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Verhalten: Bakterien „können lernen“

Kolonien entwickeln sich, um sich Veränderungen in ihrer Umgebung anzupassen.

Das simple Leben von Bakterien ist etwas weniger simpel als man vielleicht gedacht hat. Neue Forschung hat ergeben, dass Escherichia-coli-Kolonien eine Form des Lernens zeigen können.

Diese Bakterienkolonien können die Fähigkeit entwickeln, Veränderungen in ihrem unmittelbaren Umfeld zu antizipieren, sagen Wissenschaftler unter der Leitung von Saeed Tavazoie von der Princeton University in New Jersey. Andere Bakterienarten sind dazu ebenfalls in der Lage. Diese Fertigkeit kann ihnen einen Vorteil gegenüber Bakterien verschaffen, die sich geradeso an die gegebenen Bedingungen anpassen können.

E.-coli-Kolonien zum Beispiel können die Fähigkeit entwickeln, höhere Temperaturen (wie sie zum Beispiel im Mund von Menschen herrschen) mit einem Mangel an Sauerstoff zu assoziieren (wie er in den menschlichen Organen gegeben ist). Werden sie erhöhten Temperaturen ausgesetzt, verändern sie ihren Stoffwechsel, um sich geringeren Sauerstoffwerten anzupassen. Die Ergebnisse wurden online in Science (1) publiziert.

Ihre Reaktion ist ähnlich der erstmals von Pawlow durchgeführten Konditionierung, bei der Hunde, die gelernt hatten, einen Glockenton mit Futter zu assoziieren, auf den Glockenton hin mit vermehrtem Speichelfluss reagierten.

Lernen durch Assoziation

Dieses Ergebnis ist unerwartet, sagt Tavazoie. "Solange Menschen das Verhalten von Bakterien studiert haben, sind sie davon ausgegangen, dass ihre Reaktion auf äußere Reize nach einem Aktions-Reaktions-Muster abläuft", erklärt er. Dieses Konzept, auch als Homöostase oder Selbstregulation bezeichnet, hat seit einem Jahrhundert vorgeherrscht, merkt er an.

"Wir haben entdeckt, dass Homöostase nicht die ganze Geschichte ist", fügt Tavazoie hinzu. Bakterien können lernen, in einer Weise zu reagieren, die sehr viel komplexer ist als eine simple Reaktion auf gegebene Bedingungen; sie können künftige Bedingungen antizipieren.

Es ist der erste Beleg, dass Bakterien zu "assoziativem Lernen" fähig sind, fügt Tavazoie hinzu. Das heißt natürlich nicht, dass einzellige Organismen in derselben Weise lernen wie Hunde oder Menschen.

"Assoziatives Lernen bei Hunden und Menschen passiert während der Lebenszeit des Individuums und beinhaltet Modifikationen der Stärke der Verbindung zwischen Neuronen im Gehirn", erklärt Tavazoie. "Das Lernen, das wir bei Bakterien entdeckt haben, erfolgt über einen langen evolutionären Zeitraum und geht mit Veränderungen in den Verbindungen von Gennetzwerken einher."

Modelverhalten

Tavazoies Team machte die Entdeckung, indem sie zunächst Computersimulationen einsetzten, um ein Model der Evolution der Bakterien zu erstellen und zu sehen, ob es ihnen möglich ist, antizipatorisches Verhalten zu entwickeln.

Nachdem sie entdeckt hatten, dass dies tatsächlich möglich schien, wandten sie sich lebenden E. coli zu, um zu sehen, ob sie im Labor Lernfähigkeiten zeigen könnten. Sie trainierten E. coli in Petrischalen, indem sie sie von 25° C in eine Umgebung mit 37° C brachten und anschließend den Sauerstoffgehalt von 20% auf Null herunter regulierten. Das Team beobachtete die Reaktionen über hunderte von Generationen. Nach ein paar Wochen hatte das Bakterium "gelernt", sich an den Sauerstoffabfall anzupassen, indem es seinen Stoffwechsel direkt nach dem Temperaturwechsel veränderte.

Die neuen Forschungen könnten ebenso Auswirkungen auf den Umgang mit mikrobiellen Infektionen und Medikamentenresistenzen haben wie auf industrielle Prozesse, etwa Brauen, meint Tavazoie.

(1) Tagkopoulos, I. , Liu, Y.-C. & Tavazoie, S. Science advanced online publication, doi:10.1126/science.1154456 (2008).

Dieser Artikel wurde erstmals am 8.5.2008 bei news@nature.com veröffentlicht. doi: 10.1038/news.2007.360. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Michael Hopkin

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