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Volksabstimmung: Campus-Missionare für Reli und Ethik

Mit Partys und Plakaten: Berliner Studierende werben an den Unis für ihr Fach. Für beide Seiten spielt eine Rolle, dass es um die Zukunft ihres Berufs geht.

„Tag der Freiheit? – Nein zum Unsinn!“ steht auf dem Flugblatt, das Roman Böttcher entworfen hat. Gemeinsam mit Kommilitonen der Freien Universität will der Student den Aufruf, gegen Pro Reli zu stimmen, in der Mensa, auf dem Campus, in Parks oder Clubs verbreiten. Außerdem ist eine „Ethik-Party“ geplant. Denn vom Ausgang des Volksentscheids am 26. April hängt für Roman Böttcher und seine Kommilitonen auch die berufliche Zukunft ab: Sie studieren Ethik auf Lehramt.

Aber auch auf der Pro-Reli-Seite engagieren sich Studierende und Dozenten. An den Theologischen Seminaren wirbt man dafür, dass sich die Schüler von der ersten Klasse bis zum Abitur künftig zwischen Religion und Ethik als Pflichtfach entscheiden dürfen, Ethik also nicht für alle Schüler verbindlich wird. Schon im letzten Herbst sammelten Studierende Unterschriften für das Volksbegehren: „Wir hatten einen Stand im Foyer. Wir haben Zeitungsartikel ausgelegt und die neuesten Zwischenstände weitergegeben“, sagt Thorsten Schatz, Theologiestudent an der HU. Die Professoren des Faches brachten selbst Unterschriftenlisten mit in die Vorlesungen. „Bei uns an der Fakultät war das ein Selbstläufer.“ Es habe kaum negative Stimmen gegeben.

Damals, als die Unterschriftenaktionen begannen, nahmen die Ethikstudenten die ganze Initiative „nur am Rande wahr“, sagt Roman Böttcher. „Wir haben das relativ entspannt betrachtet, weil wir uns nicht vorstellen konnten, dass es zu einer Bedrohung für das Pflichtfach Ethik wird.“ Erst seit der Abstimmungstermin steht, organisieren sich auch die angehenden Ethiklehrer. Sie stört vor allem, wie ihr Fach und seine Ziele von Pro-Reli-Anhängern dargestellt werde. „Wir wollen doch die Schüler nicht zum Atheismus erziehen!“, wehren sich Ethikstudenten.

Viele von ihnen seien wie er selbst auch Kirchenmitglieder, sagt Roman Böttcher. Die Kampagne tue aber so, „als käme das große Ethik-Monster und fräße alle Religionen auf“, kritisiert Fränze Danisch, die ebenfalls an der FU im Lehramtsbachelor Ethik studiert. Man wolle, heißt es deshalb auf dem Flugblatt der Gruppe, zwischen verschiedenen Religionen „Brücken bauen“, dabei jedoch auch „Wertevergleiche“ sowie Selbstkritik fördern. Ethikstudent Roberto Behrendt fügt an, er habe sich 2007 vor allem für das Fach entschieden, weil er von der Idee überzeugt war, dass Schüler mit unterschiedlichen Prägungen in seinem Unterricht sitzen. So seien auch die Rahmenlehrpläne und die pädagogische Ausbildung angelegt.

Dass Schüler mit unterschiedlichen Prägungen gemeinsam über Glauben und Werte reden, wünscht sich Florian Wienzeck ebenfalls. Allerdings ist für ihn der Religionsunterricht der beste Ort dafür. „Die Kirche hat einen so großen Beitrag zur Kultur, Geschichte und Literatur geleistet. Darum verstehen Schüler andere Fächer besser, wenn sie sich mit dem Christentum beschäftigt haben“, sagt der angehende Religions- und Deutschlehrer. Missionarischen Eifer will er sich nicht vorwerfen lassen: „Natürlich freue ich mich, wenn ein Kind später Pfarrer werden will, aber das ist nicht mein Unterrichtsziel.“

Die Befürworter des Wahlpflichtfachs Religion argumentieren an den Unis zudem mit einer wissenschaftlichen Studie, deren Ergebnisse beispielsweise in der Theologischen Fakultät der HU aushängen. Eine HU-Forschergruppe hatte in einer Schülerumfrage ermittelt, dass der Religionsunterricht die „interreligiöse Kompetenz“ fördere. Daher dürfe man dem Fach „nicht mehr unterstellen, es sei ein Integrationshindernis an öffentlichen Schulen“.

Für beide Seiten spielt eine Rolle, dass es um die Zukunft ihrer Studienrichtung und ihres Berufs geht. Er hoffe, dass sein Lehramt attraktiver für Studienbewerber wird, falls Pro Reli siegt, sagt Florian Wienzeck. Wenn es mehr Studenten gibt, dann könnte endlich eine größere Vielfalt an Seminaren angeboten werden. Derzeit gebe es vor allem in der Religionspädagogik sehr wenig Kurse. „Sinkende Schülerzahlen bedeuten weniger Zuschüsse vom Land“, ergänzt Theologiestudent Thorsten Schatz. Das könne am Ende für die Kirchen bedeuten, dass Personal abgebaut wird.

Wie viele Ethiklehrer noch gebraucht werden, falls der Volksentscheid durchkommt, ist schwer abzuschätzen. „Wenn Pro Reli gewinnt, könnte es zu einem Mangel an Lehrkräften kommen, weil dann beide Fächer ab der ersten Klasse angeboten werden“, sagt Michael Bongardt, FU-Professor und Geschäftsführer des Instituts für Vergleichende Ethik sowie Unterstützer der Initiative Christen pro Ethik. Andererseits wisse ja niemand, wie viele Schüler sich überhaupt für den Ethikunterricht entscheiden. Die Studenten sorgen sich darüber hinaus um den Master, der im kommenden Jahr starten soll, wenn die ersten Ethik-Bachelor fertig sind. Wie viele Plätze wird es geben? Kann das Aufbaustudium unter den neuen Bedingungen rechtzeitig starten? „Vielleicht wird der Master kleiner gefahren, wenn Ethik nicht mehr für alle Pflicht ist“, vermutet Roberto Behrendt. Bislang gebe es keine Pläne für die Zeit nach dem Volksentscheid, heißt es dazu aus der FU. Im Moment belegen etwa 80 Studierende an der FU Ethik auf Lehramt, der erste Jahrgang ist inzwischen im vierten Semester. An der HU sind 99 Studierende im Bachelor für Philosophie und Ethik auf Lehramt eingeschrieben, 21 studieren schon im Master.

Die künftigen Ethiklehrer sehen durch die Debatte auch ihr Image an den Schulen gefährdet. Das Fach werde „in den Dreck gezogen“, sagt Fränze Danisch. „Egal wie der Volksentscheid ausgeht, die Vorbehalte bleiben.“ Sie stelle sich darauf ein, später im Beruf auf skeptische Eltern zu treffen. „Vielleicht nehmen sogar Schüler oder Kollegen das Fach nicht mehr ernst.“

Irritiert waren die Ethikstudenten auch darüber, dass sich sowohl FU-Präsident Dieter Lenzen als auch HU-Präsident Christoph Markschies als „prominente Unterstützer“ für Pro Reli engagieren. Der Religionsunterricht behandle „die Kernfrage der menschlichen Existenz“, begründet Lenzen sein Votum. „Die Frage nach Gott“ müsse in der Schule „im Rahmen eines ordentlichen Lehrfaches“ behandelt werden, schreibt Markschies. Halten die Unipräsidenten also den Ethikunterricht für unzulänglich, obwohl die Lehrkräfte an ihren Universitäten ausgebildet werden?

Immerhin, trotz des Streits kommunizieren die Anhänger von Pro Ethik und Pro Reli noch miteinander. Die Ethikfachschaft der FU hat zu ihrer Unterstützerparty unter dem Motto „Das gute Fach“ auch Studenten der Katholischen Theologie eingeladen, mit deren Institut sie sich eine kleine Villa in Dahlem teilt. Mit Erfolg: Die Theologen hätten sich über die Einladung gefreut, berichten die Ethikstudenten. Tina Rohowski

Tina Rohowski

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