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Schwerer Neustart. Bei ihrer Entlassung aus den Behandlungszentrum, ahnten die Überlebenden nicht, was noch auf sie zukommt.

© AFP

Viren-Verstecke in den Augen und Hoden: Ebola lässt die Überlebenden nicht los

Manche können kaum laufen, andere verlieren ihr Augenlicht oder hören nur noch schwer: Viele Überlebende der Ebola-Epidemie leiden nicht nur an psychologischen, sondern auch an körperlichen Spätfolgen.

Als Ian Crozier Sehstörungen im linken Auge bekam, dachte niemand mehr an Ebola. Schließlich war der 44-jährige Arzt bereits zwei Monate zuvor als geheilt aus der Sonderisolierstation der Emory-Universität in Atlanta entlassen worden – sein Blut war seitdem frei von dem Virus. Vermutlich ist das Immunsystem am Boden, meinten seine Ärzte. Irgendein anderer Erreger könnte es geschafft haben, ins Augeninnere einzudringen. Crozier ertrug helles Licht kaum noch, das Auge pochte vor Schmerzen. Seine Sehkraft schwand jeden Tag etwas mehr. Er hatte Angst, völlig zu erblinden.

In seinem Auge wimmelte es vor Ebola-Viren

Der Augenarzt Steven Yeh wollte wissen, mit welcher Mikrobe er es zu tun hatte, berichtete sein Team kürzlich im „New England Journal of Medicine“. Routiniert zog er einfache Handschuhe, Schürze und Mundschutz an, dann punktierte er mit einer haarfeinen Nadel Croziers Augenvorderkammer und entnahm einige Tropfen Flüssigkeit. Die Probe ging an ein Labor, das die Betreuung ehemaliger Ebola-Patienten übernommen hatte. Das Ergebnis war ein Schock. In Croziers Auge wimmelte es nur so vor Ebola-Viren. Für den Mediziner, der sich als Notfallhelfer in Sierra Leone infiziert und die Erkrankung nur knapp überlebt hatte, war das wie ein Angriff aus dem Hinterhalt. Seine Ärzte sperrten derweil eilig den Untersuchungsraum ab und desinfizierten jede Oberfläche gründlich.

Tausende Kilometer entfernt hatte Maria Barstch Sprechstunde, in einer kleinen Klinik für Ebola-Überlebende in Freetown, Sierra Leone, die „Ärzte ohne Grenzen“ betreibt. Ein Junge saß ihr gegenüber, er wirkte kaum älter als elf Jahre. Tatsächlich war er 15, seine Akte sah aus wie die vieler anderer Überlebender: Augenentzündungen, juckende Haut, extreme Schwäche, Schmerzen. Bevor er seine Mutter an Ebola verlor und sich selbst infizierte, hatte er noch nie einen Arzt gesehen. Seit er als geheilt entlassen wurde, kommt Mamadou jede Woche zu Dr. Maria. Die Kontrolle ist wichtig, um dauerhafte Schäden zu vermeiden.

Was Crozier und Mamadou gleichermaßen plagt, hat inzwischen den Namen „Post-Ebola-Syndrom“. Unter den mehr als 13 000 Überlebenden in Guinea, Liberia und Sierra Leone sind solche Spätfolgen keine Seltenheit, berichteten Anders Nordström von der WHO in Sierra Leone und Daniel Bausch, Infektiologe von der Tulane-Universität und WHO-Berater nach einer einwöchigen Konferenz in Freetown. Nach ersten Schätzungen klagen etwa die Hälfte über heftige Schmerzen in den Gelenken, die sie arbeitsunfähig machen und ans Haus fesseln können. Etwa ein Viertel hat Sehstörungen, teilweise ist ein Auge akut entzündet (Uveitis). Untherapiert kann das zur Erblindung führen. Viele fühlen sich monatelang extrem schwach und können sich nicht konzentrieren. Sie haben Ausschläge, Kopf- und Gliederschmerzen, sie hören schlecht oder sind sogar auf einem Ohr taub. Hinzu kommen psychologische Leiden wie Depression und posttraumatische Belastungsstörung sowie soziale Ausgrenzung und Armut.

Virusreservoir in Augen, Hoden und Plazenta

Wie die körperlichen Spätfolgen entstehen und wie lange sie anhalten, ist unbekannt. „Es gab noch nie derart viele Überlebende“, sagt Nordström. Beobachtungen zufolge treffen sie vor allem jene, deren Erkrankung besonders schwer verlief. Sicher ist dagegen: Das Virus kann sich nach der Heilung in einigen Ecken des Körpers verstecken, die das Immunsystem nicht oder nur schlecht erreicht. Das Innere des Auges ist ein Beispiel, ebenso wie die Hoden oder bei schwangeren Frauen die Plazenta sowie der Fötus. Ob das Gehirn und Gelenke ebenfalls betroffen sind, ist genauso unklar wie der ursächliche Zusammenhang zwischen Virus und Symptomen. Möglicherweise spielt das Immunsystem nach einiger Zeit verrückt. Oder die Schäden sind Folge der ausgestandenen Infektion.

Ein Notfall im Notfall

Solange man nicht mehr weiß, lindert die Behandlung nur die Symptome. „Besonders wichtig ist, dass wir alle Patienten mit Augenentzündungen schnell finden, um ihre Erblindung zu verhindern“, sagt Bausch. „Das ist ein Notfall im Notfall.“ In der Region gebe es nur eine Handvoll Augenärzte. Die Gesundheitsministerien versuchen derzeit, gemeinsam mit der WHO, Hilfsorganisationen und anderen Partnern mobile Augenkliniken einzurichten, die zu den Patienten kommen. Sind sie bereits erblindet, könne man höchstens die getrübte Linse durch ein Implantat ersetzen. „Eine solche Operation hat noch niemand bei Ebola-Überlebenden gemacht. In Westafrika wäre es ohnehin ein zu großes Sicherheitsrisiko“, sagt Bausch. Eine Punktion des Auges zum Nachweis des Erregers komme auch nicht infrage.

Selbst die normale Uveitis-Therapie ist ein Balanceakt, mussten die amerikanischen Ärzte bei Crozier feststellen. Denn Entzündungshemmer könnten dem Virus freie Bahn geben, sich erneut zu vermehren. Sie probierten es dennoch, in hoher Dosis. Der Augeninnendruck sank daraufhin derart, dass sich das Auge für Crozier „wie tot“ anfühlte. Er erschrak noch mehr, als er eines Morgens in den Spiegel schaute: Seine Iris war plötzlich nicht mehr blau, sondern grün.

Er hatte nichts mehr zu verlieren. Seine Ärzte spritzen ihm nun ein entzündungshemmendes Mittel direkt oberhalb des Auges. Zusätzlich bekam Crozier ein experimentelles Ebola-Mittel, von dem niemand wusste, ob es überhaupt das Auge erreicht. In den Tagen und Wochen danach verbesserte sich seine Sehkraft allmählich wieder, seine Augenfarbe kehrte zurück, das Virus wurde vertrieben. Was hatte gewirkt? Die Ärzte sind sich nicht sicher. Doch nachdem sie gesehen haben, wie ernst die Lage für die Überlebenden ist, helfen die Augenspezialisten der Emory-Universität nun in Westafrika. Eine Befürchtung konnten sie zerstreuen: Die Tränenflüssigkeit ist virusfrei.

Überlebende Männer sollten vorsichtshalber Kondome benutzen

Ebola kann dagegen übertragen werden, wenn ausnahmsweise eine schwangere Frau die Infektion überlebt und mit Wehen in eine Krankenstation kommt. Denn sowohl Plazenta als auch der tote Fötus sind voller Ebola-Viren.

Auch die Samenflüssigkeit von überlebenden Männern könnte gefährlich sein. Darin ist mindestens 284 Tage nach der Heilung Ebola-Erbgut zu finden. Die Männer werden daher aufgefordert, bis auf Weiteres Kondome zu benutzen. „Eine sexuelle Übertragung kommt offenbar selten vor. Wir wollen wissen, warum das so ist“, sagte Bausch. In allen drei Ländern gebe es dazu Studien. Vor Ort seien aber nur Tests auf Virenerbgut möglich – und das heißt nicht zwangsläufig, dass ein Mensch ansteckend ist. Lebende Viren aus der Samenflüssigkeit zu isolieren, ist technisch anspruchsvoller und nur in Hochsicherheitslaboren erlaubt. Dazu müssten die Proben verschickt werden.

Die Liste der offenen Fragen ist lang. Entsprechend groß ist das Interesse von Forschern weltweit, Zugang zu den Proben zu bekommen, die in den vergangenen Monaten gesammelt wurden und werden. „Aber die Proben gehören in erster Linie den Patienten und in zweiter Linie den betroffenen Ländern“, sagte Bausch. „Die Diskussionen, wie man sie gerecht und ethisch vertretbar nutzen kann, haben gerade erst begonnen.“

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