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50 000 Eier haben Forscher untersucht, um herauszufinden, warum Vogelnachwuchs in so unterschiedlich geformten Kalkschalen verpackt wird.

© Mauritius/Frans Lanting

Vogelkunde: Warum kaum ein Ei dem anderen gleicht

Mal klein und rund, mal länglich groß – Oologen haben Eier vermessen und das Rätsel ihrer Formenvielfalt gelöst.

Von den nahezu kugelrunden Eiern einer Eule über die elliptische Form von Kolibri-Eiern bis hin zur Kegelform der Eier von Trottellummen an nordischen Küsten reicht das Repertoire der Kalkschalen, in denen Vögel ihren Nachwuchs zur Welt bringen. Schon lange suchen Evolutionsbiologen nach einer Erklärung für diese Vielfalt der Eiform und wie sie sich entwickelt haben. Jetzt präsentieren Mary Stoddard von der Princeton-Universität im US-Bundesstaat New Jersey und ihre Kollegen nach eingehender Prüfung zigtausender Eier im Fachblatt „Science“ eine verblüffend einfache Überlegung: Die Flugkünste einer Vogelart entscheiden über die Form ihrer Eier.

Überraschung für Vogelkundler

„Für mich kommt das völlig überraschend, ich hätte das nicht gedacht“, meint Vogelkundler Gerald Mayr, der am Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum im hessischen Frankfurt die Sektion Ornithologie leitet. Die Überraschung teilen wohl viele seiner Kollegen. Hatten die Forscher doch bisher für die Form von Vogeleiern eine ganze Reihe von Gründen diskutiert: So verteile eine kugelrunde Form die Kräfte gleichmäßig, sodass die Eier besonders robust sind und ungeschickte Bewegungen der Eltern besser wegstecken. Die Kegelform mit einem dünnen Ende hingegen sei vor allem für Seevögel praktisch, die gern hoch oben in den Klippen an der Küste nisten, so die Theorie. Bringt dort ein Windstoß ein Ei ins Rollen, ist die Absturzgefahr für ein kugelrundes Ei relativ hoch. Ein kegelförmiges Gebilde kullert dagegen in einem kleinen Kreis um das dünne Ende und fällt so kaum aus dem Nest. „Mit dem schmalen Ende nach innen passen solche Eier ähnlich wie die Stücke einer Torte auch platzsparend ins Nest, was sich besonders bei größeren Gelegen bewährt“, nennt Gerald Mayr eine weitere Überlegung.

Um den Ursachen für diese Formenvielfalt auf die Spur zu kommen, haben Mary Stoddard und ihre Kollegen ihren Computern eine Sisyphos-Arbeit aufgebürdet: Aus den Fotos von 49 175 Eiern, die Sammler vor allem am Ende des 19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts aus Nestern entwendet hatten und die seither in Museen in aller Welt gehütet werden, analysierte ein Programm die Form der Eier. Allein dieser gigantische Datensatz beantwortete schon viele Fragen: Welcher Vogel legt die am stärksten asymmetrischen Eier? Der Wiesenstrandläufer. Das stark gefährdete Hammerhuhn wiederum legt in den von der Sonne oder von Vulkanen aufgeheizten Böden der indonesischen Insel Sulawesi Eier mit einer nahezu perfekten elliptischen, einer Wassermelone ähnelnden Form, lautet ein weiterer Befund.

Keine der alten Theorien stimmt

Solche Rekordwerte eignen sich zwar vielleicht für einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde, erklären aber nicht die Gründe für die Entwicklung der verschiedenen Eiformen. Denen kamen Mary Stoddard und ihre Kollegen erst auf die Spur, als sie ihre Rechner mit weiteren bekannten Details aus dem Alltag der jeweiligen Vogeleltern fütterten: Wo bauen die Tiere ihr Nest und welche Form geben sie ihm? Wie viele Eier legen sie? Was fressen die Vögel? Wie gut fliegen sie?

Als sie diese Daten mit den gespeicherten Eiformen verglichen, lieferte der Computer eine erste Überraschung: Keine der bisher diskutierten Theorien kann die Form der Eier erklären. Die Forscher fanden weder einen Zusammenhang zwischen der Form der Eier und der Größe des Geleges, noch Hinweise darauf, dass in den Klippen nistende Vögel häufiger kegelförmige Eier legen, damit sie nicht so leicht wie symmetrische Formen ins Meer kullern können. „Dieses Ergebnis ist sehr deutlich“, meint Wolfgang Forstmeier, der am Max-Planck-Institut für Ornithologie im oberbayerischen Seewiesen die Evolution von Vögeln untersucht.

Die Flügel bestimmen die Form der Eier

Was aber steuert dann die Form der Eier (Hintergrund-Infos hier)? Einen Hinweis fanden Mary Stoddard und ihre Kollegen, als sie auch den „Hand Wing Index“ (HWI) mit ihren Bild-Analysen verglichen. „Dieser Wert misst den Abstand zwischen der Flügelspitze eines Vogels und der Spitze der hintersten Armschwinge“, erklärt Forstmeier. Ein schmaler, spitz zulaufender Flügel hat einen großen HWI, ein breiter Flügel mit stumpfem Ende einen kleinen. Solche breiten Flügel aber sind typisch für Vögel, die das ganze Jahr über zu Hause bleiben, während spitze Flügel mit einem großen HWI-Wert charakteristisch für Vögel wie Schwalben oder Mauersegler sind. Sie müssen ihre Beute in Form von fliegenden Insekten mit rasanten Flugmanövern jagen und obendrein weite Strecken über einige tausend Kilometer bis in ihr Winterquartier zurücklegen. Auch der Strandläufer hat schmale Flügel. Er fängt seine Beute zwar im Laufen, nimmt aber ebenfalls die Langstrecke auf dem Flug ins Winterquartier. Und er legt wie etliche andere der untersuchten Vogelarten mit hohem HWI-Wert elliptische, leicht kegelförmige Eier.

Ganz anders der Strauß, der aufs Fliegen ganz verzichtet und jahrein, jahraus zu Hause bleibt und dort recht runde Eier legt. Pinguine wiederum erheben sich ebenfalls nicht in die Lüfte, produzieren aber trotzdem elliptische Eier. Diese Vogelgruppe hat ihre rasanten Flugmanöver nämlich ins Wasser verlegt und jagt dort ähnlich geschickt wie Schwalben in der Luft Fische und andere Meerestiere. „Solche besseren Flieger tendieren dazu, weniger symmetrische und stärker elliptische Eier zu legen“, fasst Joseph Tobias vom Imperial College in London dieses Ergebnis zusammen, das er mit erarbeitet hat. „Dieser Trend scheint zwar signifikant zu sein“, bestätigt auch Forstmeier. Allerdings sei er statistisch eher schwach belegt. Und bisher fehle auch noch eine plausible Erklärung für den Zusammenhang zwischen den Flugkünsten der Vögel und der Form ihrer Eier.

Lange Flügel müssen in große oder längliche Eier passen

Auch Mary Stoddard kann darüber nur spekulieren. So sei es möglich, dass im meist schlanken, schnittigen Körper der Flugkünstler dicke Eier nicht genug Platz hätten. Will ein Vogel seinen Küken aber gute Startbedingungen ins Leben geben, braucht er möglichst große Eier, in die neben dem Embryo auch noch ausreichend Nahrungsvorräte und Luft passen. Dürfen die Eier aber nicht dick sein, müssen sie eben länger sein, vermuten die Forscher. Nun müssen die Oologen nur noch einen Weg finden, diese Hypothese auch experimentell zu bestätigen.

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