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Viele, viele bunte Tüten. Oft kauft man mehr als geplant - dann haben die Konsumforscher ihr Ziel erreicht.

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Weihnachtsgeschäft: Wie die Konsumforscher uns zum Einkaufen verführen

Wie viel unnützes Zeug lag unter Ihrem Weihnachtsbaum? Im Weihnachtsgeschäft buhlen zahlreiche Läden um das Geld der Käufer. Dabei setzen sie etwa auf breite Gänge, angenehme Düfte und viele Kassen. Psychologen wenden allerlei Tricks an, um uns zum Kauf zu bewegen.

Weihnachtszeit ist Einkaufszeit. Die Schlangen an den Kassen scheinen täglich länger zu werden, die Tüten in den Händen der Vorbeieilenden zahlreicher, das Gedränge auf den Einkaufsstraßen größer. 285 Euro wird der Deutsche in diesem Jahr durchschnittlich für Weihnachtsgeschenke ausgeben, sagt die Gesellschaft für Konsumforschung. Das sind 24 Euro mehr als 2011.

Dass die Menschen bereit sind, mehr Geld auszugeben, ist auch der Konsumforschung zuzuschreiben, die im Kampf um Wettbewerbsanteile systematisch versucht, die Gefühle der Konsumenten zu entschlüsseln. Die Einblicke in unser aller Sehnsuchtsstruktur sind dabei vor allem Psychologen zu verdanken. Sie und andere Marktforschungsexperten untersuchen mit wissenschaftlichen Methoden, was uns zum Kaufen bewegt, liefern damit aber auch das Wissen, wie die Beeinflussung noch besser funktioniert.

Paco Underhill ist eher der Praktiker. Der Psychologe betreibt seit mehr als 25 Jahren ein Beratungsunternehmen für „kommerzielle Umwelten“ in New York. 1997 schrieb er mit „Warum kaufen wir ein?“ ein Buch, das heute zu den Klassikern des Genres zählt und gerade in einer aktualisierten Version auch in Deutschland ein zweites Mal erschienen ist. Ein Erfolg, der Underhill, den „Anthropologen des Einkaufs“, selbst erstaunt, sagt er. Dabei ist unsere Welt heute so stark wie nie zuvor durch Konsum geprägt - wenn auch die zu weckenden Bedürfnisse der Kunden immer dieselben bleiben.

Wir wollen etwas Besonderes besitzen, etwas Besseres, das uns über andere erhebt, und wir wollen dazugehören – Macht, Leistung und Anspruch sind drei zentrale Motive, die der Erwerb neuer Produkte seit jeher erfüllen soll. Doch warum bleiben wir gerne in dem einem Geschäft, während wir ein anderes fluchtartig verlassen oder gar nicht erst betreten? Warum achten wir in manchen Situationen stärker auf den Preis? Und warum landen doch immer mehr Dinge in unseren Taschen, als wir eigentlich kaufen wollten?

„Das Offensichtliche wird gerne übersehen“, sagt Underhill. Seine Firma untersucht die Wirkung von Verkaufsorten mittels Verhaltensbeobachtung. Eine seiner so erworbenen Erkenntnisse ist jene vom „Butt-Brush-Effekt“: Menschen werden nicht gerne unerwartet von hinten berührt – vermutlich eine Angewohnheit aus Zeiten, als uns in unserem Rücken mehr drohte als nur der nächste Schnäppchenjäger. Tatsächlich widersprechen Menschenmengen, wie sie sich derzeit durch die Kaufhäuser schieben, unserem Bedürfnis nach einer gewissen Distanz zu anderen. Wird der „persönliche Raum“ überraschend verletzt, bedeutet das Stress. Allein die Gefahr einer unerwarteten Berührung von hinten lässt uns Waren meiden, an denen wir interessiert sind, so die Beobachtung Underhills. Räumliche Enge also wirkt geschäftsschädigend. Sie läuft der Grundregel aller Verkaufsmaßnahmen zuwider: Ein Kunde kauft umso mehr, je länger er verweilt.

Vor Weihnachten schwer vorstellbar, aber „Shopping“ erfüllt eine Entspannungsfunktion

Weihnachtskarte. In der Adventszeit wird noch mehr eingekauft als sonst.
Weihnachtskarte. In der Adventszeit wird noch mehr eingekauft als sonst.

© Minerva Studio - Fotolia

Händler tun deshalb gut daran, den Aufenthalt in ihrem Geschäft so angenehm wie möglich zu gestalten, genau zu wissen, welche Eigenschaften wem bei welchem Produkt wichtig sind und was dabei stören könnte, diese zu erkunden. Konsumenten sind äußerst empfindliche Wesen. Wenn ein Verkäufer etwa jemanden, der das Geschäft gerade erst betreten hat, sofort anspricht, verschreckt er ihn: Rund eine Minute brauchen Kunden, um sich an die Umgebung zu gewöhnen, sagt Underhill, und diese Zeit sollte man ihnen auch lassen.

An der Kasse hingegen soll es schnell gehen. Unzählige Studien in Labors und Shoppingcentern belegen, dass sich der Mensch irrational verhält, wenn es um Wartezeit geht. So neigen Menschen eher dazu, eine Schlange zu verlassen, wenn sie beispielsweise an zehnter Stelle stehen, aber niemand nach ihnen folgt. Stehen sie weiter hinten, sind aber nicht Letzter in der Schlange, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie warten, höher, weil sie sich mit den Wartenden hinter sich vergleichen. Und obwohl das System, das nur einen zentralen Anstellpunkt für mehrere Kassen bietet, das Gerechtigkeitsempfinden befriedigt, sind viele Unternehmen davon abgekommen: Mehrere kürzere Schlangen wirken weniger zeitraubend, auch wenn sie das letztlich nicht sind.

Ein besonders wirksamer Verführer ist das „multisensuale Produkterleben“, wie Georg Felser es nennt, Autor des Buches „Werbe- und Konsumentenpsychologie“ und Psychologe an der Hochschule Harz in Wernigerode. So soll die Firma Apple beispielsweise ihre Laptops im Laden immer im 70-Grad-Winkel geöffnet haben, um die Kunden zu animieren, die Bildschirme anzufassen und auf ihren individuellen Blickwinkel einzustellen. Allein diese physische Auseinandersetzung mit dem Produkt schafft eine emotionale Verbindung und erhöht so die Wahrscheinlichkeit eines Kaufes. Das „Besitzergefühl“ kann schon vor der Kasse einsetzen.

Auch Düfte sollen Konsumenten beeinflussen. Bei den Bekleidungsmarken Abercrombie & Fitch und Hollister gehört eine so intensive Parfümierung der Räume zum Markenbild, dass der Geruch meist noch Straßenecken weiter zu riechen ist. Dezentes Beduften aber dient der guten Stimmung, so zumindest preisen es allerlei Duftmarketing-Anbieter an. Zuletzt hat die Reisebürokette der Lufthansa bekannt gegeben, für eine „exklusive Wohlfühlatmosphäre“ eine individuelle Rezeptur beauftragt zu haben. Der Kasseler Evolutionspsychologe Harald Euler bezweifelt, dass Düfte den Menschen gezielt zum Einkaufen verleiten können. „Düfte wirken höchstens indirekt verkaufsförderlich“, sagt er. „Wenn es gut riecht, die Räume schön temperiert sind, mit angenehmen Hintergrundgeräuschen, bleiben die Kunden länger.“ Für alles andere fehlten bislang belastbare wissenschaftliche Daten.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Bereitschaft zum Einkaufen zugenommen. „Shopping“ erfüllt eine Entspannungsfunktion, besonders bei Frauen, in Gemeinschaft – während Männer vergleichsweise gezielt zuschlagen, ohne sich lange beraten zu lassen. Bei beiden jedoch suggeriert das Einkaufen ein Gefühl der Kontrolle in einer zunehmend komplexen, reizüberfluteten Umwelt. Der Erwerb von Besitz bedeutet Status – seit jeher ein Vorteil und immer noch der stärkste Anreiz, sagt Euler. Statushöhere Männer hätten immer den höheren Reproduktionserfolg gehabt, und die Kinder der statushöheren Frauen hatten höhere Überlebenschancen. „Die Evolution macht kein kurzfristiges Update“, sagt Euler. Auch ein Grund dafür, dass wir immer mehr Besitztümer anhäufen: Der Mensch neigt zum Bevorraten – auch wenn er alles im Überfluss hat.

„Man muss sich heutzutage geradezu anstrengen, um Einkäufe zu vermeiden“, sagt Underhill. Und Martin Lindstrom, Marketingexperte und Autor des Bestsellers „Buyology“, hat selbst schon erfolglos versucht, abstinent zu bleiben, wie er in seinem neuesten Buch „Brandwashed“ beschreibt. Ein Jahr lang wollte der Däne keine Markenprodukte kaufen. Nach sechs Monaten wurde er rückfällig. Lindstrom berät seit Jahren internationale Unternehmen und wurde 2009 auch aufgrund seiner Arbeit im Neuromarketing auf die „Time Magazine“-Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt gewählt. Er kennt sich mit Konsumentenverführung so gut aus wie kaum jemand – und ist als Konsument selbst doch hilflos. Die Manipulationsmechanismen erscheinen simpel, aber sie funktionieren.

Der Konsumforschung ist manch überflüssiger Kauf anzulasten

Eine klassische Strategie, die Wohltätigkeitsorganisationen in der Adventszeit gerne nutzen, ist das Aktivieren der „Regel der Gegenseitigkeit“: Menschen fühlen sich verpflichtet, sich für ungeschuldete Gefälligkeiten zu revanchieren. Den Spendenaufrufen, die dieser Tage zuhauf verschickt werden, liegen deshalb häufig Grußkarten, Bildchen oder Aufkleber bei. Dank solcher Geschenke hat sich die Spendenbereitschaft um fast das Doppelte erhöht, belegen Forschungsergebnisse. In direkten persönlichen Situationen greift der Mechanismus sogar noch besser, sagt Konsumpsychologe Felser. Laut einer amerikanischen Untersuchung von 2009 selbst dann, wenn es computeranimierte Figuren sind, die Versuchspersonen einen Dienst erweisen: Die Forscher baten 416 zufällig ausgewählte Nutzer der Plattform There.com per Avatar um einen Gefallen und stellten fest, dass diese in ähnlicher Weise reagierten wie Versuchspersonen in der realen Welt.

Onlineshopping scheint also nur bedingt eine Alternative zu sein, trotz der fehlenden Vernebelung der Sinne. Nicht wenige der rund 25 Millionen Deutschen, die laut dem Branchenverband Bitkom in diesem Jahr Weihnachtsgeschenke im Internet bestellen, werden auch dort mehr kaufen als geplant. Ein in der Realität unbekanntes Risiko birgt dort der Bezahlvorgang: Das Geld wird ohne physischen Vorgang ausgegeben, man muss nichts hergeben. Die Kontrolle über die Ausgaben ist geringer. Auch Bezeichnungen wie „das meistverkaufte Produkt“ wirken überzeugend, ob im Geschäft oder im Internet. Diese „Konsensinformation“, wie Georg Felser sie bezeichnet, bedeutet auch eine soziale Vergewisserung: Man befindet sich in guter Gesellschaft. „Die Menschen wissen zwar, dass es kein besonders guter Grund ist, etwas zu tun, weil andere es tun“, sagt Felser, Studien hätten aber bewiesen, dass diese Information bei Kaufentscheidungen eines der einflussreichsten Merkmale überhaupt ist, besonders wenn andere uns ein Produkt empfehlen.

Die Anzahl an „Likes“, die eine Marke im sozialen Netzwerk sammelt, ist also eine Information, die uns überzeugen kann, genau wie eine Rezension in einem Onlineforum. Neuropsychologische Untersuchungen haben gezeigt, dass ein fachmännischer Ratschlag gar die Aktivität in dem Bereich des Gehirns verringert, der für Entscheidungsprozesse zuständig ist: Wir geben die Verantwortung an andere, vermeintlich kompetentere Personen ab.

Als größte Experten für unser Leben sehen wir aber unsere Freunde. Experimente amerikanischer Forscher zu den Beeinflussungsmechanismen bei Facebook haben jüngst gezeigt, dass die Urteile und Aktionen eines als einflussreich wahrgenommenen Mitgliedes nicht nur dessen direkte Freunde beeinflussen, sondern auch deren Netzwerk. „Soziale Ansteckung“ wird dieses Phänomen genannt – eine Variante der Mundpropaganda, die auch bei Produktempfehlungen bestens funktioniert.

Auch wenn der Konsumforschung manch überflüssiger Kauf anzulasten ist: Sie hat das Einkaufen für den Kunden auch angenehmer gemacht. Und manchmal lassen wir uns ganz gerne verführen.

Die wichtigste Regel lautet: Je länger ein Kunde in einem Geschäft verweilt, desto mehr kauft er auch.

Viele Geschäfte versuchen deshalb, den Kunden mit Musik und angenehmen Düften zum Verweilen zu verführen. Berühren potenzielle Käufer einen Gegenstand, schafft das eine Bindung und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass sie das Produkt kaufen.

Besonders wirksam sind Bezeichnungen wie „Bestseller“ oder „meistverkauftes Produkt“. Denn der Mensch lässt sich von Freunden wie Fremden zum Kaufen verleiten.

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