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WERT sachen: Ruinen

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

Wenn man - beispielsweise in Syrien - in den Ruinenfeldern einer antiken Stadt steht, zweifelt man eigentlich kaum daran, dass solche Ruinen eine Wertsache sind. In Bosra, der aus lokalem Basalt erbauten Hauptstadt der römischen Provinz Arabia an der heutigen syrisch-jordanischen Grenze, steht ein großes, ungewöhnlich gut erhaltenes Theater aus dem zweiten nachchristlichen Jahrhundert. Es ist deswegen so gut erhalten, weil schon die Gouverneure von Damaskus seit dem elften Jahrhundert dieses kaiserzeitliche Theater von Bosra für eine Wertsache hielten und in eine wehrhafte Festung mit elf Türmen umbauten.

So wurden die Steine der Anlage nicht wie anderswo zum Häuserbau verwendet und die innere Struktur des Theaters blieb in der Festung bewahrt. Der antike Zuschauerraum war durch ein massives mittelalterliches Magazin so lange geschützt, bis die syrische Antikenverwaltung in den Jahren 1946 bis 1970 die antiken Reste wieder freilegte und dabei doch die Ruinen der mittelalterlichen Türme an der Außenfassade bewahrte.

Nicht alle Menschen sehen gern Ruinen: Direkt nach einem Krieg will eigentlich niemand mehr Ruinen sehen, und wie 1945 beginnt der Wiederaufbau mit der Trümmerbeseitigung. Gelegentlich fällt im Eifer des Neubeginns auch gleich die erhaltene Fassade eines barocken Palais oder eines ganzen Schlosses zum Opfer. Ältere Berliner können von der radikalen Entsorgung einiger prominenter Ruinen berichten, die dann in den letzten Jahrzehnten zum Teil wieder auferstanden sind aus längst verschwundenen Ruinen: Gouverneurshaus, Kronprinzenpalais, Kommandantur, um nur die bekanntesten Fälle zu nennen.

Ältere Berliner werden sich aber natürlich auch noch an die Kampagne zur Rettung des alten Turms der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche erinnern. Wenn Ruinen von Trümmern zu Denkmälern werden, wenn sie eine schnelllebige Gegenwart an ihre Vergangenheit erinnern, dann haben sie eine Chance, engagierte Streiter für ihre Erhaltung zu finden.

Gegenwärtig ändert sich in Berlin anscheinend die Einstellung zu Ruinen. Wo die nach 1945 gesprengte Petrikirche oder die Luisenstädtische Kirche lagen, wussten nur Fachleute. Jüngst konnte man aber am Tag des Denkmals Kinder einer Kreuzberger Schule bewundern, die mit Archäologen ein Stück Fundament der Luisenstädtischen Kirche ausgruben, einer Schar Schaulustiger berichteten und beides sehr spannend fanden. Vielleicht wird also auch diese Ruine wieder eine Wertsache.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden dritten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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