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Hilfe bis zuletzt. Die Palliativmedizin kümmert sich um Menschen, bei denen keine Heilung mehr möglich ist. Sie hat einen deutlichen Aufschwung genommen. Foto: p-a/dpa

© picture-alliance/ dpa

Wissen: Von der Kunst, Leiden zu lindern

Medizin fürs Lebensende: Die palliative Versorgung macht Fortschritte, wie eine Berliner Tagung zeigte.

Die Palliativmedizin hat sich zum Ziel gesetzt, das Leiden am Lebensende zu lindern. Trotz erheblichen Nachholbedarfs hat sich das noch junge Fach positiv entwickelt, wie auf einem Symposium der Paul-Martini-Stiftung und der Akademie Leopoldina in Berlin zum Thema Palliativmedizin deutlich wurde. Damit steigt die Chance für Patienten, trotz schwerer Krankheit einmal die letzte Lebenszeit ohne unerträgliches Leiden und ohne nutzlos gewordenes medizinisches Eingreifen zu Hause zu verbringen.

Viele Studien belegen, dass lindernde Maßnahmen die Lebensqualität Sterbenskranker erheblich verbessern, ohne ihr Leben zu verkürzen. Aber eine amerikanische Studie aus dem Jahr 2010 an Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkrebs hatte ein sensationelles Ergebnis: Patienten, die neben der üblichen Therapie frühzeitig auch palliativ versorgt wurden, lebten nicht nur besser, sondern auch drei Monate länger als die Kontrollgruppe.

Von einer palliativen Versorgung zu Hause, auf Palliativstationen und Hospizen profitieren mittlerweile nicht mehr nur Krebskranke, sondern prinzipiell alle Schwerkranken im fortgeschrittenen Stadium, die diese Versorgung brauchen. Neu ist eine auf alte, teils demente Patienten und eine auf Kinder spezialisierte Versorgung. Aber noch gibt es Mängel.

So sind die Anlaufschwierigkeiten beim speziellen palliativen, von den Krankenkassen getragenen Hausbesuchsdienst noch immer nicht überwunden. Wer Glück im Unglück hat, den entlässt der Klinikarzt mit den Worten „Wir können nichts mehr für Sie tun“ nach Hause. Aber am Ende rufen die überforderten Angehörigen den Rettungsdienst zu dem nach Luft ringenden und schmerzgeplagten Todkranken. Und er stirbt doch noch auf der Intensivstation zwischen lauter Medizintechnik statt zu Hause zwischen seinen Nächsten.

Da wird auf vielerlei Art gegengesteuert. In Münster zum Beispiel gibt es Leitlinien für Notärzte, die das verhindern sollen. Ärzte sind aber nur Teil eines interdisziplinären Teams in der palliativen Versorgung. Ohne die Unterstützung der Angehörigen ist die häusliche Versorgung Sterbenskranker nicht möglich, sagte Maria Wasner vom Interdisziplinären Zentrum für Palliativmedizin des Münchner Uniklinikums Großhadern.

München ist eine Ausnahme. Insgesamt gibt es in Deutschland erst an zehn Universitäten Stiftungsprofessuren und -lehrstühle. Gefordert werden Palliativ-Lehrstühle für alle medizinischen Fakultäten, denn zur ärztlichen Ausbildung gehört auch die Palliativmedizin. Ein Notbehelf ist die Zusatzbezeichnung Palliativmedizin, die in Deutschland etwa 600 Ärzte nach Weiterbildung führen dürfen.

Das Münchner Zentrum hat außer einem Lehrstuhl für Palliativmedizin je eine Professur für Kinder-Palliativmedizin, für Soziale Arbeit und – einmalig – für „Spiritual Care“. Deren Inhaber, der evangelische Pfarrer Traugott Roser, sagte auf der Tagung, „spirituell“ werde nicht mehr mit „religiös“ gleichgesetzt. Neue Definitionen sind aber so diffus („weltanschaulich“, „existenziell“), dass Roser ganz pragmatisch meint: „Spirituell ist das, was der Patient dafür hält.“

Nach einer Befragung suchen Schwerkranke das Gespräch über Spirituelles zuerst mit den Angehörigen, dann mit ihren Ärzten und an dritter Stelle erst mit dem Seelsorger. Selbst im katholischen Bayern fragten nur 17 Prozent nach ihm. Überraschend ist das Ergebnis einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2009. Sie zeigt, dass Glaube keineswegs zum gottergebenen Sterben verhelfen muss: Religiöse akzeptierten am Lebensende eher aggressive, auf Lebensverlängerung zielende Maßnahmen als Nichtreligiöse.

Die Palliativmedizin wurde in Deutschland zeitweise fast mit Schmerztherapie gleichgesetzt. Jetzt wird sie umfassend verstanden, weil man gemerkt hat, dass Symptombehandlung allein nicht genügt, so gut sie sich auch eingespielt hat. In der Schmerztherapie gibt es einiges Neues: Dem Standardmittel Morphin werden Oxycodon und Hydromorphon als gleichberechtigt an die Seite gestellt, sagte Lukas Radbruch von der Bonner UniKlinik.

Wichtig seien die verschiedenen Verabreichungsformen von Opiaten: Tabletten mit lang anhaltender Wirkung, Pflaster, jetzt auch Sprays oder Tabletten, die über Nasen- oder Mundschleimhaut bei Schmerzspitzen rasch wirken. Der größte Fortschritt wäre in Radbruchs Augen die Anwendung der gut ausgereiften Opiattherapie überall dort, wo sie notwendig ist. Hier gibt es noch Defizite.

Seit kurzem wird niedrig dosiertes Morphin auch gegen Atemnot angewandt, wenn Entspannung und frische Luft nicht genügen. Sauerstoffbeigaben bringen keinen Zusatznutzen, wie Steffen Simon von der Kölner Uniklinik berichtete. Gegen für die Angehörigen gleichfalls beängstigende Verwirrtheitszustände helfe eine ruhige Umgebung, notfalls gibt man beruhigende Mittel aus der Gruppe der Neuroleptika wie Haloperidol, sagte Johanna Anneser vom Münchner Klinikum Rechts der Isar.

Informationen über palliative Versorgung in Berlin: Zentrale Anlaufstelle Hospiz, Telefon 030 – 4071 11 13 und www.hospiz-aktuell.de

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