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Da braut sich was zusammen. Das Satellitenfoto zeigt das Herannahen des Orkantiefs „Kyrill“ am 18. Januar 2007 um zehn Uhr. Für den Nachmittag wurde „Kyrills“ Ankunft über Deutschland erwartet. Auf dieser Aufnahme ist der Sturm noch über Schottland. Foto: p-a/dpa

© picture-alliance/ dpa

Wettervorhersage: Fünf Tage bis zum Orkan

Wenn sich ein Unwetter über dem Atlantik zusammenbraut und in Richtung Deutschland zieht, schlägt die Stunde der Meteorologen. Mit Satelliten- und moderner Computertechnik kann die Gefahr rechtzeitig geortet werden.

Kröten, die sich verkriechen? Ominöse Wolken am Horizont? Die sprichwörtliche Ruhe? Nichts dergleichen weist Fachleute heutzutage auf einen kommenden Sturm hin. Die frühesten Warnungen werden vielmehr von den meteorologischen Superhirnen produziert, den riesigen Computern in den Vorhersagezentren. Deren Prozessoren rechnen Tag und Nacht vor sich hin, um das Wetter der Zukunft abzuschätzen. So können Meteorologen bereits erste Hinweise auf einen Sturm bekommen, noch bevor sich dieser irgendwo auf dem Atlantik überhaupt zusammenbraut. Die Experten achten dafür auf die zukünftige, simulierte Luftdruck-Verteilung: Quetschen sich die Isobaren – die Linien gleichen Luftdrucks – eng nebeneinander, werden die Fachleute hellwach. Denn in diesen Gebieten wird einmal Sturm herrschen.

Oft erkennen Meteorologen auf diese Weise ein Sturm-Unwetter schon fünf Tage vor dem Zeitpunkt, ab dem es sich in der Wirklichkeit auszutoben beginnt. Der Orkan „Kyrill“ aus dem Jahr 2007 und der Hurrikan „Sandy“ vor New York im letzten Herbst sind Beispiele so exzellenter Frühwarnung gewesen. Auch die tödliche Sturmflut von 1953 in den Niederlanden hätte man mit den heutigen Mitteln fünf Tage vorher erkennen können. Wegen der womöglich katastrophalen Folgen lassen die Meteorologen einen werdenden Sturm von dem Tag der Frühwarnung an nicht mehr aus den Augen.

Die Stürme, die winters ihre Spur durch Europa ziehen, bilden sich meist auf dem Atlantik. Irgendwo zwischen Neufundland und Großbritannien trifft milde Meeresluft aus dem Süden auf kontinentale oder arktische Kaltluft aus dem Norden. In diesem Kontrast steckt die Energie für den Sturm.

Die lang gestreckte Grenze zwischen den beiden Luftmassen bekommt zunächst eine Delle. Dort entsteht ein kleines, geradezu unscheinbares Tiefdruckgebiet. Mit dem vorherrschenden Westwind wird es Richtung Europa getrieben. Dann passieren mehrere Dinge auf einmal: Die milde Luft und die kalte Luft wirbeln immer schneller in das Tiefdruckgebiet hinein. In der Mitte wird immer mehr Luft nach oben herausgesogen. Die aufsteigende Luft kühlt ab, Wolken bilden sich, und der Luftdruck im Innern des Tiefs sinkt rasch. Schließlich tobt über Europa ein Sturm. Bäume werden entwurzelt, Lkw kippen um, Ziegel fliegen vom Dach.

Die besten Prognosen kommen aus England

Dass sich die Menschen Tage vorher auf Stürme dieser Art vorbereiten können, ist Computermodellen zu verdanken: Das Rechenzentrum des Deutschen Wetterdiensts DWD in Offenbach berechnet das Wetter eine Woche im Voraus. Noch weiter in die Zukunft – zehn Tage – schaut man im Europäischen Zentrum für Mittelfristige Wettervorhersage (ECMWF) im englischen Reading. Dessen großräumige Prognosen gelten als besonders verlässlich. Die Weltmeteorologieorganisation in Genf wertet regelmäßig die Prognosegüte von Wettervorhersagen aus. Über das Jahr gesehen schneide das ECMWF da immer am besten ab, sagt der Meteorologe Manfred Klöppel, Assistent des Generaldirektors.

Mit der Zeit sind die Prognosen aller Wetterzentren immer präziser geworden. Eine Vorhersage sieben Tage im Voraus ist heute ungefähr so treffsicher wie es 1980 eine Vorhersage für den vierten Tag war. Das ECMWF besitzt jedoch einen Vorsprung in der Präzision von zwölf bis 24 Stunden vor den anderen Zentren. Das hat viele Gründe. Einer davon ist die räumliche Auflösung: Das Computermodell, das beim ECMWF globale Vorhersagen für bis zu zehn Tage liefert, hat eine Gitterweite von 16 Kilometern, da kommt kein anderes Zentrum mit.

In Reading versteht man sich zudem besonders gut darauf, die Wetterbeobachtungen umfassend und effektiv in die Vorhersage einfließen zu lassen. Auch beim Personal gibt es womöglich Vorteile. Das Zentrum beschäftige die am besten qualifizierten Fachleute Europas, sagt Klöppel. Ungefähr 100 Mitarbeiter kümmerten sich ständig darum, die Vorhersagemodelle zu verfeinern.

So genau die mittelfristigen Prognosen vom ECMWF sein mögen, ein vollständiges Bild der Sturmlage ergibt sich erst aus der Zusammenschau der Computermodelle. Mal ist das eine Modell besser, mal das andere. Neben den Simulationen aus Offenbach und Reading werden darum, beim DWD ebenso wie bei anderen Wetterdiensten, Rechnungen von Wetterzentren in den USA, Frankreich und anderen Ländern konsultiert, besonders für höher aufgelöste, regionale Prognosen.

Je näher das Unwetter, umso deutlicher die Warnung

Wie gut man ein Unwetter vorhersagen kann, hängt auch von seinen Ausmaßen ab. „Je größer der Sturm ist, desto leichter und früher erkennen wir ihn“, sagt Gerhard Lux, Meteorologe und Sprecher des DWD. Kräftige Winterstürme wie „Kyrill“ können sich über tausend Kilometer ausdehnen und sind daher für die Prognose kein prinzipielles Problem mehr.

Sobald sich die Hinweise in den Computersimulationen verdichten, dass ein Sturm bevorsteht, wird diese Information in die „Wochenvorhersage Wettergefahren Deutschland“ des DWD aufgenommen. Diese Meldungen kann man abonnieren. „Dafür interessieren sich zum Beispiel Veranstalter von Freiluftkonzerten“, sagt Lux. Die Veranstalter wollen ja nicht ihre Bühne und die Festzelte davonfliegen sehen. Doch weil Prognosen über fünf Tage oft noch sehr unsicher sind, drücken die DWD-Fachleute so frühe Warnungen entsprechend vorsichtig aus.

Konkreter werden die Warnungen ungefähr drei bis vier Tage vor dem Sturm. Dann gibt es deutlichere Meldungen. Sie gehen auch an andere Kunden des DWD, zum Beispiel Leitstellen für Feuerwehren oder Behörden. Außerdem wird schrittweise die Öffentlichkeit alarmiert. Zwei Tage vor dem Sturm laufe die Warnmaschinerie auf Hochtouren, sagt Lux. Auf den Warnseiten des Wetterdiensts wird das Unwetter spätestens 24 bis 36 Stunden vor seinem Eintreffen eingeblendet. Youtube bekommt einen Videoclip, und auch andere Infokanäle wie Facebook, Twitter und SMS werden bedient.

Währenddessen verfolgen die Meteorologen, wie sich die Computerprognosen des Sturmes von Tag zu Tag verändern. Ob der Sturm katastrophal oder eher harmlos ausfallen wird, lässt sich häufig einen Tag vor seinem Eintreffen entscheiden. Kurz vor dem Unwetter helfen die Rechnungen dann nicht mehr weiter. Denn die Simulationen beim DWD liefern nur alle drei Stunden Ergebnisse. In der Restzeit kurz vor dem Sturm sind die Fachleute weitgehend auf die einlaufenden Beobachtungen angewiesen, nicht nur von Satelliten, sondern auch von Bodenstationen. „Nowcasting“ („Jetztvorhersage“) nennt man die Vorhersagearbeit in diesem Zeitraum.

„Bei neuen Meldungen über den Sturm können die Warnungen dann noch einmal herauf- oder herabgestuft werden“, sagt Lux. Auch die erwartete Zugbahn werde womöglich korrigiert. Grundsätzliche Änderungen gibt es zu diesem Zeitpunkt aber nur noch selten. Dafür sind die Modelle inzwischen zu gut.

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