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Vorbild Florenz. Die Basilika des Berliner Bode-Museums (hier vor der Sanierung) imitiert das Langhaus einer florentinischen Renaissancekirche.

© Imago

Von Künstlern und Gewaltmenschen: Die Magie der Renaissance

Wie die Renaissance nach Berlin kam und was sie der Welt bedeutet: Der Durchbruch zur Moderne fasziniert bis heute. Jetzt treffen sich an der Humboldt-Universität bis zu 4000 Forscher aus aller Welt zu einem großen Kongress.

Am Anfang kam Johannes Trithemius. Kurfürst Joachim I. von Brandenburg lud den berühmten Humanisten und Benediktinerabt 1506 an seine Residenz Berlin ein. Ähnlich machte es später Friedrich der Große mit Voltaire. Der Moselaner Trithemius (der aus Trittenheim) hatte im Kloster Sponheim die größte Bibliothek antiker Autoren in Deutschland aufgebaut. Sie war ein Mekka für die gut vernetzte Gruppe der Renaissance-Humanisten. Zum berühmtesten wurde Erasmus von Rotterdam, als Figur von europäischer Bedeutung. Ihre antikefundierte moderne Bildung und Sprachkompetenz verschaffte den Humanisten zunehmend Einfluss in Öffentlichkeit, Schule und Politik.

Was den Hohenzollern Joachim an Trithemius interessierte, waren jedoch weniger die antiken Klassiker als die okkulten Wissenschaften, die weiße Magie, auf die der Abt sich ebenfalls verstand. Trithemius kam – und verließ bald wieder entnervt den tristen Ort. „Die Menschen sind gut“, schreibt er über die Berliner, „aber völlig rau und ungelehrt, dem Feiern und Trinken mehr ergeben als dem Studium der guten Wissenschaften.“ Die Doppelstadt Berlin-Cölln war damals noch nicht Musenhof oder Spree-Florenz. Zwar standen die ältesten, 1442 errichteten Teile des Schlosses schon, auch die schöne spätgotische Erasmuskapelle. Erst im 16. Jahrhundert wurden die mittelalterlichen Teile durch einen Bau im Stile der Renaissance nach Vorbild des Torgauer Schlosses ersetzt. Hier war um 1550 vermutlich auch die erste Kunst- und Wunderkammer eingerichtet, Keimzelle für die großartige Museumslandschaft der Stadt. Spät erst wurde Berlin dann zu einem Zentrum der Renaissance.

Die "Gesichter der Renaissance" zogen 250000 Besucher an

Von der Renaissance geht bis heute eine epiphanische Faszination aus. Städte wie Florenz, Künstler wie Leonardo, Dürer oder Michelangelo genießen Kultstatus. Die „Gewaltmenschen“ der Renaissance wie Cesare Borgia und seine Schwester Lucrezia am Papsthof ihres Vaters, Alexanders VI., sorgen – grell verfilmt – für hohe Einschaltquoten. Auch die Berliner konnten sich diesem Fluidum im Jahr 2011 nicht entziehen, als die Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ 250 000 Besucher magisch anzog.

Und die Wissenschaft ruht nicht: In dieser Woche versammeln sich an der Humboldt-Universität bis zu 4000 Renaissanceforscher aus aller Welt. Anlass ist der 44. Jahreskongress der 1954 gegründeten „Renaissance Society of America“. In den USA haben die ‚Renaissance Studies‘ immer noch einen hohen Stellenwert. Alle fünf Jahre verlassen die Amerikaner ihr Land und tagen in Europa. Ob Historiker, Romanisten, Latinisten oder Kunsthistoriker: Sie kommen dieses Mal im Bewusstsein nach Berlin, hier an Ursprünge der Renaissanceforschung zurückzukehren – und zugleich an den Ort einer beispiellosen Renaissance der wiedervereinigten Stadt.

„Renaissance“ – der französische Begriff setzt sich im 19. Jahrhundert durch – bedeutet „Wiedergeburt“, ein kultureller Aufbruch, der seine Kraft aus einer neuartig kreativen Aneignung der Antike, ihrer Texte, ihrer Kunst bezog. Der Humanismus bildet sozusagen eines ihrer aktivistischen Subsysteme. Man bezeichnet mit „Renaissance“ sowohl eine geschichtliche Epoche (von ca. 1300 bis 1600) als auch einen bestimmten Bau- und Kunststil zwischen Gotik und Barock sowie drittens die kulturelle Bewegung und ihren Denkhabitus selbst.

Die großen Individuen und die Kunst wurden zur Mode des Renaissancismus

Der maßgebliche Schöpfer des modernen Renaissancebildes ist Jacob Burckhardt (1818–1897) in seinem grandiosen Portalwerk: „Die Cultur der Renaissance in Italien. Ein Versuch“ (1860). Es liest sich heute frisch wie am ersten Tag. Die Titel der ersten vier „Abschnitte“ sind Programm dessen, was man seither mit „Renaissance“ assoziiert: „Der Staat als Kunstwerk“, „Die Entwicklung des Individuums“, „Die Entdeckung der Welt und des Menschen“ und „Die Wiederentdeckung der Antike“. Der Basler Historiker begründete eine neue Form der Kulturgeschichte. Die Renaissance bezieht sich nicht nur auf Literatur und Kunst. Sie stellt eine Umwälzung der gesamten italienischen Gesellschaft zur Moderne dar.

Die „Wiederentdeckung der Antike“ steht scheinbar paradox nicht an erster Stelle. Sie gibt dem Ganzen nur die Form. Entscheidend aber sind für Burckhardt die politischen, sozialen und mentalen Dynamiken („Volksgeist“). Nur in Italien konnte der Durchbruch zur Moderne entstehen. Erst von dort strahlte sie auf die anderen Länder Europas aus, auch auf Deutsche wie Trithemius. Burckhardts Wirkung war ungeheuer groß: Die emphatisch bewunderte Renaissance, ihre großen Individuen, ihre Kunst, wurde zur Mode des Renaissancismus. Zahlreiche Autorinnen und Autoren von Paul Heyse bis Isolde Kurz eilten zum Schreiben nach Florenz, Innenarchitekten statteten bürgerliche Wohnzimmer im Renaissancestil aus. Nietzsche schwärmte vom Übermenschen und fantasierte sich Cesare Borgia als Papst, einen Sieg der heidnisch-freien Antike über die sauertöpfischen Reformatoren im Norden.

Für Burckhardt führte die Renaissance direkt zur Französischen Revolution

Was man schon damals leicht übersah, war die skeptische Ambivalenz hinter Burckhardts Renaissancebild. Im Universalmenschen („uomo universale“) sah er weniger das vollkommene als „das entfesselte Individuum“, das „keine Grenzen“ mehr kennt. Exponenten dieser Individuen waren ihm die neuen skrupellosen Stadtherren wie die Visconti und Malatesta, aber auch die Humanisten, die er als haltlose Intellektuelle und erste Journalisten zeichnet. Diese „Moderne“ führt direkten Wegs zur Französischen Revolution, die Burckhardt fürchtete.

Sein Renaissancebild wurde stark relativiert, vor allem der angebliche Bruch mit dem Mittelalter gemildert. Die Diskussion um das Wesen jener „Wiedergeburt“ begann freilich schon bei den Zeitgenossen wie Petrarca im 14. Jahrhundert. 1948 sah der amerikanische Forscher Wallace Ferguson bereits „five centuries of interpretation“ über die Renaissance am Werke. Und sie geht weiter, allemal auf dem Berliner Kongress.

Prägende Spaziergänge im märkischen Sand

Ohne Berlin wäre die „Cultur der Renaissance“ wohl kaum denkbar. 1839–43 studierte Burckhardt an der berühmten, 1810 gegründeten Universität Unter den Linden. Hier empfing er entscheidende Prägungen. Zu seinen Lehrern zählten der Historiker Leopold von Ranke, ein Begründer der modernen Geschichtswissenschaft, und Franz Kugler, der als Historiker an der Kunstakademie lehrte. Von ihm lernte der junge Burckhardt viel über Kunst, am meisten bei Spaziergängen durch den märkischen Sand, die Kugler wegen seines Übergewichts häufig unternahm. 1872 erhielt Burckhardt sogar einen Ruf nach Berlin auf die Professur Rankes. Die Renaissanceforschung hätte hier womöglich einen anderen Weg genommen, doch der Weise von Basel lehnte ab. Er dachte gar nicht daran, in die hektisch boomende Kapitale des Kaiserreichs zurückzukehren, das ihm Inbegriff des verabscheuten Machtstaats jener Moderne war, die in der Renaissance begonnen hatte.

Burckhardt hatte zwar sein Meisterwerk vorgelegt, aber damit keine Wissenschaft begründet. Renaissanceforschung wurde vor 1945 nirgendwo ein eigenes, institutionell verankertes Fach. Sie wurde von einzelnen interessierten Historikern, Philologen, Kunsthistorikern betrieben, oft von Außenseitern. In Berlin fanden sich freilich besonders viele Renaissance-Gelehrte. Schon früh waren hier Kunstgeschichte und Archäologie eng mit den Museen und Sammlungen verbunden, etwa mit dem 1830 eröffneten, von Friedrich Schinkel nach antiken Modellen komponierten Alten Museum. Wilhelm Bode gründete 1904 das Kaiser-Friedrich-Museum (heute Bode-Museum). Innovativ kreierte er Kontext-Interieurs, in denen Gemälde, Skulpturen, Möbel und Teppiche der Renaissance zusammen arrangiert wurden. Herzstück des Museums ist die sogenannte Basilika. Sie imitiert das Langhaus einer Renaissancekirche in Florenz. Hier wird der große Kongress intern eröffnet. Es gibt dafür keinen würdigeren Ort.

Kämpfe der Gegenwart werden in die Epoche projiziert

Auf Florenz, freilich auf das politisch-republikanische, bezog sich auch der junge Historiker Hans Baron (1900–1988). Im Berliner Milieu der zwanziger Jahre, deren Krisen der Intellektuelle seismografisch registrierte, reifte in Baron die Idee zu jener Meistererzählung, die ihn berühmt machte, dem sogenannten Bürgerhumanismus. In der Krise des Jahres 1400, als Giangaleazzo Visconti, der Herrscher Mailands, dabei war, ganz Italien zu unterwerfen, hätten allein die Florentiner heroisch Widerstand geleistet. Das gelang ihnen, so Baron, indem sie antike Texte rhetorisch zum Glühen brachten und daraus republikanische Tugenden und patriotische Tatkraft generierten. So formierte sich das Gemeinwesen im Druck von außen und rettete sich und ganz Italien vor der Tyrannis.

Man sieht heute stärker, wie sehr Baron die Kämpfe seiner eigenen Gegenwart in die Renaissance projiziert hatte: die späte Weimarer Republik, die in der Tyrannei Hitlers versank, eben weil es zu wenig aktive Republikaner gab. Erst 1955, im amerikanischen Exil, hat Baron sein Werk „The Crisis of the Italian Renaissance“ publiziert. Obwohl seine These, was Florenz betrifft, in mancher Hinsicht als „widerlegt“ gilt, bleibt sie die wirkmächtigste der letzten Jahrzehnte.

Vorher hatten in Berlin die Kunsthistoriker Hermann Grimm und Heinrich Wölfflin, der Altgermanist Konrad Burdach und der Historiker Ludwig Geiger gelehrt und Bedeutendes zur Erforschung der Renaissance geleistet. Wie Hans Baron und Paul Oskar Kristeller stammte Geiger aus einem jüdischen Berliner Elternhaus. Für den Sohn des Reform-Rabbiners Abraham Geiger wurde der Humanist und tolerante Hebraist Johannes Reuchlin zum Heros – gleich neben Goethe.

Deutsche Renaissanceforscher werden ins Exil gezwungen

Baron und Kristeller wurden wie so viele andere 1933 in die Emigration gezwungen. Die deutschen Emigranten hatten es in den USA zunächst nicht leicht. Nach 1945 gerieten sie aber in den Sog einer beispiellos expandierenden Kulturpolitik, die gerade „Renaissance-Studies“ förderte. Kristeller etwa wurde in den USA zum erfolgreichen Lehrer (Columbia University), zum weltbekannten „uomo universale“ einer auf Handschriften gestützten Humanismusforschung. Ähnlich fruchtbar wirken konnten der Kunsthistoriker Erwin Panofsky und der Mediävist Ernst Kantorowicz in Princeton, der Philosoph Ernst Cassirer in Yale, der Kirchenrechtshistoriker Stephan Kuttner in Washington und Berkeley. In Deutschland wog ihr Verlust schwer. Die Forschung kam hier nach 1945 nur mühsam in Gang.

Die amerikanischen Schüler Barons und Kristellers kommen nun nostalgisch nach Berlin zurück. Sie treffen auch in der Gegenwart an den Berliner Universitäten auf vielfältige Renaissancestudien: zum Beispiel an der HU auf den bekannten Kunsthistoriker Horst Bredekamp, das Exzellenzcluster „Bild, Wissen, Gestaltung“ und den Sonderforschungsbereich „Transformationen der Antike“ sowie auf das Interdisziplinäre Zentrum „Mittelalter – Renaissance – Frühe Neuzeit“ an der FU. In vielen der 900 Tagungspanels werden Berliner Forscher ihre Ergebnisse präsentieren. Welch eine Chance!

Der Autor ist Professor für Geschichte des Mittelalters und Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Transformationen der Antike“ an der Humboldt-Universität.

Johannes Helmrath

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