zum Hauptinhalt

Virtuelle Realität: Illusion täuscht außerkörperliche Erfahrung vor

Kameratricks zeigen, wie einfach es ist, das Gehirn auszutricksen

Wissenschaftler haben Menschen mit Hilfe von VR-Technologie (VR steht für virtuelle Realität) bewusst das Gefühl vermittelt, sie würden sich selbst von einem Standort außerhalb ihres Körpers beobachten. Das Experiment zeigt, wie das Gehirn verwirrt werden kann, wenn es versucht, widersprüchliche Informationen der verschiedenen Sinne zu ordnen.

Menschen, die behaupten, ihren Körper von außen betrachtet zu haben (out-of-body-experiences OBEs) - zumeist handelt es sich hier um Patienten während einer Operation oder um Personen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben -, beschreiben ein Gefühl des Aus-sich-selbst-herausströmens, beispielsweise an die Decke des Operationssaales. Von dort haben sie ihren Körper und die ihn umgebenden Aktivitäten beobachtet.

Spiritualisten führen diese Erfahrungen als Beweis für die Existenz einer Seele an. Aber die neue Studie zeigt, dass es möglich ist, durch Verwirrung des Verstandes eine ähnliche Erfahrung herbeizuführen.

Ein besseres Verständnis davon, wie das Gehirn eine derartige außerkörperliche Erfahrung hervorbringt, könnte bei der Entwicklung von realistischeren Computerspielen oder ferngesteuerten Robotern helfen. Es könnte sogar ein Ansatz sein, die Vorgänge in den Gehirnen von Menschen zu erklären, die behaupten, dieses Phänomen tatsächlich zu erleben, wie Schizophrenie-Patienten und Epileptiker.

Du, ich, ich, du

Der Effekt wurde in zwei verschiedenen Experimenten erzeugt, über die in Science (1),(2) berichtet wurde. Beide nutzten eine einfache Methode, um freiwilligen Probanden vorzugaukeln, ihr Geist hätte ihren Körper verlassen. In beiden Fällen trugen die Probanden VR-Brillen, die an Kameras angeschlossen wurden, die auf ihre Körper gerichtet waren.

In einer Studie, die von Henrik Ehrsson am University College London durchgeführt wurde, wurden die Kandidaten in dem Moment in die Brust gestupst, in dem sich ein Objekt der Kamera näherte. In diesem Fall identifizierten sich die Probanden stark mit der Position der Kamera, sie dachten, dort hielte sich ihr wahres Selbst auf - das Bild ihres eigenen Körpers zu sehen, war wie jemand anderen zu beobachten.

In dem anderen Experiment, durchgeführt von Olaf Blanke vom Swiss Federal Institute of Technology in Lausanne, sahen Patienten ein Bild ihres eigenen Rückens, der von jemandem gestreichelt wurde, während sie selbst tatsächlich gestreichelt wurden. In diesem Fall identifizierten sich die Probanden stark mit dem Bild ihres Rückens, sie dachten, sie stünden dort - wieder außerhalb ihres Körpers.

Zu viel Information

Dieser bizarre Effekt trat ein, weil das Experiment dahingehend angelegt war, dass das dem Gehirn vertraute Schema, dass der Verstand sich innerhalb des Körpers aufhält, hier nicht passte, erklärt Ehrsson. "Das Gehirn kann sich selbst austricksen, weil es ständig bemüht ist, Informationen zu verarbeiten - wenn diese Information unvollständig oder fehlerhaft ist, kann es die falschen Schlüsse ziehen."

Diese Methode erzeugt keine klassischen OBEs - interessanterweise deswegen, weil es in der realen Welt keine offensichtliche Möglichkeit für eine Person gibt, sich selbst zu "sehen". Aber die Menschen könnten vielleicht im Geist ein Bild ihres eigenen Körpers abbilden, um den Effekt zu erzielen, sagt Ehrsson. "Im Operationssaal gibt es keine Spiegel an der Decke, aber vielleicht gibt es einen ‚Spiegel' im Kopf", sagt er. Ehrsson und Blanke vermuten, dass diese Illusion möglicherweise mit einer Funktionsstörung bestimmter Teile des Gehirns wie dem Tempoparietalcortex zusammenhängt, der sensorische Informationen verarbeitet.

Dennoch "hat dieses neue Experiment endlich OBEs ins Labor gebracht und eine der Haupttheorien über ihr Entstehen getestet", kommentiert Susan Blackmore, Psychologin an der University of the West of England in Bristol. "Zu entdecken, dass OBEs ein völlig normales Phänomen sind, beweist nicht, dass es Konstrukte wie Astralkörper, Seele oder Geist nicht gibt; es macht aber auf jeden Fall ihre Erfindung überflüssig."

Unterdrückter Unglaube

Der Effekt stellt sich sogar beim Anblick einer Schaufensterpuppe ein, wie Blankes Team herausfand, als es das Bild des Körpers einer Probandin durch das einer Schaufensterpuppe ersetzte, die es für nur 100 Schweizer Franken gekauft hatte. Beim Anblick eines schlichten Metallquadrats wollte sich der Effekt dagegen nicht einstellen, was beweist, dass man das Gehirn nicht unbegrenzt irritieren kann.

Herauszufinden, wie weit Personen ihren eigenen Unglauben zurückstellen können, wird entscheidend dazu beitragen, eine Technologie zu entwickeln, die es Usern ermöglicht, in andere Rollen zu schlüpfen, von ferngesteuerten Robotern bis zu Avataren im virtuellen Raum, sagt Blanke.

Der Einsatz von visuellen und taktischen Informationen, die einem das Gefühl geben, im Körper eines Roboters oder virtuellen Charakters zu agieren, könnte vielfältig eingesetzt werden, vom Robonaut-Projekt der NASA, die nach einer Möglichkeit sucht, Roboter auf dem Mond kontrollieren zu können, bis hin zu Chirurgen, die Operationen über das Internet durchführen. "Diese Anwendungsmöglichkeiten könnten verbessert werden, wenn man tatsächlich das Gefühl hätte, an diesem Ort zu sein, man könnte viel intuitiver handeln", sagt Ehrsson.

(1) Ehrsson, H.H. Science 317, 1048 (2007). (2) Lenggenhager, B., Tadi, T., Metzinger, T. & Blanke, O. Science 317, 1096-1099 (2007).

Dieser Artikel wurde erstmals am 23.8.2007 bei news@nature.com veröffentlicht. doi:10.1038/news070820-9. Übersetzung: Sonja Hinte. © 2007, Macmillan Publishers Ltd

Michael Hopkin

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false