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WERT sachen: Berufung

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

Scheinbar gibt es diese Wertsache nur in den Universitäten und in den Kirchen: Wer Professor werden will, muss zuvor von einer Fakultät berufen worden sein. Und ganz gelegentlich wird sogar der Vizepräsident einer klassischen Universitas litterarum einmal zum Präsidenten einer Technischen Universität berufen, weil man ihm aufgrund seiner bisherigen Erfolge auch die Leitung einer Einrichtung zutrauen kann, die sich mit Bauingenieurwesen und Geodäsie beschäftigt.

Und wer in der Kirche arbeiten will, wird mindestens in frömmeren Gegenden des Landes gelegentlich gefragt, ob er sich denn auch berufen fühlt und erst dann in ein Dienstverhältnis berufen. Und genau dies war vor Zeiten auch die ursprüngliche wie eigentliche Bedeutung des Begriffs: von Gott selbst in eine religiöse Aufgabe gerufen zu sein.

Martin Luther hat das Wortfeld dann im frühen sechzehnten Jahrhundert aus theologischen Gründen entschlossen säkularisiert: Berufung gibt es seiner Ansicht nach nicht nur in religiöse Lebens- und Dienstverhältnisse, sondern in jede Form von geordneter Arbeit, zur Erziehung von Kindern ebenso wie zu einem Handwerk oder zu geistiger Tätigkeit. Und ganz im Sinne seiner theologischen Einsicht, dass jedweder Dienst an Nächsten vor Gott gleich viel gilt, haben seither immer wieder Menschen Berufe der unterschiedlichsten Sorte als Berufung zu einer Tätigkeit für andere Menschen verstanden. Und so definiert ein Lexikon unserer Tage Berufung als die „durch Fähigkeit und Neigung vorgezeichnete Lebensaufgabe“.

Vor einigen Jahren hörte ich einer Podiumsdiskussion zu, auf der Wissenschaftler nach Motiven ihres Tuns befragt wurden. Da antwortete einer der Teilnehmenden: „Wissenschaft mache ich ausschließlich für mich.“ Schrecklich. Aber wahr. Und natürlich gibt es auch immer wieder Zeitgenossen, die betreiben die Wissenschaft so leidenschaftslos, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass sie auch irgendetwas beliebig anderes arbeiten könnten. Da ist dann Beruf zum Job verkommen und anstelle von Berufung beliebiger Zufall zum Hauptmotiv der Lebensplanung geworden. Besser wird die Arbeit dadurch sicher nicht. Es lohnt sich also nicht nur, danach zu fragen, welche Fähigkeiten und Neigungen man geschenkt bekommen hat, sondern nach der jeweiligen Aufgabe zu fragen, die man mit seiner eigenen Arbeit für andere erfüllen kann.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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