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Wertsachen: Treffen

Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität, schreibt an dieser Stelle über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

Die einen treffen sich in der Südkurve. Andere treffen sich zum gemeinsamen Joggen, beispielsweise irgendwo im Tiergarten. Und wieder andere treffen sich in diesen sommerlichen Tagen auf Kongressen oder Tagungen, in ehrwürdigen mittelalterlichen Universitätsstädten, in abgelegenen katholischen Akademien oder in feinen Hotels auf griechischen Inseln. Kann man solche sehr unterschiedlichen Formen von Treffen aber wirklich vergleichen und gar unter derselben Überschrift abhandeln?

Auf den ersten Blick spricht herzlich wenig dafür, Fußball- oder Sportbegeisterung ohne viel Federlesens mit der Leidenschaft für die Wissenschaft zu parallelisieren. Außerdem tragen die Treffen, die wir gewöhnlich als Kongresse oder Tagungen bezeichnen, ehrwürdige Namen – „15th International Conference on Patristic Studies“ war diejenige übertitelt, die ich in der vergangenen Woche in Oxford besucht habe. Sie werden auch nicht von einem Schiedsrichter angepfiffen – meine Konferenz eröffnete der Erzbischof von Canterbury mit einem höchst bemerkenswerten Vortrag. Und rechtzeitig vor der nächsten „International Conference“ in vier Jahren werden die dickleibigen Akten erscheinen, fünf Bände, mindestens.

Südkurve, Tiergarten und der Kongress in Oxford haben aber mehr gemein, als viele sich träumen lassen. Denn selbstverständlich gab es in Oxford nicht nur Kurzvorträge und Vorlesungen, sondern auch diverse Kaffeepausen und die Abendempfänge der verschiedensten Verlage. So wie für mich war vermutlich für viele manches Gespräch bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein deutlich interessanter als einer der wissenschaftlichen Fachbeiträge.

Zwanglose Gelegenheiten, andere bei einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein zu treffen, fehlen in nahezu allen deutschen Universitäten. Im Unterschied zu einem klassischen Oxforder College gibt es weder regelmäßige gemeinsame Mahlzeiten von Dozierenden und Studierenden noch selbstverständliche Gespräche zwischen Physikern und Historikern beim Kaffee. Nach jedem Kongress, besonders aber nach einem in Oxford, bin ich noch ein Stückchen mehr überzeugt davon, dass sich viele Probleme der deutschen Universität leichter beheben ließen, wenn wir mehr Gelegenheiten für solche Treffen hätten. Eben nicht nur in der Südkurve, im Tiergarten oder auf Kongressen in weiter Ferne, sondern mitten in der eigenen Universität.

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