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Weiterbildung: Zweifellos lernfähig

Auch Menschen jenseits der 40 können sich weiterbilden – wenn sie an ihre Fähigkeiten glauben.

Das Unternehmen hatte die besten Absichten: Erfahrene Metallarbeiter über 55 sollten die Chance bekommen, der Alltagsroutine am Hochofen zu entkommen und sich ein wenig theoretisch fortzubilden. Trotzdem machte sich Unmut unter den Mitarbeitern breit: Man wolle nicht „wie die Lehrbuben“ behandelt werden und nochmals die Schulbank drücken, lautete die einhellige Meinung. In Gesprächen klärte sich dann, dass es den Teilnehmern nicht gefallen hatte, eine Fortbildung in den Räumen zu absolvieren, in denen normalerweise der Unterricht für die Auszubildenden des Unternehmens stattfand. Das ließ sich anders organisieren.

Diese Geschichte erzählt Christian Stamov Roßnagel vom Center on Lifelong Learning and Institutional Development (Zentrum für lebenslanges Lernen und Entwicklung von Institutionen) der Jacobs University Bremen gern erzählt. Denn sie veranschaulicht, dass lebenslanges Lernen meist nicht an der Unfähigkeit älterer Menschen scheitert, sondern an der unpassenden Umgebung oder anderen Bedingungen.

In seinem Buch „Mythos: ‚alter’ Mitarbeiter. Lernkompetenz jenseits der 40?!“ (Beltz 2008) diskutiert Stamov Roßnagel, welche Erkenntnisse der Lern- und Entwicklungspsychologie sich nutzen lassen, um diese Bedingungen zu verbessern.

Bedeutung hat das schon deshalb, weil das Durchschnittsalter für den Rentenbeginn weiter ansteigt. Derzeit liegt es bei 62 Jahren, die Hälfte der 55-Jährigen steht noch mitten im Berufsleben. Die Anforderungen dort wandeln sich. Beschäftigte würden „künftig in einem Alter zur Zielgruppe beruflicher Weiterbildung, in dem sie sich bislang noch gedanklich schon auf die Rente einstellen“, erklärt Stamov Roßnagel.

Der Psychologe kann anhand der einschlägigen Forschung zeigen, dass ältere Menschen vielleicht etwas anders, deshalb aber nicht unbedingt schlechter lernen. „Älteren muss man nicht irgendwelche Zusammenhänge öfter und langsamer erklären, nur weil sie älter sind.“ Den Einbußen in der „fluiden“ Intelligenz, die sich in flexibler Problemlösung und gutem Kurzzeitgedächtnis manifestiert, steht ein Gewinn an Wissen und Erfahrung, der „kristallinen“ Intelligenz, gegenüber. Schon zu Beginn der 90er Jahre hatte Paul Baltes in seinen Überlegungen zum erfolgreichen Altern das „SOK-Modell“ vorgestellt, bestehend aus Selektion, Optimierung und Kompensation, und es am Beispiel des Pianisten Arthur Rubinstein erklärt: Der spielte im Alter weniger Stücke (Selektion), übte sie besonders gründlich (Optimierung) und verlangsamte sein Tempo vor schnellen Passagen so, dass die nachfolgenden Läufe im Kontrast besonders schnell wirkten (Kompensation). Damit schuf er allerdings Ausgleich für Einbußen, die meist ohnehin erst im Ruhestand zu erwarten sind.

Im modernen Erwerbsleben gelten Menschen zwar manchmal schon mit 40 als „älter“. Im Sinne der Alternsforschung gebe es aber überhaupt keine ,alten’ Beschäftigten, versichert Stamov Roßnagel. Die Differenzierungen, die die Psychologie der Lebensspanne inzwischen macht, seien allerdings heute noch zu wenig bekannt, so dass es nicht verwundere, wenn auch in der Arbeitswelt alle Angehörigen der sogenannten „Generation 50+“ in einen Topf geworfen würden.

Vorbehalte und Klischees gegenüber den „Älteren“ führen allerdings zu Selbstzweifeln bei älteren Arbeitnehmern, sie untergraben das Selbstvertrauen nachhaltig. Nach längeren Lernpausen werden die Bedenken gegenüber Weiterbildungsangeboten noch größer. Das gilt vor allem, wenn es um den Erwerb neuer Fähigkeiten am Computer geht. Dass der Computer älteren Arbeitnehmern oft besondere Angst macht, zeigt Stamov Roßnagel an einem Beispiel: Eine 59-jährige Sekretärin, die sich vor der Weiterbildung für ein neues Software-Programm zur Dokumentenverwaltung fürchtete, erzählte im selben Gespräch, sie beginne nun mit einem Chinesischkurs, um sich auf ihre Chinareise vorzubereiten.

Offensichtlich war ihre Neugier groß genug, um sich auf eine schwierige Aufgabe einzulassen. Die Motivation für berufliche Weiterbildungen sinkt dagegen oft, wenn Arbeitnehmer nur noch wenige Berufsjahre vor sich haben und die Karriereoptionen ausgeschöpft erscheinen.

Widerstände gegen Weiterbildungen erklären sich auch oft daraus, dass bei diesem Stichwort bei Älteren unliebsame Erinnerungen an Frontalunterricht und Leistungskontrollen wach werden. Das, so hofft der Psychologe, könnte sich ändern, wenn Menschen mit einer anderen Vorstellung von Lernen aufwachsen: Wenn Lernen nicht mehr als etwas Unangenehmes gilt, dass dafür glücklicherweise auf frühe Lebensphasen begrenzt ist. „Auch viele ältere Arbeitnehmer sind schließlich privat oder beruflich in Formen des Lernens aktiv und erfolgreich, die sie selbst gar nicht als Lernen betrachten.“

Adelheid Müller-Lissner

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