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Auf dem Campus. Schavan ist Honorarprofessorin der FU.

© Bernd Wannenmacher

Vortrag von Annette Schavan: Fremdeln mit dem Staat

Freiheit nach blutigen Anfängen: Bundesbildungsministerin Annette Schavan spricht an der FU Berlin über die Rolle der Religion in der Moderne.

Vor 40 Jahren waren sich die Soziologen sicher: Das mit der Religion werde sich in Deutschland bald erledigt haben. Erst kehren die Menschen in den Großstädten den Kirchen den Rücken, die Studierten und Emanzipierten. Dann verschwinden auf dem Lande Fronleichnamsprozessionen – bis nur noch ein frommer, ungebildeter Rest übrig bleibt. Es ist anders gekommen. Und darum muss sich auch die Freie Universität Berlin ausgiebig mit Religion beschäftigen. Am Mittwochabend allerdings unter Ausschluss der Öffentlichkeit, denn ein prominenter Gast, Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU), hatte etwas zum Thema beizutragen und sollte offenbar vor studentischen Störern geschützt werden: „Über den Gottesbezug als Freiheitsimpuls. Zur freiheitsstiftenden Kraft von Religion in modernen Gesellschaften“ sprach die Honorarprofessorin der FU vor einer kleinen Schar geladener Gäste.

Die studierte Theologin richtete ihren Blick auf die „doppelte Emanzipationsbewegung“ von Staat und Religion in Europa und kam zu dem Schluss, dass diese Entwicklung zur beiderseitigen Beglückung und Befreiung geführt hat. Am blutigen Anfang standen allerdings die Konfessionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts. Erst an deren Ende konnte sich der moderne Staat herausbilden und sich von Bischöfen und Päpsten lösen. Fortan durfte der Staat nicht mehr als Richter oder Bestrafungsinstanz in Anspruch genommen werden, wenn ein Bürger in den Augen der Kirchen an etwas Falsches oder gar nichts glaubte. Damit war die Voraussetzung für bürgerliche Toleranz und friedliche Koexistenz der Konfessionen geschaffen, sagte Schavan. Die Religion wurde in den Bereich des Privaten verwiesen, der Staat garantierte fortan die Freiheit der Religion und auch die Freiheit des Bürgers, an nichts zu glauben.

Bartholomäusnacht, Paris 1572. Erst am Ende der Konfessionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts konnten sich moderne Gesellschaften mit der Trennung von Staat und Religion herausbilden.
Bartholomäusnacht, Paris 1572. Erst am Ende der Konfessionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts konnten sich moderne Gesellschaften mit der Trennung von Staat und Religion herausbilden.

© akg-images

In weiten Teilen ihres Vortrags über die europäische Säkularisierung erwies sich Schavan als fleißige Schülerin des früheren Verfassungsrichters Ernst Wolfgang Böckenförde. Mit ihm zitierte sie auch Hegel. Der Philosoph hatte früh festgestellt, dass die Trennung staatlicher und religiöser Sphären nicht nur dem Staat, sondern auch dem Christentum gut bekommt: Erst durch diese Trennung verwirkliche sich die „Offenbarung, die mit Jesus Christus in die Welt gekommen sei“. Das heißt, erst nachdem die Kirchen nicht mehr Kaiser und Könige stellen mussten und der Staat nicht mehr über die Ausübung der Religion wachte, konnte sich das Christentum auf seinen eigentlichen Kern besinnen, auf das persönliche Bekenntnis zu Gott und zur persönlichen Nachfolge Jesu. Der Rückzug des Staates bedeutet aber keinen Freibrief für eine fundamentalistische Parallelgesellschaft, die nach ihren eigenen Gesetzen lebt. „Der Staat, der Freiheit gewährt, baut auf die moralische Substanz seiner Bürger“, sagte Schavan. „Damit ist die Erwartung eines gesellschaftlichen Klimas verbunden, in dem diejenigen, die sich zu einer Religion bekennen, die Weltlichkeit des Staates nicht als etwas Fremdes betrachten, sondern als die Chance der Freiheit. Erwartet wird ein konstruktiver Beitrag, nicht die Position eines fremdelnden Gegenübers.“

Schavan erinnerte daran, wie lange die Kirchen brauchten,diese Chance zu würdigen. Bei der katholischen Kirche dauerte das „Fremdeln“ mit dem modernen Staat bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts an. Die Ministerin weiß, wovon sie spricht, sie hat katholische Theologie studiert und war viele Jahre Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken.

Deutlicher Ausdruck des von ihr beschriebenen doppelten Emanzipationsprozesses von Staat und Religion ist für die Ministerin der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes, der neuerdings wieder heftig umstritten ist. Die Formel „im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“ weise den Staat in seine Grenzen und mache zugleich deutlich, dass Religion – egal welche – eine freiheitsstiftende Kraft sei. Freiheitsstiftend im doppelten Sinne: als Befreiung von staatlicher Bevormundung und als Freiheit zur Gestaltung des demokratischen Gemeinwesen.

Schavans Vortrag stand nicht im luftleeren Raum, sondern zielte auf den Dialog mit dem Islam. In diesem Dialog gehe es letztlich immer um die Demokratiefähigkeit des Islam und seine Toleranz gegenüber Andersgläubigen, betonte Schavan. Darum, ob der Islam es schaffe, „den Bezug zu Gott als Freiheitsimpuls zu sehen und nicht als Begründung für eine Verengungsgeschichte“. Die Bildungsministerin setzt dabei stark auf die Wissenschaft, weshalb sie sich so sehr – gegen viel Kritik auch vonseiten der Kirchen – für die Etablierung von Lehrstühlen für islamische Theologie einsetzt.

„Das Christentum gehört zum kulturellen Fundament unserer Gesellschaft und nimmt den Staat in die Pflicht, die religiösen Wurzeln der eigenen Kultur zu achten“ – auch das stellte Schavan klar. Da sie zugleich daran erinnerte, wie viel Blut an diesem Fundament klebt, hatte diese Aussage nichts Überhebliches und nichts von Leitkulturgetöse oder Kampfansage. Schade, dass der Vortrag nicht von einem großen Auditorium gehört wurde. Gerade angesichts der mittlerweile vierteljährlich aufschäumenden Feuilletonkämpfe zwischen Religiösen und Religionshassern, Islamfreunden und Islamgegnern konnte man Schavans Ausführungen als wohltuende Ermutigung zur Versachlichung verstehen.

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