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Vom Tier auf den Menschen. Eine in Ghana beheimatete Fledermausart aus der Familie der Rundblattnasen gehörte zu den Säugern, die auf Virusspuren untersucht wurden.

© Nature/Florian Gloza-Rausch

Virologie: Gefährliche Artenvielfalt

Forscher haben 66 neue Viren in Fledermäusen und Nagetieren entdeckt. Darunter sind Verwandte wichtiger Viren, an denen Menschen erkranken.

Über Horrorszenarien, in denen böswillige Wissenschaftler im Labor neue Viren erschaffen, um sie als Waffe einzusetzen, kann Christian Drosten nur lächeln. „Die Natur ist der größte Bioterrorist“, sagt der Virologe vom Uniklinikum Bonn. 2003 hatte er mit einem Kollegen den ersten diagnostischen Test für das Sars-Virus entwickelt, das damals die Welt in Atem hielt. Nun hat er mit 33 anderen Wissenschaftlern aus zwölf Ländern 66 neue Viren entdeckt, berichtet er im Fachjournal „Nature Communications“. Das ist eine potenziell gefährliche Artenvielfalt, die selbst die Forscher überraschte.

„Wir wollten wissen, woher wichtige Viren kommen“, sagt Drosten. Auf der Suche nach einer Stichprobe entschieden sich die Forscher zum einen für die Familie der Paramyxoviren. Sie können unter anderem mit Mumps, Masern und Lungenentzündungen den Menschen und mit Rinderpest und Hundestaupe auch Zuchttieren gefährlich werden. Zum anderen wollten sie Säugetiere untersuchen, bei denen sich Viren besonders wohl fühlen und sich gut vermehren. „Fledermäuse und Nagetiere bilden riesige Kolonien, bei den Fledermäusen können es Sozialverbände mit bis zu einer Million Tiere sein“, sagt Drosten. „Das entspricht unseren Großstädten. Der enge Kontakt begünstigt die Ansteckung .“

Weltweit sammelten die Forscher von insgesamt 9278 Tieren von 119 Fledermaus- und Nagetierarten Blut, andere Körperflüssigkeiten, Organproben oder Kot ein. Aus den Proben isolierten sie anschließend die Viren-RNA und analysierten das Erbgut. So fand das Team 66 neue Viren. Viele von ihnen haben Verwandte, die auch den Menschen infizieren. „Dass wir in einer Stichprobe bereits solch eine Biodiversität nachweisen konnten, ist erstaunlich“, sagt Drosten. In 80 Jahren Virologie hatte man nur 36 Arten von Paramyxoviren offiziell anerkannt, etwa 25 weitere warten auf den Stempel „Art“. Nun wird in einer einzigen Studie klar, wie groß das Unwissen bisher war.

„Mit Plänen zur Ausrottung von Viren durch weltweite Impfprogramme könnte es daher Probleme geben“, sagt Drosten. Seit Ende der 70er Jahre gilt die Ausrottung der Pocken als leuchtendes Beispiel. Polio soll möglichst bald folgen. Auch Mumps steht auf der Liste der Viren, die verschwinden sollen. Die Rinderpest wurde im letzten Jahr für ausgerottet erklärt. Der Haken an der Sache: Solche Impfkampagnen gehen davon aus, dass keine weiteren Tierarten mit den Viren infiziert sind und das Virus nicht über Umwege zurückkehren kann.

Genau das ist falsch, stellte sich nun heraus. Die Forscher fanden etliche Verwandte der Rinderpest in Wildtieren. Auch Mumps ist aller Wahrscheinlichkeit nach von der Fledermaus auf den Menschen gesprungen. „Während den Menschen nur ein bestimmtes Mumpsvirus infiziert, tragen Fledermäuse die komplette Sippschaft von Mumpsviren in sich: Bruder, Tante, Großonkel und Cousine“, sagt Drosten. Würde Mumps als ausgerottet gelten, würde kein Staat weiterhin Kinder gegen die Viren impfen. Ihre Immunabwehr wäre den Erregern fortan hilflos ausgeliefert. „Was dann passieren kann, wissen wir aus der Geschichte“, sagt Drosten. „Als Kolumbus nach Amerika kam, brachte er Viren wie die Masern als Gastgeschenk mit. Die hatte es in der Neuen Welt zuvor nicht gegeben. Unter der indianischen Bevölkerung wüteten dementsprechend verheerende Epidemien.“

Zwar hätten Europäer kaum direkten Kontakt mit Fledermäusen, so dass hier eine Ansteckung mit Mumps unwahrscheinlich ist. In Afrika sei das anders: „Sie sind größer und auch tagsüber sichtbar und landen ganz selbstverständlich mit Zwiebeln und Koriander mariniert auf dem Grill“, sagt Drosten.

Klären konnten die Forscher ebenfalls die Herkunft der Hendra- und Nipahviren, die in Asien und Australien immer wieder Rinder, Schweine und Pferde infizieren. Steckt sich ein Mensch mit den Viren an, stirbt er mit einer Wahrscheinlichkeit von 50-60 Prozent. „In Asien sehen wir einen kleinen Ausschnitt eines riesigen Virenstammbaums, der in Afrika seinen Ursprung hat“, sagt Drosten. Erst als das Virus auswanderte, fielen die schweren Erkrankungen auf. „In Afrika sterben die Menschen, ohne dass jemals eine richtige Diagnostik gemacht wird.“ Wie viele schwere Hirnhautentzündungen dort fälschlicherweise der Malaria angelastet werden, sei im Moment völlig unbekannt. Um die Gefahr durch Paramyxoviren richtig einzuschätzen, machen Drosten und seine Kollegen nun klinische Studien in Ghana. In einem Krankenhaus in Kumasi verifizieren sie Diagnosen von Patienten. Zusätzlich fahren sie in entlegene Dörfer, um auf die Spur vergangener Epidemien zu kommen.

Doch egal wie gefährlich die Viren auch sein mögen, der Schluss könne nicht sein, nun ihre Wirte, die Fledermäuse, zu töten. „Im Gegenteil, wir müssen ihre Lebensräume besser schützen“, sagt Drosten. „Die Tiere wollen nicht bei uns sein. Das Problem ist der Mensch, der seit fast 30 Jahren den Regenwald massiv abholzt.“ Den Tieren bleibe keine Wahl, als sich in Städten und anderswo neue Schutzräume zu suchen.

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