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Wissen: Wetterwandler & Klimaklempner

Seit Jahrhunderten versucht der Mensch zu beeinflussen, wann es regnet, hagelt oder schneit. Jetzt möchte er mit künstlichen Wolken oder Schwefelteilchen ins Klima eingreifen, um die Erderwärmung zu stoppen. Die Rettung – oder das größere Übel?

Zwölftausendfünfhundert Meter Höhe hat die Maschine bereits erreicht. Für viele Flieger ist hier Schluss, die Luft wird ihnen im wahrsten Sinne zu dünn. Aber nicht den modernen Flugzeugen der Firma „Stratospheric Engineering“. Der Pilot tippt den Joystick an und gewinnt weitere zehntausend Meter Höhe. Dann drückt er einen grünen Knopf, auf den ein Marketingexperte extra „Repair“ drucken ließ: Zehn Tonnen Schwefelsäure werden fein zerstäubt in die Stratosphäre, eine Art Zwischendeck der Atmosphäre jenseits von rund 18 Kilometern Höhe, entlassen. Die unzähligen Tröpfchen bilden einen feinen Sulfatschleier, der Teile des Sonnenlichts zurück ins All wirft und die Erde so vor Überhitzung bewahrt.

Noch ist diese Szene Fiktion. Doch es gibt immer mehr Menschen, die solche Ideen zur Weltrettung ernsthaft durchdenken. Der Gehalt des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) steigt nach wie vor und wird das mindestens auch in naher Zukunft tun. Was, wenn die großen Ziele zur Emissionsreduzierung deutlich verfehlt werden? Klimamodellen zufolge wird es dann weltweit im Schnitt um mehrere Grad Celsius wärmer, werden sich Niederschlagsmuster grundlegend ändern, drohen mehr Extremwetterlagen. Lassen sich diese Folgen mithilfe von Geoengineering, also technischen Eingriffen ins Klimasystem, vielleicht verhindern?

Die Sonne scheint tagsüber auf den Planeten und erwärmt die erhellte Seite, nachts wird Wärme ins All abgestrahlt. Am nächsten Morgen beginnt das Spiel von vorn. Treibhausgase wie Kohlendioxid und Methan wirken jedoch wie eine Sperre: Sie halten die Wärmestrahlung des Planeten in Richtung Weltall zurück, es wird immer wärmer. Somit ergeben sich zwei Ansatzpunkte für die Klimaklempner. Entweder sie reduzieren die Einstrahlung nach dem Prinzip Sonnenschirm. Oder sie reduzieren den Gehalt der Treibhausgase, allen voran CO2.

Für beide Ansätze wurden die verschiedensten Vorschläge gemacht. Von Trillionen kleiner Kunststoffscheiben, die ins All geschossen werden und dort einen kosmischen Sonnenschutz bilden, über eine gezielte Düngung der Ozeane, auf dass massenhaft Algen wachsen und so CO2 aufnehmen, bis hin zu künstlichen Bäumen, die an Spezialharzen tausendmal mehr Kohlendioxid binden als echte Bäume. Einige Ideen sind mittlerweile so weit gediehen, dass sie aus den Laboren in die ersten Praxistests drängen. So einleuchtend diese Verfahren erscheinen – es wird heftig darüber gestritten. Denn sie bergen teils erhebliche Gefahren, kosten viel Geld und es gibt bisher kaum rechtliche Regeln für ihren Einsatz. Erst Ende Juni haben Fachleute des Weltklimarats über solche Technologien diskutiert. Ein klares Votum gaben sie nicht ab, doch sie haben das Thema auf die Agenda gesetzt und wollen in ihrem nächsten Bericht 2014 eine detaillierte Bewertung vorlegen.

Neu ist die Idee, im „Maschinenraum des Klimas“ selbst Hand anzulegen, nicht. Zunächst stand das tagesaktuelle Wetter im Fokus. Russland und China zum Beispiel wird unermüdlicher Einsatz von Jagdfliegern nachgesagt, um Unwetterwolken vor pompösen Paraden oder olympischen Spielen zum Abregnen zu zwingen. Und selbst in Süddeutschland gibt es bis heute Flugzeuge, die angeblich die Gefahr durch Hagelschlag reduzieren (siehe nebenstehenden Beitrag).

Daneben dachten Forscher auch immer wieder darüber nach, wie sie das globale Klima beeinflussen können. Dabei kamen sie auch auf die Idee, Schwefelverbindungen in die Stratosphäre zu bringen. „Nachdem der Chemienobelpreisträger Paul Crutzen, der jahrelang in Mainz forschte, diese Möglichkeit 2006 in die Öffentlichkeit trug, war das Tabu gebrochen; seitdem wird nicht nur in kleinen Zirkeln über Geoengineering gesprochen und vor allem wesentlich mehr dazu geforscht“, sagt David Reichwein vom Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Er befasst sich mit den juristischen Aspekten des Geoengineering.

„Verfahren, die auf eine Reduktion des Kohlendioxidgehalts in der Atmosphäre zielen, brauchen viel Zeit, um einen Einfluss aufs Klima auszuüben, dafür sind sie von ihren möglichen Nebenwirkungen her nicht so problematisch“, sagt er. Was soll ein künstlicher Baum schon für Schaden anrichten? Die einzige nennenswerte Ausnahme sei das Düngen der Meere, um Algenblüten auszulösen. Welche ökologischen Folgen das haben kann, ist kaum verstanden. Auch funktioniert das Verfahren in der Praxis nicht so einfach, wie es auf dem Papier erscheint. Bei einem Experiment im Südpolarmeer zum Beispiel gediehen die mit Eisensulfat gefütterten Algen zunächst prächtig, doch bald kamen massenhaft Krebse angeschwommen und fraßen die Einzeller einfach auf.

Wesentlich kritischer betrachten Reichwein und zahlreiche andere Forscher die Verfahren, mit denen unmittelbar in die Strahlung der Sonne auf die Erde eingegriffen wird, allen voran die Schwefelinjektionen in die Stratosphäre. Das Prinzip haben sich die Wissenschaftler bei den Vulkanen abgeschaut. Bei großen Eruptionen wird massenhaft Schwefeldioxid in die Höhe geschleudert, teilweise bis in die Stratosphäre, gewissermaßen das nächste Stockwerk der Lufthülle. Dort bilden sich rasch kleine Sulfatteilchen, die monatelang in dieser Schicht erhalten bleiben. Diese Teilchen reflektieren einen Teil des Sonnenlichts sehr effektiv, wie beispielsweise der Ausbruch des Pinatubo auf den Philippinen 1991 zeigte. Rund 20 Millionen Tonnen Schwefeldioxid wurden damals ausgestoßen. Die Folge war ein globaler Temperaturrückgang von rund einem halben Grad Celsius.

Um die Sonne gut abzuschirmen, braucht man möglichst viele kleine Partikel. Allerdings neigen die dazu, zu verklumpen und so Wirksamkeit zu verlieren. Deshalb schlug David Keith, unter anderem von Bill Gates finanzierter Geoengineer aus Calgary, vor einem Jahr vor, auf Aluminium zu setzen. Das klumpt weniger und hat noch eine höhere Rückstrahlung. Zu hören war seitdem wenig, inzwischen propagiert der Forscher Schwefelsäure als geeignetes Medium. Um einen Kühleffekt zu erzielen, müssten es rund eine Millionen Tonnen im Jahr sein.

Doch wie kommt das Zeug da rauf? Das haben US-Wissenschaftler um Justin McClellan für verschiedene Transportsysteme berechnet. Raketen: zu teuer und zu gefährlich. Lange Röhren, die an schwimmenden Plattformen beginnen und von Luftschiffen in die Höhe gehalten werden: zu viel Entwicklungsarbeit. Eine Flotte von 80 Fliegern jedoch könnte es schaffen, eine Million Tonnen Schwefelsäure für ein bis zwei Milliarden Dollar nach oben zu bringen, berichten die Forscher.

Verglichen mit den Billiardenbeträgen, die für einen klimafreundlichen Wandel unserer Zivilisation aufgewendet werden müssen, um vor schlimmsten Veränderungen bewahrt zu bleiben, ist das ein verlockendes Angebot. „Tatsächlich fürchten manche, dass Milliardäre vom Kaliber eines Bill Gates nicht warten bis sich die Weltgemeinschaft über die Technik geeinigt hat, sondern als eine Art ,Greenfinger' die Dinge selbst in die Hand nehmen und den Planeten retten wollen“, sagt Timo Goeschl, Umweltökonom an der Universität Heidelberg. So weit sei es im Moment aber noch nicht. „Es gibt manche Forscher, die sehr offen an die Schwefelinjektion herangehen, aber ich kenne keinen, der sofort damit beginnen wollte.“ Denn noch immer lassen sich die unerwünschten Folgen kaum abschätzen. Einige Nachteile sind bereits bekannt.

„Beispielsweise schädigt das Sulfat die Ozonschicht“, sagt Thomas Leisner, Atmosphärenforscher am Karlsruher Institut für Technologie. Weiterhin würden die Niederschlagsmuster in den einzelnen Regionen verändert, wie Modellierungen zeigten. „Man stelle sich vor, in China oder Indien kommt es zu Überschwemmungen oder Dürren, die die Ernte vernichten – sofort gebe es Streit in unserer Welt, die schon jetzt Konflikte kaum lösen kann.“ Wobei noch nicht mal klar sei, dass die spezifischen Wetterkapriolen tatsächlich auf die Klima-Ingenieure zurückgehen. „Ein eindeutiger Nachweis dürfte nahezu unmöglich sein“, sagt der Jurist Reichwein und verweist auf das große ungelöste Problem der Haftung für die Folgen von Geoengineering.

Überhaupt sei die Anwendbarkeit bestehender Verträge im Völkerrecht auf global wirksame Technologien wie die Schwefelinjektion fraglich. Noch hätten derartige Verfahren keinen Eingang in spezifische Verträge gefunden. „Immerhin hat man sich auf der zehnten Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention im vergangenen Oktober darauf geeinigt, lediglich Experimente in einem engen Rahmen zu erlauben.“ Bindend sei der Beschluss nicht, fügt Reichwein hinzu.

Erforschen sollte man die Varianten des Geoengineering dennoch, sagen die meisten Wissenschaftler. Jeder nennt andere Gründe, doch die meisten lassen sich so zusammenfassen: Wenn der Klimawandel weiter zügig voranschreitet, werden wir an den Punkt kommen, an dem wir uns entscheiden müssen, ob wir neben den Emissionsreduzierungen auch aktiv ins Geschehen eingreifen wollen. Und diese Entscheidung sollte auf einer soliden Basis stehen.

Eines ist aber klar, zumindest für die Techniken, die aktiv den Wärmehaushalt der Erde beeinflussen: Wenn wir damit anfangen, müssen wir immer weiter machen. „Hört die Schwefelinjektion der Stratosphäre auf, ist das als ob man das Sonnenrollo hochschnappen lässt“, sagt Leisner. „Binnen zwei bis drei Jahren geht die Temperatur wieder hoch, und zwar auf das Niveau, das für den mittlerweile drastisch gestiegenen CO2-Gehalt anzunehmen ist.“

Ralf Nestler

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