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Unschöne Angriffe aus der Clique. Hermann Levi (Mitte) im Haus Wahnfried.

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Wagners jüdischer Dirigent: „Ein fortwährendes seelisches Sich-Verbeugen“

Kapellmeister Hermann Levi dirigierte die Meistersinger und den Parsifal, war häufiger Gast in Bayreuth. Doch der Antisemitismus des Wagner-Clans traf ihn schwer. Garmisch-Partenkirchen will seinem in der NS-Zeit geächteten Ehrenbürger jetzt wieder eine Straße widmen.

Im Winkel eines großen Grundstücks in Garmisch-Partenkirchen liegt unter einer roh gezimmerten Holzabdeckung, die vor den danebenlagernden Baumaterialien schützen soll, eine laubbedeckte Grabplatte für „Hermann Levi. Königlich Bayerischer Hofkapellmeister. 1839–1900.“ Er war Ehrenbürger von Garmisch-Partenkirchen, hatte postum der Straße, die am Grundstück vorbeiführte, den Namen gegeben. Doch nach Hitlers „Machtergreifung“ wurde das im Garten seiner Villa errichtete Mausoleum verwüstet und die Straße umbenannt. Hermann Levi war einst ein gefeierter Wagner-Dirigent. „Zuerst muss ich sagen, dass Levis Orchester Wagner zu Wagner macht. Bei einer solchen fast überirdischen Schönheit der Wiedergabe ist die Wirkung kein Wunder“, schrieb eine Chronistin der Zeit, Henriette Feuerbach.

Nun hat Wagner alles getan, einer von seiner Musik hingerissenen Welt seine gesellschaftspolitischen Vorstellungen zu predigen: von einer judenfreien, vegetarischen, nach Süden gewanderten Menschheit. Für Juden sieht Wagner in „Das Judentum in der Musik“ von 1869 nur einen Ausweg „von dem auf (ihnen) lastenden Fluche“ – „die Erlösung Ahasver’s – der Untergang!“. Der Fluch fiel, wie in seinen Opern, auf ihn zurück und belastet sein Werk und seine Familie bis heute. Im Jubiläumsjahr 2013, zweihundert Jahre nach Wagners Geburt, wird sein Werk in Israel nicht öffentlich aufgeführt, während die Erben peinlich darauf achten, jede Assoziation mit Nazisymbolik zu vermeiden.

Und doch hat der Judenfeind die Uraufführung seiner letzten Oper, in deren Mittelpunkt die christliche Taufe steht, dem jüdischen Dirigenten Hermann Levi anvertraut. Eine künstlerisch produktive, menschlich fragwürdige Beziehung.

Hermann Levi wird 1839 als drittes Kind des liberalen Landesrabbiners von Gießen im Großherzogtum Hessen geboren. Früh als Hochbegabung erkannt, findet Levi in Vinzenz Lachner, dem Mannheimer Hofkapellmeister, einen verständnisvollen Lehrer und Förderer, der ihm mit 21 Jahren zu seiner ersten Dirigentenstelle verhilft. 1864 dirigiert Levi bereits in Karlsruhe, wo er die verwitwete Clara Schumann und den jungen Johannes Brahms kennenlernt, dessen Duzfreund er wird. Levi ist ein Mann der Moderne, der Schumann, Berlioz und seinen Freund Brahms durchsetzen hilft, später auch Bizet, Chabrier, Mascagni, Verdi, Tschaikowski und Richard Strauss.

Kurz vor dem deutsch-französischen Krieg 1870/71, in dem er als Sanitäter dient, kann Levi in Karlsruhe die „Meistersinger“ dirigieren – die dortige Erstaufführung eines revolutionären, an Sänger und Orchester ungewohnte Anforderungen stellenden Werks. Und zwar so gut, dass sich Wagner schriftlich dafür bedankt.

1873 wird er, mit nur dreiunddreißig Jahren, von Ludwig II. in München zum „Königlich-Bayerischen Hofkapellmeister“ ernannt. Die Religion seines Dirigenten kümmert den großen Kunstmäzen nicht. Er war bereit, für Richard Wagner den finanziellen und politischen Ruin zu riskieren, doch den von diesem geforderten Antisemitismus lehnt der Monarch als „unköniglich“ ab.

Levi wird in München ein wichtiger künstlerischer Impulsgeber. Er führt „Manfred“ von Schumann zum Erfolg, und leitet stilgerechte Aufführungen von Mozarts drei Da-Ponte-Opern auf der Rokoko-Bühne des Cuvillé-Theaters.

Wegen seiner Wagner-Verehrung sagen sich Freunde von Levi los

Die Cosi-Vorstellung ist so gelungen, dass Levi seinen Freund Brahms dazu einlädt. Doch der bleibt nur einen Tag, bevor er sich mit ihm überwirft. Gegenstand des Streits: Levis zunehmende „Wagneritis“. Die führt 1880 auch zum Bruch mit seinem Lehrer Vinzenz Lachner: „Ich sehe Dich, einen der berufensten Priester der Kunst, für immer an eine Sache geschmiedet, die ich als eine Krankheit, ja als ein Nationalunglück ansehen muss.“

Die Trennung ist für Levi „die schmerzlichste Erfahrung meines ganzen Lebens“. Ohne von seiner Wagner-Verehrung ablassen zu wollen. 1875 besucht er Bayreuth und zeigt sich in einem Brief an seinen Vater „ganz überwältigt vom Eindruck der Werke, des Hauses und der Aufführung. Gerade ich, der ich auf großen Umwegen und nach vielen inneren Kämpfen Wagnerianer geworden bin, habe vielleicht ein freieres Urteil.“ Doch „Wagnerianer“, schreibt Levi, sei ein „dummes Wort“. „Man versteht eigentlich nur die Radikalen darunter, zu denen ich nie gehören werde.“

Als Wagner1879 den „Parsifal“ abschließt, und von Ludwig II. das Münchener Orchester samt seinem Chefdirigenten Levi zur Uraufführung angeboten bekommt, sieht er nur ein Hindernis: „Ungetauft darf er den ‚Parsifal’ nicht dirigieren.“ Levi war Wagner, wie er an einen Freund schrieb, „mit Leib und Seele verfallen“, doch zu dem von seinem Idol geforderten Religionswechsel hat er sich nicht durchringen können. Levi ist trotz der oft bösartigen Sticheleien und Attacken nie Christ geworden. Als er nach einem besonders unschönen Angriff um Entpflichtung ersucht und abreist, schickt ihm Wagner ein Telegramm nach: „Um Gotteswillen, kehren Sie sogleich um und lernen Sie uns endlich ordentlich kennen!“ Und Levi kommt zurück.

Von da an gehen die Wahrnehmung Levis und die Beobachtung Außenstehender zunehmend auseinander. Während Levi nicht müde wird, seinem Vater, dem Rabbiner, die „Güte“ und „Freundlichkeit“ der Wagners ihm gegenüber zu betonen, fallen anderen die fürchterlichen Verrenkungen auf, zu denen man ihn dort zwingt: „Es war ein fortwährendes seelisches und körperliches Sich-Verbeugen, das mich peinlich berührte, da ich Levi, den großen Künstler und freigiebigen Menschen, von dieser Seite nicht kannte“, erinnerte sich etwa Levis Meisterschüler Felix Weingartner.

Letztlich ist Levis Position, als Musiker, der von Wagner fasziniert ist, und als Jude, der von eben diesem Wagner, trotz Sympathie und Anerkennung seiner überragenden Dirigierbegabung, als Mensch zweiter Klasse betrachtet und behandelt wird, unhaltbar und selbstzerstörerisch. Auch die von Wagner geforderte Taufe hätte daran nichts geändert. Der Begriff „Antisemitismus“ für Feindschaft gegen Menschen jüdischer Abstammung, im Unterschied zur Ablehnung der jüdischen Religion, ist genau damals, um 1880, aufgekommen und durch die Parteinahme einer so bedeutenden Persönlichkeit wie Wagner geadelt worden.

Als Wagner 1883 stirbt, ist Levi einer der Sargträger. Er setzt sich tatkräftig dafür ein, dass die Festspiele unter Cosima Wagners Leitung weiter geführt werden und dirigiert dort nach wie vor seinen „Parsifal“. Doch die „Clique der Radikalen“, der er nun als Mitglied des innersten Wagner-Zirkels angehört, tut alles, ihm die Mitgliedschaft schwer und immer schwerer zu machen. Die Erinnerungen des ihm beigeordneten Chordirektors tragen den Titel „Der Kampf zweier Welten um das Bayreuther Erbe“. Houston Stewart Chamberlain, der neue Vordenker des Wagnerkults, ist einer der wichtigsten Popularisierer des Rassismus.

1888 setzt Levi zum ersten Mal in Bayreuth aus, 1894 gibt er auf. In München dirigiert er weiter. Doch zwei Jahre später lässt er sich pensionieren. Er ist gesundheitlich und nervlich am Ende. Ein kurzes Glück: 1896 heiratet Levi die Witwe seines besten Freundes. In den dreieinhalb Jahren, die ihm bleiben, erstellt er eine sorgfältig der Musik angepasste deutsche Übersetzung von Mozarts drei Da-Ponte-Opern, die bis heute benutzt wird. Anfang 1900, er ist keine 61 Jahre alt, bricht er zusammen. Nervöse Erschöpfung. Levis letzter Wunsch: noch einmal Cosima Wagner sehen. Dazu ist es nicht gekommen. Zur Beerdigung schickt sie einen Kranz und den Geschäftsführer.

Garmisch-Partenkirchen, immerhin, soll von diesem Sommer an, zum 115-jährigen Jubiläum der Verleihung der Ehrenbürgerschaft, wieder eine Hermann-Levi-Straße aufweisen.

Stephen Tree

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