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Noch zu früh? In Berlin wird heftig über den richtigen Zeitpunkt gestritten.

© IMAGO

Wann ist der beste Zeitpunkt für den Schulanfang?: Abwarten ist nicht die beste Lösung

Studie: Kinder mit Entwicklungsproblemen profitieren nicht unbedingt von einer späteren Einschulung.

Ist mein Kind in seiner Entwicklung schon weit genug, um in die Schule zu kommen? Schafft es das auch wirklich: den Lernstoff aufzunehmen, sich zu konzentrieren, sich gegenüber den anderen Kindern zu behaupten? In Berlin wird die Debatte über den richtigen Zeitpunkt für die Einschulung besonders intensiv geführt, seit alle Kinder in dem Kalenderjahr schulpflichtig sind, in dem sie sechs Jahre alt werden – die Herbstkinder also schon mit fünf Jahren. Inzwischen werden die Anträge besorgter Eltern auf Rückstellung häufiger bewilligt. Doch ein Gutachten des Schularztes oder Schulpsychologen und eine zustimmende Stellungnahme der Kita sind dafür unabdingbar.

Vorsicht beim Zurückstellen

Zurückhaltung beim Zurückstellen – diese Empfehlung lässt sich auch aus der Studie ableiten, die die Entwicklungspsychologin Julia Jäkel von der Ruhr-Universität in Bochum zusammen mit Kollegen von der britischen Universität Warwick jetzt im „Journal of Developmental Medicine and Child Neurology“ veröffentlicht hat. Darin wurden 999 entweder mit sechs Jahren eingeschulte oder für ein Jahr zurückgestellte Kinder verglichen. Nach dem ersten Schuljahr hatten die Lehrer von den Schreib-, Lese- und Rechenkünsten, aber auch von der Aufmerksamkeit der Kinder, die erst mit sieben Jahren in die Schule gekommen waren, keinen besseren Eindruck als von deren ein Jahr jüngeren, fristgerecht eingeschulten Mitschülern. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass die mit sechs Jahren Eingeschulten später in Tests eher noch besser abschneiden als die Zurückgestellten.

Die Forscher haben für ihre Studie Daten ausgewertet, die im Rahmen der Bayerischen Entwicklungsstudie erhoben wurden. In dieser Langzeiterhebung wird das gesundheitliche und schulische Geschick einer Alterskohorte Ende der 80er Jahre Geborener bis ins Erwachsenenalter verfolgt. Unter den Teilnehmern sind zahlreiche Frühgeborene, aber auch reif geborene Kinder mit Entwicklungsproblemen, denen das besondere Augenmerk der Forscher gilt.

Schwieriges Studiendesign

Streng wissenschaftlich ist der Streit darüber, ob es etwas bringt, in solchen Fällen mit dem „Ernst des Lebens“ noch ein Jahr zu warten, schwer zu entscheiden. Die eindeutigsten Erkenntnisse würde ein Studiendesign liefern, in dem Kinder, die in Tests zur kognitiven Leistungsfähigkeit und zum Sozialverhalten in etwa gleich abschneiden, nach dem Zufallsprinzip der einen oder der anderen Gruppe zugeteilt würden. Abgesehen davon, dass Eltern dazu kaum bereit sein dürften, würde das auch an den heutigen Modalitäten für Rückstellungen scheitern. In der neuen Studie haben die Forscher nun erstmals versucht, mithilfe statistischer Methoden trotzdem vergleichbare Gruppen zu bilden: Die zurückgestellten und die regulär eingeschulten Kinder wurden „gematcht“, also so ausgewählt, dass die Gruppen in einer Reihe wichtiger Merkmale wie sozialer Herkunft, Rate an Frühgeborenen und Tests zur Regulation der Aufmerksamkeit übereinstimmen.

Offen bleibt, ob frühe Einschulung langfristig hilft

Die Ergebnisse stehen insofern auf einer soliden Basis. „Für Kinder ist der elterliche Wunsch nach einer Rückstellung nicht unbedingt förderlich, ihre Entwicklungsprobleme sollten besser mit früher spezifischer Hilfestellung als mit später Einschulung angegangen werden“, folgert Jäkel. Ein Vergleich innerhalb der Gruppen zeige zudem, dass auch „Frühchen“ davon profitieren, mit ihren Altersgenossen zusammen eingeschult zu werden. Was noch fehlt, sind allerdings Erkenntnisse zur weiteren Schul- und Berufskarriere der 999 Kinder. Die Daten liegen vor, sind aber noch nicht ausgewertet.

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