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Wertsachen: Qualität

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

Über Qualität lässt sich trefflich streiten: Wie die Martinsgans schmeckt, wie die Aufführung des Weihnachtsoratoriums von Camille Saint-Saëns vermutlich geraten wird, wie man von Rüdiger Safranskis Kompendium „Romantik. Eine deutsche Affäre“ zu denken hat. Man kann nämlich gerade mit klugen Zeitgenossen eine ganze Weile darüber streiten, ob die Gans zu lange im Ofen lag, der empfindsame spätromantische Klang eines lang unterschätzten Komponisten gut getroffen ist und romantischer Geist im Buch fehlende Tiefe mancher Analysen entschuldigt.

Wenn man sich nach längeren Debatten nicht auf ein gemeinsames Urteil geeinigt hat und leicht bekümmert oder genervt bleibende Differenzen konstatiert, wird bisweilen auch deutlich, dass die Standards für Qualität sehr unterschiedlich sind: Wer seine Vorstellung von guter Musik an Schein, Scheidt und Schütz geschult hat und nach Bach eigentlich nur noch Reger und Pepping kennt, wird Saint-Saëns nicht sonderlich schätzen, auch wenn er noch so gut musiziert wurde; wer erwartet, dass über Romantik auf dem Niveau Schlegels und Schleiermachers geschrieben wird, könnte von Safranski enttäuscht sein.

Über Qualität lässt sich trefflich streiten. In der vergangenen Woche beschäftigte sich ein Symposium an der Humboldt-Universität mit Qualitätsstandards in den Geisteswissenschaften. Obwohl sich nahezu alle Teilnehmer darüber einig waren, dass es zum Standard aller Geisteswissenschaften gehört, Quellen lege artis zu verwenden und auszulegen, stringent für eine These zu argumentieren und dabei Neues zu entdecken, gab es doch Nuancen: Ein kluger Kollege argumentierte vehement dafür, dass die Eleganz der literarischen wie rhetorischen Präsentation zu den basalen Qualitätsstandards gehöre; andere widersprachen heftig.

Einig war man sich darüber, dass ohne gemeinsame Standards weder exzellente Wissenschaft identifiziert und gefördert werden kann, noch Halbgares als solches gebrandmarkt werden kann. Dass Qualität zu dem gehört, „wovon auf vielfache Art gesprochen wird“, kann man schon bei Aristoteles lesen. Der Philosoph nahm diese Beobachtung zum Anlass, sich um größtmögliche Präzision bei der Beschreibung jener Kategorie zu bemühen. Insofern ist es geradezu beruhigend, dass Berlin nicht nur in den vergangenen Tagen ein international beachteter Ort der wissenschaftlichen Qualitätsforschung war, sondern in der Stadt viele weitere Aktivitäten auf diesem Feld geplant sind.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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