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Wertsachen: Schwestern

Prominente Schwestern scheint es vor allem in der Literatur zu geben. In Politik und Wissenschaft sind sie nicht so einfach zu finden.

Nach den Brüdern vor drei Wochen müssen nun natürlich auch die Schwestern als Wertsache vorgestellt werden – schließlich würden alle Vorurteile bestätigt, wenn es wieder einmal nur um die Männer gehen würde und seien sie noch so berühmt wie die beiden Brüder, die Dioskuren gleich vor der Universität in Berlins Stadtmitte stehen und ihr den Namen gaben. Allerdings ist es nicht ganz einfach, ein direkt vergleichbares Schwesternpaar aus der Geschichte beizubringen, zwei erzgescheite Wissenschaftlerinnen, die zugleich auch nachhaltigen Einfluss auf die Politik ihres Landes genommen haben. „Mir fehlt ein Vorbild an unserer Fakultät, an dem ich mich bei meinen ersten Schritten als Wissenschaftlerin orientieren könnte“, sagte mir einmal eine Studentin, die sich darüber beschwerte, dass es an ihrer Fakultät praktisch keine Professorin gab.

Wer fällt uns ein, wenn wir an prominente Schwestern denken? „Gemeinsamschwesterliches“ beginnt eine große antike Tragödie, die Antigone des Sophokles in der Übertragung von Friedrich Hölderlin. So redet Antigone ihre Schwester Ismene an. Der Begriff „Gemeinsamschwesterliches“ wirkt auf den ersten Blick merkwürdig, aber seine Intensität trifft die Sache: Nur mit Mühe kann Antigone ihre Schwester davon abhalten, ihr aus geschwisterlicher Solidarität in den Tod zu folgen.

Prominente Schwestern scheint es vor allem in der Literatur zu geben. Und oft liegt ein seltsamer Mehltau auf den Lebensumständen der Schwestern, nicht nur bei Sophokles. Wirklich glücklich geht es im Leben der drei Schwestern, die Anton Tschechow in seinem gleichnamigen Vierakter portraitiert, eher nicht zu. Vergnügen machte allenfalls die legendäre Inszenierung von Peter Stein an der Schaubühne im Jahre 1984. Selbst verschwisterte Autorinnen sind selten. Die drei Geschwister Charlotte, Emily und Anne Brontë fallen einem ein. Sie veröffentlichten ihre Werke unter männlichen Pseudonymen. Gleiches gilt für Politik und Wissenschaft: Sollen wir an die russische Zarin Elisabeth und ihre Schwestern Anna Petrowna und Natalja Petrowna, Töchter Peter des Großen, denken?

Prominente Schwesternpaare aus Politik und Wissenschaft zu finden, ist also nicht ganz einfach. Dabei unterscheidet sich rechte Brüderlichkeit vermutlich kaum von guter Schwesterlichkeit: „Sieh, wie sie dieselben Möglichkeiten/ anders an sich tragen und verstehn,/ so als sähe man verschiedne Zeiten/ durch zwei gleiche Zimmer gehen“, dichtet Rainer Maria Rilke im Jahre 1908. Doch halt – drei prominente Schwestern gibt es ja in Berlin, in Politik und Wissenschaft. Ihre Abkürzungen lauten: FU, HU und TU. Und es dürfen ruhig mehr werden.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden dritten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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