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Ein Gemälde zeigt Johann Sebastian Bach an einer Orgel sitzend.

© culture-images/Lebrecht

Weltdokumentenerbe: Berlins Schätze für die Welt

Bachs h-Moll-Messe, Luthers Thesen und die hebräische Bibel des Reformators: Deutschland bewirbt sich mit Werken aus der Staatsbibliothek zu Berlin um Aufnahme ins Dokumentenerbe der Unesco.

Die Alte Brücke und die Altstadt von Mostar wurden 2005 aufgenommen – als nach dem Bosnienkrieg wiederaufgebautes, verbindendes Wahrzeichen. Aus Deutschland schaffte es zuletzt das Schloss Corvey, das karolingische Kloster in Höxter, auf die Liste des Weltkulturerbes. Für die Altstadt von Dschidda in Saudi-Arabien soll der in diesem Sommer verliehene Welterbetitel zumindest die teilweise Rettung vor Verfall und Abriss bedeuten. Die Aufnahme von Bauwerken und sonstigen materiellen Zeugnissen der Kultur in die mittlerweile vierstellige Zahl der Unesco-Welterbeliste genießt stets mediale Aufmerksamkeit. Weit weniger bekannt, weil schwerer anschaulich zu machen, ist das 1992 von der Unesco initiierte Programm „Memory oft the World“ (MoW), für das sich hierzulande der Begriff „Weltdokumentenerbe“ eingebürgert hat.

Auch für diese Liste werden in einem streng geregelten Auswahlverfahren immer neue Beiträge gesucht – Überlieferungen, Dokumente in sprachlicher oder musikalischer Gestalt. In diesem Jahr ist das Ringen um die Aufnahme ins Dokumentenerbe besonders für Berlin spannend. Die Staatsbibliothek bewirbt sich gleich mit drei Werken – mit dem Autograph der h-Moll-Messe von Johann Sebastian Bach, mit Luthers Thesen und mit der hebräischen Bibel, mit der der Reformator bei seiner Bibelübersetzung arbeitete.

Eine Seite aus Bachs h-Moll-Messe.
Eine Seite aus Bachs h-Moll-Messe. Bei der Unesco wird unter anderem mit der "Aura" des Autographen argumentiert.

© Staatsbibliothek zu Berlin

Schon die Nominierung des Bach-Autographen verlief dramatisch. Ursprünglich wollte die Generaldirektorin der Staatsbibliothek, Barbara Schneider-Kempf, die Berliner Bach-Handschriften komplett anmelden. Immerhin besitzt ihr Haus 85 Prozent aller existierenden Autographen. „Doch dann wurde uns klar, dass sich fünf Handschriften in Krakau befinden, daran ist es gescheitert“, sagt Schneider-Kempf. Zwar reklamiert die Stiftung Preußischer Kulturbesitz die im Krieg verlagerten Handschriften als ihr rechtmäßiges Eigentum, doch die Krakauer Jagiellonen-Bibliothek hält daran fest. Der Ausweg, allein die h-Moll-Messe auf den Weg zu bringen, sei ein guter, findet Schneider-Kempf. Ein Argument für die Aufnahme der Messe, die Bach zwischen 1733 und 1749 komponiert hat, ist die „Aura“ des vielfach überarbeiteten Manuskripts.

Eine Seite aus Martin Luthers hebräischer Bibel.
Mit Randnotizen Martin Luthers versehen ist die hebräische Bibel, mit der der Reformator an seiner Bibelübersetzung arbeitete.

© Staatsbibliothek zu Berlin.

Die beiden Berliner Luther-Zeugnisse gelten mit Blick auf das 500-jährige Jubiläum des Beginns der Reformation im Jahr 2017 als aussichtsreich. Nominiert ist ein 14-teiliges Konvolut zur frühen Reformationsgeschichte, darunter auch die „95 Thesen“, die Luther 1517 der Überlieferung nach an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben soll. Gedruckt wurden sie im selben Jahr in Nürnberg von Hieronymus Hoeltzel.

Mit der Aufnahme ins MoW-Programm werde vor allem „Sichtbarkeit“ gewonnen, sagt Schneider-Kempf. Was die Staatsbibliothek an großartigen Schätzen besitze, sei bislang nicht bekannt genug. Diesen Öffentlichkeitseffekt stellt auch Dieter Offenhäußer von der Deutschen Unesco-Kommission in den Vordergrund. Das Programm habe zugleich eine „Schutzfunktion“, indem es Kulturgüter benenne, die vor dem Verfall zu bewahren sind. Den Institutionen, die die Schätze verwahren, gebe die Aufnahme ins Dokumentenerbe auch „eine Trumpfkarte in die Hand“, wenn es um Geld etwa für die Restaurierung geht.

Beethovens 9. Sinfonie - auch aus der Stabi - ist schon gelistet

Einen ihrer Schätze hat die Berliner Staatsbibliothek schon dem Weltgedächtnis eingeschrieben. Als zweiter deutscher Eintrag erfolgte 2001 Beethovens 9. Sinfonie mit der Ode „An die Freude“, seit 1985 die offizielle Hymne der Europäischen Gemeinschaft. Mehr Völkerverständigung, so war wohl die damalige Überlegung, geht nicht.

Einzigartig und unersetzlich muss sein, was ins Weltdokumentenerbe kommt

„Wer entscheidet heute, an was wir uns morgen erinnern werden?“, lautet die Ausgangsfrage des Unesco-Programms. „Das Unesco-Weltregister ,Memory of the World’ ist ein weltumspannendes digitales Netzwerk mit ausgewählten herausragenden Dokumenten: wertvollen Buchbeständen, Handschriften, Partituren, Unikaten, Bild-, Ton- und Filmdokumenten“, heißt auf der Website der deutschen Unescokommission. Die drei wichtigsten Kriterien für die Aufnahme sind „weltweite Bedeutung“, „Einzigartigkeit“ und „Unersetzlichkeit“.

Beim Weltdokumentenerbe handelt es sich mehr um eine Auszeichnung als um eine Sammlung. Im Zuge der rasant zunehmenden Digitalisierung in Archiven und Museen verlieren Spezialsammlungen wie das „MoW“ ihre Exklusivität. Von den beiden Kernzielen des Programms, „Zugang“ (access) und „Erhaltung“ (preservation), ist der erste zunehmend eine Selbstverständlichkeit in der weltumspannenden Wissensgesellschaft. Der zweite allerdings ist, ähnlich den gefährdeten Örtlichkeiten des Weltkulturerbeprogramms, eine Herausforderung für die nationalen und regionalen Autoritäten, in deren Obhut sich die Dokumente befinden.

Streiten lässt sich über eine Sammlung indigener Sprachen in Mexiko

Derzeit sind 299 Dokumente registriert. Das ist, verglichen mit den bereits nahezu 1000 Objekten der materiellen Kulturerbeliste, eine eben noch überschaubare Zahl. Sie macht die erstaunliche Bandbreite menschlichen Wissens oder besser menschlicher Wissensproduktion deutlich. Jedenfalls wenn man Objekte wie als früheste Zeugnisse des Buchdrucks die Göttinger Gutenberg-Bibel und den koreanische Frühdruck Jikji, eine Anthologie der Zen-Lehre, betrachtet. Zum „MoW“ gehören etwa auch die indische Rigveda als älteste der vier Veden, bewahrt in Manuskripten über die Generationen hinweg, oder aber das älteste noch erhaltene Manuskript des Korans „Mushaf von Othman“ aus Usbekistan. Zweifellos von Weltbedeutung ist ebenso die grundlegende Kompilation chinesischer Medizin im Auftrag des Gelben Kaisers. Sie ist 2200 Jahre alt und in einem Druck von Holzblöcken aus dem Jahr 1339, dem besterhaltenen Exemplar überhaupt, registriert.

Streiten kann man sich aber darüber, ob gleich eine komplette Sammlung indigener Sprachen in Mexiko eingestellt werden sollte. Hier überschneidet sich – von der schieren Menge des dokumentierten Materials ganz abgesehen – die Aufgabe des „MoW“ mit der Tätigkeit von Ethnologischen Museen sowie zahlreichen spezialisierten Forschungseinrichtungen. Und es stellen sich Fragen der gleichberechtigten Repräsentation, denn der bedrohten oder nahezu gänzlich ausgestorbenen Sprachen gibt es auf der Welt hunderte, wenn nicht tausende.

Gemeinsame Bewerbung von Deutschland, England und Myanmar

Aus Deutschland stehen außer dem Bach-Autograph und dem Reformations-Konvolut aktuell drei weitere Anträge zur Diskussion. Die Vorschläge unterliegen einer Vorauswahl durch das Deutsche Nominierungskomitee, in dem auch Vertreter von Bund und Ländern vertreten sind. In der Pariser Unesco-Zentrale berät dann ein internationales Beratungsgremium darüber. Mit einer Entscheidung über die aktuellen Nominierungen sei in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres zu rechnen, heißt es aus der deutschen Kommission.

Neben den Schätzen der Berliner Staatsbibliothek geht es dabei unter anderem um den „Goldenen Brief“ des burmesischen Königs Alaungphaya an König Georg II. von Großbritannien aus dem Jahr 1756. Bewahrt wird dieses Dokument an der Universität Hannover – Georg war schließlich einer der Hannoveraner Könige des Inselreiches. So sind es denn die drei beteiligten Länder, die den Eintrag gemeinsam vorschlagen.

Der Besonderheit eines immateriellen Erbes am nächsten kommt der gemeinsame Vorschlag Deutschlands und der Niederlande, die im „Language Archive“ des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen dokumentierten 102 Sprachen aus aller Welt zu berücksichtigen. Diese Sprachen wurden seit dem Jahr 2000 in gesprochenen Beispielen aufgenommen, digital aufbereitet und vollständig annotiert, so dass zumal im Hinblick auf vom Aussterben bedrohte Sprachen ein „hörbares“ Gedächtnis bewahrt wird.

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