaftsrat oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft zur Beratung in der Wissenschaftspolitik und der Forschung zur Verfügung. Und nun gibt es auch noch die Nationale Akademie in Gestalt der Leopoldina mit Partnern wie der Acatech der Ingenieure und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Scheinbar aber gibt des noch immer einen grundsätzlichen Klärungsbedarf. Denn die Union der deutschen Akademien der Wissenschaft veranstaltete mit ihrem Präsidenten Günter Stock als Moderator eine Podiumsdiskussion, auf der verkündet wurde: Politikberatung sei für junge Wissenschaftler „igittigitt“. Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, Jutta Allmendinger, begründete das damit, dass junge Wissenschaftler mit Politikberatung keine Karriere machen könnten, sondern nur über Veröffentlichungen in renommierten Zeitschriften ihre Berufung auf eine Professur vorbereiteten. Dem widersprach Ernst Rietschel, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, entschieden: Für die Leibniz-Institute sei Politikberatung Teil der Strategie. Der Präsident der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Peter Graf Kielmansegg, steuerte grundsätzliche Erkenntnisse bei, die schon oft formuliert worden sind: „Wissenschaft unterscheidet zwischen richtig und falsch und ermittelt vorläufige Wahrheiten.“

Interessanter wurde es, als die WZB-Chefin erklärte, dass die Wissenschaft Erkenntnisse vorlege, die häufig nicht in ein aktuelles politisches Programm passten. Sie nannte als Beispiele Hinweise auf die Bildungsarmut oder schon vor 20 Jahren veröffentlichte Erkenntnisse, wonach zentrale Probleme der deutschen Politik der Zukunft im demografischen Wandel und in den Fragen der Migration lägen. Zwischen diesen Erkenntnissen und dem Aufgreifen durch die Politik hätten mehr als vier Legislaturperioden gelegen.

Als Beispiel gelungener Politikberatung nannte Graf Kielmansegg den Wissenschaftsrat: Er sei deswegen so erfolgreich, weil Wissenschaftler und Politiker zusammenwirken müssten, wenn eine Empfehlung zustande kommen solle. Negativ wertete Kielmansegg die Enquetekommission des Bundestages. Dort könne jede Partei die zur Beratung einzuladenden Wissenschaftler nach Quoten vorschlagen. Im Grunde genommen wisse man aber schon im Voraus, welchen Rat diese Quotenwissenschaftler erteilen würden.

Die Diskussion litt unter einem Mangel: Kein Politiker war auf dem Podium vertreten, nachdem Wissenschaftsstaatssekretär Frieder Meyer-Krahmer im letzten Augenblick abgesagt hatte. Und noch etwas fiel auf: Über die Rolle der Leopoldina als Nationaler Akademie wurde nicht gesprochen, obwohl der Diskussionsleiter Günter Stock mehrfach die Frage nach den Institutionen der Politikberatung stellte. Weder Allmendinger, die der Leopoldina angehört, noch Graf Kielmansegg waren aus der Reserve zu locken. Von Kielmansegg weiß man zumindest, dass er als Vertreter der Union der deutschen Akademien der Wissenschaft das Gegenkonzept zur Leopoldina propagiert hatte: einen riesigen Wissenschaftskonvent mit 120 Mitgliedern. Die Politiker von Bund und Ländern hatten diesen Vorschlag verworfen.

Dafür gab es überzeugende Gründe: Die führenden Wirtschaftsnationen waren dazu übergegangen, vor den G-8-Sitzungen den Rat der großen Wissenschaftsakademien in Asien, Amerika und Europa einzuholen. Als deutsche Stimme der Wissenschaft war die Leopoldina in diesen Kreis aufgenommen worden. Das wiederum war der entscheidende Schritt zu ihrer Kür als Nationale Akademie im vergangenen Jahr – mit der zentralen Aufgabe der Politik- und Gesellschaftsberatung. An der Berlin-Brandenburgischen Akademie, die den Rang der Nationalakademie einst selber beanspruchte und nun bloß Juniorpartnerin ist, war die neue Rolle der Leopoldina nicht der Rede wert. Uwe Schlicht

Uwe SchlichtD

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false