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Da freut sich der Lehrer. Und die Schüler hoffentlich auch: Wenn Lehrer gut führen können, wissen die Schüler, woran sie sind, und es wird weniger Zeit mit Störungen, Ermahnungen und Gebrüll vertan.

© dpa

Was macht gute Lehrer aus?: Bitte keine Haarbüschel in den Ohren

Lehrer sind Führungskräfte und sollten sich auch so benehmen: Das empfiehlt der Lehrer und Schulrechtsexperte Günther Hoegg in einem neuer Ratgeber. Entscheidend sind Anfang und Ende einer Stunde.

Braucht ein Lehrer ein Buch, das ihm empfiehlt, Einlegesohlen zu tragen? Braucht er ein Buch, das ihn vor Haarbüscheln in den Ohren warnt? Braucht eine Lehrerin ein Buch, das ihr rät, auf die Schülerfrage „Wieso denn das?“ auch mal zu antworten: „Weil ich es sage!“?

Ja, ja, und nochmals ja. Mehr noch: Wenn ein Lehrer oder eine Lehrerin auf eine ferne Insel nur ein einziges Buch mitnehmen dürfte, dann sollten sie dieses Buch einpacken – zumindest wenn sie auf der Insel mit Schülern, womöglich gar schwierigen Schülern, konfrontiert sind. Denn so kernig, klar und praxisnah wie Günther Hoegg schreibt sonst kaum jemand auf dem Markt der Pädagogikbücher. Sein Credo und sein Buchtitel: Gute Lehrer müssen führen. Lehrer sind hoch qualifizierte Führungskräfte, und sie müssen diese Führungsaufgabe zum Wohle der Schüler annehmen. Führung gibt den Schülern Sicherheit, und das wünschen sie sich, auch wenn sie sich gegen unangenehme Anweisungen auflehnen.

Das umstrittene Wort „Disziplin“ braucht der Autor, seit 20 Jahren als Lehrer tätig, promovierter Jurist und Schulrechtsexperte, nicht. Er vertieft sich nicht in Debatten wie die, die Bernhard Bueb vor Jahren mit seinem Buch „Lob der Disziplin“ (2006) auslöste. Theorie ist seine Sache nicht, Fußnoten erspart er sich und den Lesern, dafür gibt er jede Menge Beispiele und zum Teil sehr komische Dialoge aus der Praxis wieder.

Hoegg orientiert sich am angelsächsischen Konzept des classroom managements. Es geht ihm nicht darum, den alten Pauker wiederzubeleben, der mit dem Rohrstock durchgreift. Vielmehr will er Führungsqualitäten vermitteln, die in anderen Bereichen wie der Wirtschaft selbstverständlicher Gegenstand von Seminaren sind. Der Autor weiß, dass er mit seinem Bekenntnis zum „Führen“ bei manchen anecken wird. „Natürlich könnten wir auch die netten Wörter ,beraten' oder ,anleiten' nehmen und lägen damit voll im Trend. Aber solch eine Verschleierung ist überflüssig.“ Viele „nette“ Tipps funktionierten nur im Land der Theorie, „wo es keine Schüler gibt, die sie auf ihre Wirksamkeit überprüfen“.

Worauf also kommt es im ganz normalen Schulalltag an, im scheckigen Land der Praxis? Zunächst einmal, so Hoegg, auf den äußeren Eindruck: Eine Lehrperson sollte – vor allem bei der ersten Begegnung mit einer neuen Klasse – nicht in salopper Freizeitkleidung auftreten, sondern ihren Führungsanspruch schon durch ihre professionelle Kleidung untermauern. Sonst empfinden die Schüler ihn oder sie als Kumpel, der seine Arbeit selbst nicht wirklich ernst nimmt. Darum also nicht mehrere Tage hintereinander dasselbe tragen, keine fettigen Haare, große Dekolletés oder Haarbüschel in den Ohren! Hoegg ist sich auch nicht zu schade, auf die Bedeutung eines guten Fußbetts hinzuweisen: Damit steht man ganz anders da und ermüdet weniger. Das klingt banal, hebt sich aber wohltuend von manch unkonkretem erziehungswissenschaftlichen Geschwurbel ab.

Genauso wichtig: die Körperhaltung, der Stimmklang – nicht fragend, sondern bestimmt – und das Bewegungsverhalten: Lehrer sollten sich nicht so schnell wie möglich hinsetzen und hinter dem Lehrertisch verschanzen, sondern gerade zu Beginn und Ende der Unterrichtsstunde vor dem Lehrertisch stehen und durch den Raum gehen. „Schließlich ist jeder Raum, in dem Lehrkräfte sich mit Schülern befinden, ihr Revier.“

Überhaupt, Anfang und Ende der Stunde: In diesen entscheidenden Minuten wird Autorität etabliert. Wer zulässt, dass ihn die Schüler schon im Flur mit Fragen überhäufen und quasi selbst den Unterricht eröffnen, vergibt eine wichtige Chance. Also besser gar nicht antworten, sondern mit immer ähnlichen Formeln „Kommt erst mal rein!“, „Später“, vertrösten. Gerade in der Anfangszeit mit einer neuen Klasse kann der Lehrer auch mit cleveren Tricks seine Rolle als Führungskraft darstellen: „Schreiben Sie den ersten Test zu einem überschaubaren Thema und lassen Sie ihn gut ausfallen, dann haben die Schüler das Gefühl, sie würden bei Ihnen ganz viel lernen“.

Wenn der Lehrer in den Raum kommt, wen sollte er zuerst anschauen? Den Störer, der hinten noch eine Tasche rumkickt? Nein, denn der legt es ja gerade darauf an, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Also zuerst die große Mitte anschauen, die guten und unauffälligen Schüler. Blickkontakt ist für Hoegg das A und O, in verschiedenen Varianten: sei es der „Lehrerblick“ mit hochgezogenen Augenbrauen gegenüber Störern, sei es der „Keilblick“ auf die Nasenwurzel gegenüber Provokateuren, oder der freundliche Blick, der möglichst jeden einzelnen gutwilligen Schüler würdigt.

Denn sie, die „Unterstützer“, sind es, die ein Lehrer braucht. Sie machen nach Hoeggs Erfahrung in den meisten Klassen etwa 40 Prozent der Schüler aus. Zehn Prozent sind schwierige „Gegenspieler“, die restlichen 50 Prozent sind „Wechselwähler“, die sich mal auf die Seite der Unterstützer ziehen lassen oder aber den Gegenspielern zujubeln, je nachdem, wie geschickt der Lehrer die Klasse zu führen versteht. „Etwa zehn Prozent der Schüler verursachen 90 Prozent der Probleme“, hat Hoegg festgestellt. Wenn Schüler stören, versuchen es viele Lehrer mit sich allmählich steigernden Maßnahmen: Erst wird gewarnt, dann noch mal gewarnt, dann wird die Regel, gegen die der Schüler verstößt, wortreich begründet, dann mit dem Anruf bei den Eltern gedroht und schließlich gebrüllt. Was der Schüler dadurch lernt, ist: Ich kann sehr lange gegen Regel X verstoßen, bevor etwas passiert.

Warum Lehrer gelbe und rote Karten verteilen sollten

Deswegen empfiehlt Hoegg den kurzen Weg: Die Störung – etwa dass der Schüler im Unterricht ins Brötchen beißt – ein einziges Mal thematisieren und erklären, was passiert, wenn er nicht aufhört (das Brötchen wird weggenommen); beim zweiten Mal (Schüler isst weiter) die Ankündigung sofort wahrmachen. Das Bild, das Hoegg dafür gebraucht, ist das des Schiedsrichters: Der sorgt dafür, dass Regeln eingehalten werden, ohne dabei Spieler persönlich anzugreifen, wüst herumzuschreien oder selbst beleidigt zu sein. Er zeigt unfairen Spielern aber nach der gelben Karte ohne Diskussionen die rote. „Zwei Warnungen sind bereits eine zu viel“, schreibt Hoegg und legt seinem Buch gleich eine gelbe und rote Schiedsrichterkarte bei.

Wem Hoeggs Stil zu hemdsärmelig ist, der kann stattdessen das Buch „Disziplin, Respekt und gute Noten“ von Detlef Träbert lesen, ebenfalls vor kurzem im Beltz Verlag erschienen. Träbert plädiert für einen „zeitgemäßen Disziplinbegriff“, der vom „Staub der Unterordnungsideologie“ gereinigt ist. Allerdings schreibt Träbert viel umständlicher und seine Tipps sind weniger handfest. Wenn der schwierige Schüler aus der 8. Klasse das nächste Mal seinen Nachbarn mit „Fick dich!“ beleidigt, wird die Lehrerin, Träbert folgend, mit einer korrekten Ich-Botschaft antworten: „Ich kann deine Wut verstehen. Aber wenn du solche Ausdrücke verwendest, mache ich mir Sorgen um unser Klassenklima. Vor allem bin ich besorgt, dass du deine Wut nicht besser im Griff hast, denn das bringt dir woanders jede Menge Ärger ein, zum Beispiel später im Beruf. Deshalb will ich, dass du das sofort unterlässt.“ Bewundernswert! Noch drei derart elaborierte Lehrer-Äußerungen, und die Stunde ist rum. In Klassen mit mehr als einem schwierigen Schüler dürften die Hoegg’schen Schiedsrichterkarten besser funktionieren.

Ganz klar, auf der fernen Insel wird sich die durch Hoegg gestählte Lehrkraft auch nach anderen Büchern sehnen: über Projektideen, Unterrichtsexperimente, selbst bestimmtes Lernen etc. Aber alle schönen Ideen lassen sich nur umsetzen, wenn das Grundgerüst stimmt – und nur dann bleiben Lehrer und Lehrerin auf Dauer gesund und motiviert. Sonst kann es dazu kommen, dass er oder sie im nicht ganz ernst gemeinten Hoegg’schen „Burnout-Test“ sein Kreuz bei folgenden Aussagen setzen muss: „Ich freue mich über jeden Feueralarm“ oder: „Ich überlege eine Bratwurstbude zu eröffnen. Es muss schön sein zu fragen: Ketchup oder Mayo dazu?“

- Günther Hoegg: Gute Lehrer müssen führen. Beltz Verlag, Weinheim und Basel, 125 Seiten, 19,95 Euro. – Detlef Träbert: Disziplin, Respekt und gute Noten. Erfolgreiche Schüler brauchen klare Erwachsene. Beltz Verlag, 235 Seiten, 14,95 Euro.

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